Nicht Ihr Neffe, sondern Ihre „Nichte“: Mounir Samuel macht Vorschläge für eine inklusive Sprache. Viele Anregungen

Nicht Ihr Neffe sondern Ihre „Nichte Mounir Samuel macht Vorschlaege


Munir SamuelFigur Nienke van Denderen

Mehr kann man auch nicht sagen lautet der Titel des neuesten Buches des Schriftstellers, Politikwissenschaftlers und Kulturunternehmers Mounir Samuel. Seine Mission: die niederländische Sprache so anzupassen, dass jeder Einzelne unabhängig von Geschlecht, Geschlechtsidentität, Religion, Hautfarbe, ethnischer Zugehörigkeit, Nationalität, körperlicher oder geistiger Behinderung oder Bildungsniveau uneingeschränkt an der Gesellschaft teilhaben kann. Ein Buch mit Erklärungen und Sprachtipps zu allen aktuellen Themen: Geschlechtsidentität, Sexismus, Rassismus, Postkolonialismus und Chancengleichheit.

Als ob das nicht ambitioniert genug wäre, findet Samuel Alternativen für Wörter und Ausdrücke, die er für nicht gut oder nicht ausreichend hält. Er würde zum Beispiel die Abkürzung lhbtiqa+ (ja, bitte haben Sie dafür eine Alternative) lieber durch soggi ersetzen, was für „sexuelle Orientierungen, Sex und Geschlechtsidentitäten“ steht, ein allgemeinerer Begriff, der auch Heterosexualität (in den USA die Englisches Äquivalent wird bereits verwendet). Andere Vorschläge: Eine Person, die nicht Ihr Neffe und nicht Ihre Nichte ist, kann als „Nichte“, ein Nicht-Onkel und eine Nicht-Tante als „Großmutter“ bezeichnet werden. Eine nützliche Initiative von Samuel, die in einer Gesellschaft mit immer mehr Menschen, die sich als nicht-binär identifizieren, gebraucht wird. Aber wie er selbst zugibt, ist es als Einzelner nicht einfach, die Sprache in eine Richtung zu drängen.

Kein ‚Schwanzverhalten‘ mehr

Das wird noch schwieriger mit Samuels Empfehlungen, die Sprache für Menschen mit Behinderungen inklusiver zu machen. Sätze wie „im Dunkeln tappen“, „Tunnelblick“, „auf Eierschalen laufen“, „schau dir das an!“, „hör zu!“ qualifiziert Samuel als „Validismen“. Er meint damit, dass sie von der Perspektive einer nichtbehinderten Person ausgehen und Menschen, für die Sehen oder Hören nicht selbstverständlich ist, mit ihrer Behinderung konfrontieren. Lieber meiden, sagt Samuel, das gilt auch für Tiere. Also kein ‚Schwanzverhalten‘ mehr und wir machen niemanden mehr ‚glücklich mit einem toten Spatzen‘.

Das gibt dem Leser das Gefühl, dass man tatsächlich nichts mehr sagen darf. Das ist sehr schade. Auch das Kapitel zu Menschen mit Behinderung enthält viele nützliche, direkt anwendbare Empfehlungen, um die Gesellschaft für alle zugänglich zu machen, wie z Beteiligen Sie die gesamte Nachbarschaft (Ladenbesitzer, Polizisten, Gemeindearbeiter, die Bibliothek).

Interessant sind die Fragmente, in denen Samuel aus seiner Arbeitserfahrung schöpft. Er schult Organisationen, um integrativer und „divers-skilled“ zu werden. Es reicht nicht, dass eine Frau an der Spitze steht und es schwarze und schwule Mitarbeiter gibt. Auch dann kann in einem Unternehmen noch eine dominante, nicht-inklusive Kultur vorherrschen. Hier trifft er direkt mit den Teilnehmern auf den Widerstand, den viele Menschen gegen diese Themen empfinden („Sexismus, hier? Aber die Regisseure sind Frauen!“) und wie kompliziert manche Situationen sind (sollte ein Musiklokal eingreifen, wenn weiße Konzertbesucher das N-Wort verwenden mit einem schwarzen Künstler mitsingen?). Auch seine persönlichen Erfahrungen als Transgender-Person of Color mit Sehbehinderung webt Samuel in beeindruckenden Passagen durch das Buch.

„Anerkennung, Heilung, Versöhnung“

Durch die Themenvielfalt und die oft nichtsprachlichen Hinweise (an Einzelpersonen, Kulturinstitutionen, Unternehmen, Regierungen) entfernt sich das Buch von der Mission: eine neue Sprache für eine neue Zeit. Samuels leidenschaftliches Streben, zu „Anerkennung, Heilung, Versöhnung und Befreiung“ in der Gesellschaft beizutragen, steht dem Ziel manchmal im Weg. In einem Kapitel wird die Kolonialgeschichte Belgiens im Kongo umgeschrieben (die Botschaft: Erkenne an, dass hier ein Völkermord stattgefunden hat), während Samuel einige Kapitel später die Zuschlagsaffäre („Zuschlagsterror“) behandelt, und dort, als ein niederländischer Staatsbürger, für den er sich entschuldigt (teilweise um zu zeigen, wie man „Entschuldigung“ sagt).

Außerdem braucht es, so Samuel, mehr Aufklärung über Religion, mehr Wertschätzung für praktisch ausgebildete Arbeitskräfte und ein Ende von Mobbing, sowohl in der Schule als auch am Arbeitsplatz. Im Hintergrund spielt die globale Erwärmung („Klimakatastrophe“, das Thema von Samuels Vorgängerbuch) eine Rolle. Jedes einzelne davon wichtige und gewaltige Themen, die dem Leser irgendwann schwindelig machen.

Samuel schreibt seine Anregungen, Tipps und Erfahrungen fein säuberlich in Definitionskästchen und Listen mit Stichpunkten auf, aber dadurch fühlt es sich an wie ein Lehrbuch.

Was ist noch erlaubt? Stellen Sie offene Fragen, die nichts mit Identitäten zu tun haben, wie „Was ist Ihr Lieblingsessen“ und „Was sind Ihre Hobbys?“. Oder, wenn es um heikle Themen gehen muss: „Wie möchten Sie angesprochen werden?“ und ‚gibt es Dinge, die ich berücksichtigen sollte?‘ Das sind einfache, fast bewegende Tipps, die dem Leser in diesem überquellenden Buch leider fast entgehen.

Mounir Samuel: Mehr kann man auch nicht sagen. Neues Amsterdam, 368 Seiten; 24,99 €.

null Bild Neu Amsterdam

Bild Neu-Amsterdam



ttn-de-23

Schreibe einen Kommentar