Neuer Schritt Crispr-Cas: fehlerhafte Zellen in den Selbstmord treiben. Bald in Tumoren?

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Das System der Selbstzerstörung ist der molekularen Kettenreaktion sehr ähnlich, die in Zellen wie denen des Menschen zum „programmierten Zelltod“, der Apoptose, führt, hier im Mikroskopbild.Bild ANP

So können wissenschaftliche Entdeckungen beginnen, sagt der Molekularbiologe Raymond Staals (Universität Wageningen). Mit einem Doktoranden, der mit einem Reagenzglas mit gereinigtem Protein in Ihr Büro kommt und sagt: „Möchten Sie etwas Lustiges sehen?“

Staals wollte das. Und so tropfte Jurre Steens, wie der Doktorand genannt wird, auf der Stelle etwas Flüssigkeit in das durchsichtige Zeug im Reagenzglas. ‚Und was passierte? Innerhalb weniger Sekunden wurde der Inhalt trüb“, sagt Staals, als würde er einen guten Witz erzählen. „In unserem Beruf sind wir es gewohnt, dass Prozesse langsam ablaufen und meist nur durch ein Mikroskop sichtbar sind.“ „Das konnte man mit bloßem Auge sehen.“

Über den Autor
Maarten Keulemans ist Wissenschaftsredakteur bei de Volkskrant, spezialisiert auf Mikroleben, Klima, Archäologie und Gentechnik. Für seine Corona-Berichterstattung wurde er zum Journalisten des Jahres gekürt.

Der Vorfall, der inzwischen fast zwei Jahre zurückliegt, erwies sich als Auftakt zu einem weiteren markanter Artikel, der am Freitag im Fachmagazin erschien Wissenschaft. Steens, Staals und vierzehn Kollegen enthüllen eine völlig neue, äußerst aggressive Form der mikrobiellen Selbstverteidigung. Ein Immunsystem, das, wenn man es beherrscht, den Weg zu neuen diagnostischen Tests und vielleicht sogar zu einer Möglichkeit weisen könnte, Tumore von innen heraus zu sprengen. „Aber das sage ich lieber nicht laut“, sagt Staals nach einiger Beharrlichkeit laut.

Alles dank einer Bodenmikrobe namens Haliangium ochraceum, wörtlich „ockergelbe Meeresschaluppe“. Eine wurstförmige Mikrobe, die im und am Meer lebt und sich in einer extrem salzigen, warmen Umgebung am wohlsten fühlt. Aber wenn die ockerfarbene Meeresschaluppe von speziellen Viren, sogenannten Bakteriophagen, angegriffen wird, passiert es. Im Inneren der Mikrobe beginnen sich dann allerlei molekulare Räder zu drehen. Bis ein Protein auftaucht, das in Staals‘ Labor den ominösen Spitznamen „Weltenzerstörer“ erhalten hat, und die Zelle zerfällt. Diese chemische Aufregung hat das Reagenzglas so trüb gemacht.

Chemische Peitsche

Die Abwehr der Mikrobe ist eine Form von „Crispr-Cas“, wie Steens und Staals herausfanden, als sie das Innere untersuchten H. ochraceum in die Arbeitstierbakterien eingebaut E colium es weiter zu studieren. Ein System, mit dem die Mikrobiologen Jennifer Doudna und Emmanuelle Charpentier 2020 den Nobelpreis gewannen und das Wissenschaftler im großen Stil nutzen, um Zellen sehr präzise genetisch zu manipulieren. Das Prinzip: CRISPR-cas-Systeme halbieren die DNA genau dort, wo Sie es sagen.

H. ochraceum hat auch ein solches System, allerdings für RNA, die einfachere, flüchtigere Form des Erbmaterials. Wenn sich ein Virus an die ockergelbe Meeresschaluppe anheftet und dort sein genetisches Material injiziert, besteht die Chance, dass er den Angreifer anhand seiner RNA erkennt. „Und dann passieren plötzlich alle möglichen Dinge“, sagt Staals. Macht prompt H. ochraceum dann eine ganze Reihe von Proteinen und Signalstoffen. Einer davon schneidet die Virus-RNA in Stücke. Zwei weitere Proteine ​​reihen Kopien ihrer selbst zu langen Schnüren aneinander, die durch Helfermoleküle zusammengehalten werden – der Vorgang, der die klare Lösung im Reagenzglas plötzlich trübe werden ließ. „Diese Filamente sind wirklich seltsam. So etwas habe ich noch nie gesehen“, sagt Staals.

Die Fäden dienen als chemische Peitsche, um ein weiteres Enzym in zwei Hälften zu brechen. Und da haben Sie ihn, den Zerstörer der Welten. Ein aus den Fugen geratenes Schneidprotein, das nahezu alles, was ihm in die Quere kommt, wahllos zerschneidet. Bis die infizierte Mikrobe zerfällt.

Seltsames System

Die Menschen in Wageningen waren darüber erstaunt. „Was für ein seltsames System“, sagt Staals. „Anscheinend töten sich diese Zellen selbst, um ihre Brüder oder Schwestern vor Viren zu schützen.“ Die Natur ist manchmal schön.‘

Es ist auch tiefgründig. Schließlich ähnelt das System der Selbstzerstörung stark der molekularen Kettenreaktion, die in Zellen wie Menschen zum „programmierten Zelltod“, der Apoptose, führt. Auch bei zu viel Stress sterben Zellen ab. „Es könnte durchaus sein, dass wir hier einen frühen Vorläufer der Apoptose sehen“, vermutet Staals.

Stan Brouns, Professor für Mikrobiologie an der TU Delft, der nicht an der Forschung beteiligt ist, hält diese Idee für „überhaupt nicht so verrückt“. Es sei faszinierend, wie die Wageningen-Mikroben eine Virusinfektion bekämpfen, „mit einer Art zweistufiger Rakete“, sagt er nach der Lektüre der Forschungsergebnisse. „Der erste schneidet nur ein Protein ab und der zweite schneidet viel ab.“ „Dieser Zwischenschritt scheint ein Sicherheitsmechanismus zu sein, andererseits ist er eine Art Signalverstärkung.“

Blitzschneller Virentest

In Wageningen sind sich die Menschen der Möglichkeiten bewusst, die sich daraus ergeben. Theoretisch kann man ein solches System in einen extrem schnellen Virentest oder in einen „Biosensor“ zum Nachweis bestimmter biologischer Moleküle umwandeln. Oder denken Sie an die noch futuristischere Anwendung gegen Krebs. Vielleicht ist es auch hier möglich, den Zerstörer der Welten irgendwie wiederzubeleben. Die Idee ist, dass der Krebs dann von selbst verschwindet.

„Lasst uns zunächst weiter rätseln“, sagt Staals. Beispielsweise muss die Gruppe noch prüfen, ob der Abwehrmechanismus in der ursprünglichen Mikrobe wirklich genauso funktioniert wie in E coli. Und es gibt immer noch Hürden für die praktische Anwendung. Beispielsweise funktioniert die Abwehr bei Raumtemperatur, während für verschiedene Anwendungen eine höhere Temperatur erforderlich ist.

Dennoch hätten Staals und seine Gruppe „die Veröffentlichung im Pub gefeiert“, sagt er. So ein völlig neues Immunsystem, das ist etwas ganz Besonderes. In einem Bereich, in dem gerade erst der Nobelpreis verliehen wurde, weiß man nie, was als nächstes kommt.



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