Neue deutsche Partei widersetzt sich herkömmlichen Etiketten


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Willkommen zurück. Deutschland bekommt eine neue Partei – und das wird in zweierlei Hinsicht ungewöhnlich sein. Erstens hat es seinen Namen von seiner Gründerin Sahra Wagenknecht. In einem Land, das seit 1945 für seine allgemein zurückhaltende, schnörkellose Politik bekannt ist, zeichnet es sich dadurch aus.

Zweitens widersetzt sich die Partei konventionellen Kategorien, indem sie einige traditionelle linke Richtlinien mit einer offenen Anziehungskraft auf rechtsextreme Wähler verbindet. Wie sind die Aussichten für die Sahra Wagenknecht Allianz – für Vernunft und Gerechtigkeit (BSW)? offiziell gestartet im Januar? Ich bin unter [email protected].

Hier sind zunächst die Ergebnisse der Umfrage der letzten Woche. Auf die Frage, ob die EU eine echte geopolitische Macht werden kann, antworteten 53 Prozent mit Nein, 28 Prozent mit Ja und 19 Prozent waren sich nicht sicher. Danke für das Abstimmen!

Was ist in einem Namen?

Zum Auftakt eine kurze Übersicht über europäische politische Parteien, die nach Einzelpersonen benannt sind. Ist das eine Formel, die Wahlerfolg bringt?

Sebastian Kurz, a Wunderkind Der konservative österreichische Politiker gewann die Wahlen 2017 in seinem Land, nachdem er seine Partei in „Sebastian-Kurz-Liste – die neue Volkspartei“ umbenannt hatte. Doch im Jahr 2021 fiel er von der Macht und ist nun in Fälle angeblicher Korruption und Lügen gegenüber dem Parlament verwickelt – Vorwürfe, die er zurückweist.

Zu Beginn dieses Jahrhunderts benannte auch der populistische niederländische Politiker Pim Fortuyn eine Partei nach sich. Wenige Tage vor den nationalen Wahlen im Jahr 2002 wurde Fortuyn ermordet. Seine Partei wurde Zweiter in dieser Abstimmung, verlor aber, seines Gründers beraubt, bald an Bedeutung.

In Osteuropa eine bulgarische Partei unter der Führung des ehemaligen Königs Simeon II und nach ihm selbst benannt, stürmte 2001 zum Wahlsieg. Simeon war vier Jahre lang Premierminister, doch am Ende des Jahrzehnts war der Glanzpunkt der Partei vorbei.

Mit anderen Worten: Europäische Parteien, die nach prominenten Persönlichkeiten benannt sind, können etwas bewirken, aber es scheint nicht von Dauer zu sein. Wird es in Deutschland anders sein?

Joachim Käppner, Autor für die Süddeutsche Zeitung (hier auf Deutsch), stellt fest: „Die Schaffung politischer Parteien, die auf eine Person zugeschnitten sind, ist eine Strategie, die in der Bundesrepublik wenig Tradition hat – und bisher erfolglos blieb.“

Judge Merciless kommt zu kurz

Wie Käppner betont, ist Wagenknecht nicht die erste deutsche Politikerin, die eine Partei nach sich benennt. Jeder erinnert sich an die kurze, turbulente politische Karriere eines Richters mit diesem Namen Ronald Schill im nördlichen Stadtstaat Hamburg? Schill erlangte durch seine drakonischen Urteile eine solche Berühmtheit, dass er als „Richter Gnadenlos“ bekannt wurde.

Im Jahr 2000 gründete Schill eine nach ihm benannte rechte Partei, die bei den Kommunalwahlen im darauffolgenden Jahr so ​​gut abschnitt, dass er als stellvertretender Bürgermeister und Innenminister Hamburgs an die Macht katapultiert wurde.

Doch er löste so große Kontroversen aus, dass er seines Amtes enthoben wurde. Später wanderte er nach Lateinamerika aus, taucht gelegentlich in wenig gesehenen deutschen Reality-Shows auf (auf Deutsch bekannt als „Trash-TV“).

Wer ist Sahra Wagenknecht?

Wagenknecht, 54, ist kein Sonderling wie Schill, aber eine markante Persönlichkeit des öffentlichen Lebens.

Aufgewachsen in der Deutschen Demokratischen Republik bzw. der ehemaligen DDR, war sie in ihrer Jugend eine orthodoxe Kommunistin. In der Nacht, als 1989 die Berliner Mauer fiel, blieb sie zu Hause und las Immanuel Kants Buch Kritik der reinen Vernunftwie Guy Chazan von der FT in einem wunderbaren Profil aus dem Jahr 2017 schrieb.

Wagenknecht ist Halb-Iranerin und die Ehefrau von Oskar Lafontaine, einem ehemaligen sozialdemokratischen Kanzlerkandidaten (1990) und Finanzminister (1998-1999). Lafontaines radikale linke Ansichten führten dazu, dass er die SPD verließ und sich der Linken anschloss, einer Partei mit Wurzeln im ostdeutschen Kommunismus, deren Anführerin Wagenknecht selbst wurde.

BSW ist nicht Wagenknechts erster Versuch, eine neue politische Bewegung zu gründen. Wie Frederick Studemann von der FT im Jahr 2018 schrieb, reagierte sie auf die in Deutschland weit verbreitete Stimmung der „Politikverdrossenheit“ mit der Gründung einer Bewegung namens „Aufstehen“. Aber das ist gescheitert.

Wagenknecht ist durch regelmäßige Auftritte in TV-Talkshows und durch das Schreiben von Bestseller-Büchern im Fokus der Öffentlichkeit geblieben Die Selbstgerechten („Die Selbstgerechten“), ein Angriff auf trendige Linke, die ihrer Ansicht nach Identitätspolitik über die Verteidigung der Arbeiterklasse stellen.

Sie wird manchmal mit Rosa Luxemburg verglichen, der marxistischen Revolutionärin, die 1919 beim Spartakusaufstand in Berlin von rechtsextremen Paramilitärs ermordet wurde.

Nicht links oder rechts, sondern Anti-Mainstream

Wofür stehen Wagenknecht und ihre Partei? Marcus Colla, Autor für das Lowy Institute, fasst es gut zusammen:

Neben den konventionell-linken Schwerpunkten auf Löhne, Renten, Infrastruktur und Bildung verbindet Wagenknechts Agenda eine Handvoll radikal linkspopulistischer Grundzüge (Angriffe auf die Nato und Großkonzerne, etwas Nostalgie für die Deutsche Demokratische Republik) mit einigen klassischen Motiven der rechts (harte Einwanderungsbeschränkungen, Rückkehr zu billigem Gas und Atomenergie sowie routinemäßige Angriffe auf „Abbruchkultur“ und „Identitätspolitik“).

Fügen Sie dazu noch ein gewisses Maß an Europaskepsis, scharfe Kritik an den Covid-Lockdowns, Forderungen nach einem Ende der Sanktionen gegen Russland und Waffenexporte in die Ukraine sowie eine Rhetorik hinzu, die sich gegen die Abkoppelung der Berliner politischen Klasse vom „einfachen Volk“ richtet, und Sie haben eine Weltanschauung, die mehr durch ihren Anti-Mainstream-Impuls als durch irgendeine „linke“ oder „rechte“ Orientierung geprägt ist.

„Verrückte und Extremisten“

Wolfgang Münchau, Schreiben im New Statesmanwarnt uns davor, die neue Partei zu unterschätzen:

Ich bin mit praktisch allen Richtlinien von Wagenknecht nicht einverstanden, aber ich nehme sie ernst, weil sie gut vorbereitet ist, eine klare Agenda und ein Team hat. . . Dies ist kein Haufen alter Trots, die ihre letzte politische Schlacht ausfechten.

Mathieu von Rohr, Journalist beim Spiegel-Magazin, fügt hinzu:

Es könnte eine Marktlücke für ihre Mischung aus Antiamerikanismus, Putin-Apologetik und Sozialismus geben [and] Migrationsskepsis sowie Offenheit für Verschwörungstheorien.

Allerdings scheint Wagenknecht selbst mit bevorstehenden Schwierigkeiten zu rechnen. In einem ziemlich verblüffenden Kommentar zu den Aussichten ihrer neuen Partei (hier auf Deutsch), sagte sie: „Es ist eine Mammutaufgabe, Verrückte und Extremisten fernzuhalten.“

Geh nach Osten, junge Leute

Wenn Wagenknechts Partei etwas erreichen will, wird sie dies wahrscheinlich tun, indem sie vor allem der rechtsextremen Partei Alternative für Deutschland Stimmen stiehlt und ihre Bemühungen auf Ostdeutschland konzentriert, wo die AfD am stärksten ist.

Laut einer Umfrage des Forschungsinstituts Civey vom letzten Monat Rund 20 Prozent der Deutschen könnten sich vorstellen, zu wählen für eine von Wagenknecht geführte Partei – im Osten steigt die Zahl jedoch auf 32 Prozent und im Westen sinkt sie auf 17 Prozent.

Balkendiagramm „Könnten Sie sich vorstellen, für eine von Wagenknecht gegründete neue Partei zu stimmen?“, aufgeteilt nach Gebieten in Deutschland (%), aus dem hervorgeht, dass Ostdeutschland sich grundsätzlich eher vorstellen kann, für die von Wagenknecht geführte Partei zu stimmen

In diese Analyse von Wagenknechts Aussichten in der Politische VierteljahresschriftSarah Wagner, Constantin Wurthmann und Jan Philipp Thomeczeck, eine politikwissenschaftliche Fachzeitschrift, sagen, ihre Forschung zeige, dass sie für „Personen attraktiv sei, die soziokulturell eher rechts, migrationskritisch und mit der Demokratie unzufrieden“ seien.

Das passt zum Profil der AfD-Wähler im Osten. Und Wagenknechts Denunziation Der „blinde, willkürliche Öko-Aktivismus“ mag in Ostdeutschland besonders gut ankommen, vielleicht aber auch bei manchen westlichen Wählern.

Die Popularität der regierenden Dreiparteienkoalition aus SPD, Grünen und liberalen Freien Demokraten hat bundesweit unter der politischen und öffentlichen Gegenreaktion gegen ihre zunächst ehrgeizige Klimapolitik gelitten.

Implikationen für die deutsche Parteipolitik

Auf lange Sicht bin ich beeindruckt davon, dass der Start des BSW das jüngste Beispiel für die Fragmentierung der deutschen Parteienlandschaft sein wird.

Es war einmal eine Zeit, in der die westdeutsche Politik außergewöhnlich stabil war und von zwei großen Parteien geprägt war – den Christdemokraten (und ihrer bayerischen Schwesterpartei, der Christlich-Sozialen Union) und der SPD – sowie einer kleineren Partei, der FDP. Dann kamen die Grünen und nach der Wiedervereinigung Deutschlands im Jahr 1900 Die Linke, die AfD und jetzt die BSW.

Aus einem Drei-Parteien-System wird also ein Sieben-Parteien-System. Alle sieben Parteien sind in der Lage, bei der nächsten Bundestagswahl im Jahr 2025 Sitze in Landtagen und im Bundestag zu erringen.

Katja Hoyer, Schreiben für UnHerdKommentare:

Da viele kleine Parteien die Stimmen untereinander verteilen, wird es immer schwieriger, Koalitionen zu bilden, insbesondere wenn man die AfD aus ihnen heraushält.

Sie mag durchaus Recht haben, aber wir sollten nicht zu schnell vorgreifen. Die ersten Tests für Wagenknecht werden die Wahlen zum Europäischen Parlament im nächsten Jahr sowie drei Stimmen in den ostdeutschen Bundesländern Brandenburg, Sachsen und Thüringen sein.

Wenn ihre Partei bei diesen Wahlen gut abschneidet, wird der Druck auf die Regierungskoalition in Deutschland, der bereits zunimmt, sehr groß werden.

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