Was ist los mit Imran Khan?
Der beliebte Cricket-Champion, der 2018 Premierminister wurde, unterwarf sich im April 2022 keinem Misstrauensvotum gegen ihn. Laut dem Anti-Establishment-Politiker hatte die mächtige Militärelite Pakistans gemeinsam mit der US-Regierung seinen Sturz herbeigeführt. In leidenschaftlichen Reden sagte er, er habe Beweise dafür, was das Feuer bei seinen politischen Feinden und dem Sicherheitsapparat weiter anheizte.
Von Khan ermutigt, revoltierten seine Anhänger im Mai: Sie kühlten ihren Zorn unter anderem über die Absetzung ihres Favoriten auf Armeestützpunkten ab. Dann begann die Repression. Einer nach dem anderen wurde ein prominenter Vertreter von Khans Partei Pakistan Tehreek-e-Insaf (PTI) inhaftiert. Militärtribunale gegen rund 100 Zivilisten, die an den Protesten teilgenommen hatten, versetzten Khans Anhänger in Angst und Schrecken.
Am Ende wurde Pakistans führender Oppositionspolitiker Anfang August wegen Korruption zu drei Jahren Haft verurteilt. Einkünfte aus dem Verkauf von Staatsgeschenken, etwa Rolex-Uhren, hätte Khan den Steuerbehörden nicht gemeldet. Seinen Sympathisanten zufolge ist er Opfer einer politischen Überzeugung.
Über den Autor
Marije Vlaskamp ist Auslandsredakteurin und schreibt regelmäßig über Chinas Position in der Welt. Sie verfolgt auch die Entwicklungen anderswo in Asien. Sie war 18 Jahre lang Korrespondentin in Peking.
Waren seine Feinde dann mit Khan fertig?
NEIN. Letzte Woche wurden neue strafrechtliche Ermittlungen gegen den PTI-Vorarbeiter eingeleitet, dieses Mal wegen der Preisgabe von Staatsgeheimnissen. Alles dreht sich um eine verschlüsselte Aufzeichnung eines Gesprächs zwischen dem US-Außenministerium und dem pakistanischen Botschafter in Washington. Bei diesem Treffen am 7. März 2022 ging es um einen Besuch, den Khan als Premierminister an dem Tag, an dem Russland in die Ukraine einmarschierte, in Moskau machte, worüber die Amerikaner nicht glücklich waren. Danach hatte Khan mit antiwestlicher Rhetorik weiterhin auf Neutralität im Krieg gegen die Ukraine gepocht.
Die Beziehungen zwischen den USA und Pakistan sind kompliziert: Im Austausch für Waffen und Hilfsgelder unterstützt Pakistan die USA im Kampf gegen den Terrorismus. Doch diese Zusammenarbeit wird regelmäßig durch gegenseitiges Misstrauen getrübt. Die Beziehungen sind im Moment ziemlich schlecht.
Warum ist dieses Staatsgeheimnis so wichtig?
Laut dem durchgesickerten Protokoll wäre Khans Außenpolitik nicht nur schlecht für die Beziehungen zu Washington, sondern würde Pakistan auch in eine noch größere internationale Isolation treiben. Aber den Amerikanern wäre „alles verziehen“, wenn Khan durch ein Misstrauensvotum zurücktreten würde. Einen Monat später wurde er vom Parlament abgewählt.
Seit anderthalb Jahren zitiert Khan das Gespräch als „Beweis“ für eine Verschwörung gegen ihn, doch der Inhalt des Berichts wurde erst diesen Monat durch eine Veröffentlichung der linken amerikanischen Website enthüllt Der Abfang. Das brachte die Enthüllung zu einem heiklen Zeitpunkt: am Tag nach Khans Verurteilung wegen Korruption.
Ein Sprecher des US-Außenministeriums sagte dagegen Der Abfang dass nichts in „diesen angeblichen Bemerkungen“ darauf hindeutet, dass Washington „eine Position dazu einnimmt, wer der Führer Pakistans sein sollte“. Ob das Geheimdokument authentisch ist und an wen es sich richtet Der Abfang hat weitergespielt und ob dies im besten Interesse von Khan ist oder nicht, bleibt vorerst unklar. Unterdessen sind Khans Feinde nicht untätig.
Was machen Khans Feinde jetzt?
Zunächst wurde der Außenminister aus Khans Kabinett, Shah Mehmood Qureshi, verhaftet. Dann gab Präsident Arif Alvi zum Erstaunen ganz Pakistans bekannt, dass er sich geweigert habe, Änderungsanträge zu einem verschärften Staatssicherheitsgesetz zu unterzeichnen. Als Khans Parteimitglied geriet Alvi in seinen eigenen Reihen unter Druck, weil der umstrittene Änderungsantrag „dem Staat die Schlinge geben würde, mit der er politische Führer aufhängen kann“, heißt es in der englischsprachigen Zeitung. Dämmerung schrieb in einem Kommentar.
Der Änderungsantrag war bereits vom Parlament gebilligt worden, als sich Alvi plötzlich dagegen stellte. Nun herrscht Unklarheit darüber, ob das neue Staatssicherheitsgesetz überhaupt ohne Alvis Unterschrift gültig ist, während Khan und Qureshi bereits nach diesem Gesetz behandelt werden.
Das Militär genießt nach dem strengeren Gesetz einen praktisch unantastbaren Status, der den Sicherheitsdiensten umfassendere Befugnisse einräumt. Beispielsweise können Personen, die indirekten und unbeabsichtigten Kontakt zu „Feinden“ wie ausländischen Mächten haben, ohne Haftbefehl festgenommen werden. Das Gesetz wurde auch auf die digitale Kommunikation ausgeweitet. Das sind schlechte Nachrichten für kritische Vlogger und Blogger.
Wie endet das?
Gegen Khan wurde bislang keine Anklage erhoben, doch eine Verurteilung wegen der Weitergabe von Staatsgeheimnissen hätte erhebliche Konsequenzen für ihn und seine Partei. Dieses Verbrechen wird mit einer Gefängnisstrafe von 2 bis 14 Jahren geahndet. In Ausnahmefällen kann sogar die Todesstrafe verhängt werden.
Khan sieht sich außerdem mit mehr als 100 weiteren Anklagen konfrontiert – von Betrug bis hin zu Terrorismus. Und jede Verurteilung führt zum Ausschluss von der Wahlbeteiligung. Die Frage ist, ob Khans Anhänger dies gelassen geschehen lassen oder ob es erneut zu gewalttätigen Ausschreitungen kommt. Diese schwere politische Instabilität verheißt nichts Gutes für die ohnehin fragile Demokratie Pakistans. Es wird bereits vorhergesagt, dass die nationalen Wahlen, die ein neues Kräfteverhältnis mit sich bringen könnten, auf Anfang nächsten Jahres verschoben werden.