Mit etwas mehr Offenheit wird das Land nicht plötzlich schlechter regiert

Mit etwas mehr Offenheit wird das Land nicht ploetzlich schlechter


Premierminister Mark Rutte mit seinem Telefon.Bild ANP – Robin van Lonkhuijsen

Noch geht die Opposition im Abgeordnetenhaus nicht schnell genug, aber die Debatte um die Verwaltungskultur auf dem Binnenhof trägt durchaus erste Früchte. Ein sichtbarer Fortschritt ist, dass das Kabinett seit diesem Sommer nicht nur seine eigenen Gesetzentwürfe unmittelbar nach Fertigstellung an das Abgeordnetenhaus schickt, sondern auch die zugrunde liegenden Diskussionsunterlagen, auf deren Grundlage diese Vorschläge erarbeitet wurden.

Infolgedessen wissen wir jetzt beispielsweise, dass Beamte große praktische Einwände gegen eine allgemeine Energieobergrenze für alle Haushalte hatten. Und deshalb auch, dass das Kabinett diese Einwände schließlich zurückgenommen hat, weil der Kampf gegen Energiearmut bei großen Gruppen von Haushalten jetzt schwerer wiegt. Dazu kommen die praktischen Einwände. Das ist eine berechtigte Überlegung – schließlich wird das Land nicht von Beamten regiert -, aber es ist gut zu wissen für die Debatten im Parlament um die Obergrenze.

Diese Offenheit fehlt dem Binnenhof seit Jahren. Praktisch jede Beratung und interne Korrespondenz als „streng vertraulich“ zu kennzeichnen, ist eher die Regel als die Ausnahme. Es hat zu einer Kultur geführt, in der selbst das Government Information (Public Access) Act keinen Trost mehr bot, weil Ministerien immer wieder einen Grund finden konnten, warum relevante Informationen nicht veröffentlicht werden konnten.

Der Premierminister selbst hat diese Kultur mit seinen konsequenten Bemühungen gefördert, in sensiblen Akten so wenig Spuren wie möglich zu hinterlassen. 2020 gipfelte dies in den vieldiskutierten Sonntagssitzungen im Catshuis, wo während der größten sozialen Krise der Nachkriegszeit Krieg zunächst streng informell formuliert wurde – ohne Protokoll oder sonstige Form der Berichterstattung darüber, wie die Entscheidungen getroffen wurden.

Ruttes Umgang mit seinen SMS und Apps, die er jahrelang selbst löschte, bevor sie archiviert werden konnten, passt in dieses Muster: So wenig Spuren wie möglich hinterlassen. Dadurch ist es nun unmöglich, Ruttes Corona-Korrespondenz mit anderen Ministern nachzuvollziehen. Die Regierungsinspektion für Information und Kulturerbe kam diese Woche zu dem Schluss, nachdem sie recherchiert hatte, was Experten bereits festgestellt hatten: Rutte verstößt gegen das Archivgesetz und muss daher seine Politik anpassen.

Viele Politiker und Beamte befürchten, dass mehr Offenheit nur zu Ärger führen wird: Oppositionsparteien und Medien werden interne Differenzen massiv verstärken. Die Erfahrung zeigt, dass es eher umgekehrt ist: Das Vergrößern von Meinungsverschiedenheiten oder das Aufdecken interner Korrespondenzen wird erst dann interessant, wenn die Beteiligten Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um alles geheim zu halten. Ein aktuelles Beispiel: Hugo de Jonge hat sich nicht in den Mundschutz-Deal mit Sywert van Lienden eingemischt, sondern hartnäckig geleugnet, dass er darin verwickelt war, während nicht wenige Zeugen andere Erinnerungen hatten.

Es gibt andere Länder – allen voran Norwegen –, in denen Offenheit die Norm ist. Trotzdem wird das Land auch dort noch regiert. Vielleicht sollten wir es hier auch einfach mal versuchen.

Die Position der Zeitung wird im Volkskrant Commentaar zum Ausdruck gebracht. Es entsteht nach einer Diskussion zwischen den Kommentatoren und dem Chefredakteur.



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