Mit einer AR-Brille hat man eine digitale Schicht über der Realität – und das ist nicht ohne Risiken

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Snap-AR-Brille.Bildaufnahme

Da stehen sie auf dem Tisch in Snaps niederländischem Büro an der Keizersgracht in Amsterdam: fünf stabile schwarze Aufbewahrungsboxen, in denen die Brillen der Zukunft stecken. Snap (das Unternehmen hinter der Social-Media-App Snapchat) hatte eine Brille auf dem Markt, mit der Benutzer Videos machen können, aber das ist eine andere Geschichte. Was Snap hier zeigt, ist a Augmented-Reality-Brille

AR (Augmented Reality) ist die bodenständige Schwester der Virtual Reality (VR). Im Gegensatz zu VR befindet sich der Träger in der gewöhnlichen Welt, auf den Straßen und zwischen den Gebäuden, die jeder sieht. Aber mit einer AR-Brille kann zum Beispiel ein Dinosaurier plötzlich dieselbe Straße entlang laufen. Handys, Brillen oder (in Zukunft) Objektive projizieren mit AR digitale Bilder über die physische Realität.

Auf Mobiltelefonen ist AR bereits weit verbreitet. Das vielleicht berühmteste Beispiel stammt von vor ein paar Jahren, als Pokémon Go die Welt im Sturm eroberte. Kinder gingen mit ihren Handys hinaus in die Natur auf der Suche nach virtuellen Kreaturen, die irgendwo in der realen Welt abgesetzt wurden. Und Apps wie Snapchat nutzen AR bereits ausgiebig, um Selfies mit virtuellen Effekten aufzupeppen. Aber AR wird nicht nur für Spiele oder Unterhaltung verwendet. Beispielsweise hat Ikea 2017 seine App Place auf den Markt gebracht. So können Interessenten die digitale Version der Möbel des schwedischen Kaufhauses in ihrem eigenen Zuhause projizieren, um zu sehen, wie sich dieser Tisch oder Stuhl in die bestehende Einrichtung einfügt.

Auch Bekleidungs- und Brillenmarken lieben AR. Puma ermöglicht es beispielsweise, über die Kamera-App von Snapchat zu zeigen, wie seine Turnschuhe in echt aussehen. Der Verbraucher muss sein Handy nur auf seine Füße richten. Es gibt auch verschiedene Apps für Bildungszwecke. So können sie beispielsweise Teile des menschlichen Körpers oder unseres Sonnensystems in Schulklassen projizieren, während die Schüler um die virtuellen 3D-Objekte herumgehen.

Virtuelle Turnschuhe anprobieren Image Snap

Virtuelle Turnschuhe anprobierenBildaufnahme

Physisches und virtuelles Mischen

Kenner erwarten, dass sich die Technologie nur dann wirklich durchsetzen wird, wenn sie über spezielle Brillen angeboten wird. „Nur dann werden sich physische und virtuelle Welt wirklich vermischen“, prognostiziert Tilo Hartmann, Forscher VR und Kommunikation an der Freien Universität Amsterdam. „Bei einem Telefon bleiben die physische und die virtuelle Welt zu sehr getrennt.“

Diese AR-Brille gibt es schon eine Weile. Google kam bereits 2013 mit der Google Glass oben: die nerdig aussehende Tech-Brille. Benachrichtigungen wurden auf die Brille projiziert, während der Besitzer auch Filmaufnahmen machen konnte. Letzteres führte zu Unruhe in der breiten Öffentlichkeit und schon bald waren die Besitzer der teuren Brille bekannt als ‚Glaslöcher† Google war seiner Zeit zu weit voraus, blickt Hartmann zurück. Ein paar Jahre später kam Microsoft mit der Hololens, die wie eine übergroße Sonnenbrille aussieht. Die Brille ist für den Geschäftsmarkt gedacht, zum Beispiel in Lagern, um die optimale Route einfach zu projizieren. Die Brille bietet kein weltveränderndes Gesamterlebnis, zumal der Teil des Sichtfeldes, auf dem virtuelle Bilder angezeigt werden, recht begrenzt ist.

In den Folgejahren wurde der Hype um AR durch Magic Leap angeheizt. Dieses amerikanische Technologieunternehmen begeisterte Investoren und die Öffentlichkeit mit äußerst raffinierten Werbevideos, die eine vollständige Verschmelzung zwischen der physischen und der virtuellen Welt zeigten. Träume mit offenen Augen, versprach Magic Leap. Als die Brille herauskam, blieb vor allem die Enttäuschung.

Dann herrschte langes Schweigen. Bis vor kurzem. Zurück zu Snap, das täglich 332 Millionen Benutzer verbindet. Im Moment geschieht dies noch über Mobiltelefone. Aber das wird sich ändern. In ein paar Jahren werden die meisten Snapchat-Nutzer kein Handy mehr benutzen, sondern eine Brille, prognostizieren sie bei dem amerikanischen Unternehmen. Und das ist ausdrücklich keine VR-Brille, betont Qi Pan, Director of Computer Vision Technology bei Snap. „Wir wollen die Menschen nicht aus der realen Welt herausholen und sie dann wieder in eine rein virtuelle Umgebung zurückversetzen. Unser Ziel ist es, dieser Welt durch AR einen Mehrwert zu verleihen.“

Mit einer Brille werden die Erlebnisse nicht nur intensiver und realistischer, es gibt auch mehr Möglichkeiten mit einer Brille. Snap nennt Fitness als Beispiel und zeigt, wie man mit einer Brille gegen sich selbst laufen kann, oder besser gesagt: gegen die Zeit, die man sich am Vortag gesetzt hat. Die Brille projiziert dann einen laufenden Avatar ins Bild, den man versuchen kann zu überholen. Mit einem Handy in der Hand ist das nicht möglich.

Benötigt viel Rechenleistung

Die Ideen sind da, die Technik noch lange nicht fertig. Um aus den von der Kamera aufgenommenen Bildern der Realität virtuelle Bilder genau an der richtigen Stelle zu platzieren, ist einiges an Rechenleistung nötig. Und das auch noch in Echtzeit. Snaps früher Prototyp einer AR-Brille, die de Volkskrant ausprobieren könnte, beweist das. Die sogenannte Sichtfeld (der Teil des Bildschirms, auf dem die zusätzliche Schicht platziert wird) ist, genau wie beispielsweise bei Magic Leap und Microsofts Hololens, immer noch recht schmal, während die Brille nach fünfzehn Minuten sehr heiß wird. Letztlich will Snap keine nerdigen Brillen vermarkten, sondern hippe, die keinen Dauerstrom benötigen, nicht zu schwer sind, nicht heiß werden und deren gesamter Bildschirm für Computersimulationen geeignet ist. Das wird noch mindestens fünf Jahre dauern.

Auch andere Tech-Unternehmen sitzen derweil nicht still. Facebooks Mutterkonzern Meta hat bereits VR-Brillen, aber in ein, zwei Jahren hofft das Unternehmen auch seine erste AR-Brille zum Verkauf anzubieten. CEO Zuckerberg verließ Ende letzten Jahres während eine Präsentation seiner Fantasie freien Lauf. „Sie können Ihre virtuellen Gegenstände in die physische Welt mitnehmen“, versprach Zuckerberg, woraufhin er ein Video von jemandem zeigte, der auf einem virtuellen Schachbrett gegenüber dem Hologramm eines Freundes eine Partie Schach spielte.

Ein Schachspiel gegen ein Hologramm Image Meta

Ein Schachspiel gegen ein HologrammBild-Meta

Auch Apples Tim Cook findet AR gut: „Ich denke, es ist eine dieser Technologien, auf die wir uns hinterher fragen werden, wie wir jemals ohne ausgekommen sind.“ sagte er letztes Jahr in einem Interview. Apple wird voraussichtlich zuerst mit einer kombinierten AR/VR-Brille auf den Markt kommen der mit einem iPhone arbeitet† Später sollen auch reine AR-Brillen erscheinen (Codename Glass) das funktioniert selbstständig† Und schließlich zeigte Google im Mai ein Konzept einer AR-Brille Übersetzungen von Gesprächen seinem Träger zeigen kann.

Die Erwartungen im Silicon Valley sind hoch, aber Eef Masson, der am Rathenau-Institut zu AR geforscht hat, ist nicht zuversichtlich über den Ausgang all der Bemühungen der reichen Technologieunternehmen. Die Wahrnehmung der Realität stehe bei AR noch mehr auf dem Spiel als bei VR, argumentiert Masson. „Risiken entstehen gerade durch die Vermischung von Physischem und Virtuellem. Bei VR weiß man, dass man sich in einer anderen Welt befindet, bei AR ist das nicht unbedingt der Fall.“ Die Gestaltung dieser neuen hybriden Welt sollte nicht dem Kommerz überlassen werden, glaubt Masson: „Eine AR-Umgebung kann zu einem großen Spielplatz für Werbetreibende werden.“ Für Verbraucher wird es noch schwieriger, zwischen Werbung und Realität zu unterscheiden, während Technologieunternehmen noch mehr persönliche Daten von Verbrauchern sammeln können, um genau die Produkte hervorzuheben, die sie interessieren könnten.

Brillen sind nicht nur etwas, mit dem die schwuler Konsument sich durch hybride Welten bewegt und in neue Erfahrungen eintauchen kann, sowie das Gerät, das ihre Augenbewegungen verfolgen kann, um abzubilden, was den Träger erregt. Goldene Datteln. Gerade bei solchen Dingen müsse die Politik klare Grenzen ziehen, findet Masson.

Gemeinsame Erfahrung

Sie sieht weitere potenzielle Gefahren: „Können wir noch von einem gemeinsamen Erlebnis sprechen, wenn wir anfangen, solche Brillen zu tragen?“ Ihrer Meinung nach hält dieser Trend schon seit einiger Zeit an und ist schwer umzukehren. „Denken Sie an Menschen mit Kopfhörern im Zug, die in ihrer eigenen Welt sind, losgelöst von den Geräuschen des weinenden Babys in ihrem Abteil. AR erweitert diese Entwicklung, indem es auch visuelle Elemente hinzufügt oder herausfiltert. Das macht mir Sorgen“, sagt Masson. Im der Bericht Falsch echt Es gibt daher eine Reihe von Gestaltungsregeln. So könnte die niederländische Regierung beispielsweise ein Moratorium für die Nutzung von AR-Anwendungen im öffentlichen Raum verhängen, mit denen Bürger mittels Biometrie identifiziert werden können. Eine weitere Verpflichtung, über die Masson nachdenkt: immer ein Warnschild auf dem Bildschirm mit einem virtuellen Objekt: „Das ist eine Fälschung“.

Tilo Hartmann ist begeistert von all den neuen Möglichkeiten, warnt aber auch vor den Schattenseiten der neuen Technik. Wie Masson befürchtet Hartmann zum Beispiel, dass die Welt noch stärker zersplittert als heute, und dass Nachrichtenblasen nur erste Anzeichen dafür sind. Aber auch: Welche Wirkung haben AR-Brillen und Linsen auf unser Verhalten? „Wir wissen aus der psychologischen Forschung, dass wir uns anders verhalten, wenn wir das Gefühl haben, dass uns Menschen beobachten. Was wird das mit uns machen, wenn wir wissen, dass wir von unseren Mitmenschen immer durch ihre Brille in Kombination mit Gesichtserkennung gescannt werden können, fragt er sich. „Vielleicht fühlt es sich an wie eine Art kollektiver Gott, der uns immer über die Schulter schaut“, skizziert Hartmann die nicht allzu ferne Zukunft.

Deshalb müssen sich Gesellschaft und Politik jetzt Gedanken über solche Themen machen. Doch das sei schwierig, räumt er ein: „Das Problem bei Innovationen ist, dass sie, solange sie nicht dringend sind, nicht auf der Agenda der Politik stehen. Aber sobald es dringend wird, ist es zum Eingreifen zu spät.‘

Unterdessen rumpeln die großen Tech-Unternehmen weiter. Die Brille kommt sowieso.



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