«Letzte Frage: Wie viel haben Sie in den letzten drei Tagen geschlafen?», fragte der Reporter des öffentlich-rechtlichen Schweizer Senders SRF am Sonntagabend einen fast vampirbleichen UBS-CEO Ralph Hamers. Nach Marathonverhandlungen mit der Schweizer Regierung und den Aufsichtsbehörden hatte der Limburger gerade die Übernahme der kollabierten Skandalbank Credit Suisse, des großen Zürcher Konkurrenten der UBS, abgeschlossen.
„Nicht so sehr, vielleicht sieht man das auch“, sagte Hamers lachend. Er schien von seinen Menschenmachern den Auftrag erhalten zu haben, die Zuschauer so oft wie möglich mit den Mantras zu beruhigen Sicherheit Und Stabilität wiederholen. In den Augen der Schweizer Medien ist durch die Zwangsehe zwischen UBS und Credit Suisse ein grauenhaftes «Monster» entstanden, das mit einer Bilanzsumme, die doppelt so gross ist wie die gesamte Schweizer Volkswirtschaft, wie eine Art Godzilla über der Zürcher Skyline thront.
Über den Autor
Jonathan Witteman ist ein Wirtschaftssüchtiger de Volkskrant und schrieb in den letzten Jahren unter anderem über soziale Sicherheit, Ungleichheit und Technologie.
«Heute ist ein trauriger Tag», kommentierte Hamers am Ende die Credit Suisse. „Niemand wollte hier sein, um das zu tun.“ Aber es war auch ein guter Tag, dachte Hamers. „Wir bringen nun Stabilität und Sicherheit auf den Finanzplatz Schweiz, in die internationalen Märkte, aber auch zu unseren Kunden und Kollegen bei der Credit Suisse.“
Von der Jupiler League bis zur Champions League
Es könnte sein: Vor drei Jahren verließ der gebürtige Simpelvelder die Niederlande knapp mit Teer und Federn bedeckt, nach sieben Jahren an der Spitze der ING, geprägt von Gehaltskrawallen und Geldwäscheaffären. Jetzt leitet er den weltgrößten Kapitalverwalter der Superreichen und verdient jährlich 12,6 Millionen Euro, fünf- bis sechsmal so viel wie zu seiner Zeit bei ING.
Vor fünf Jahren wurde ING-Aufsichtsratsvorsitzender Jeroen van der Veer von vielen belächelt, als er eine 50-prozentige Gehaltserhöhung für Hamers verteidigte: „Ralph Hamers ist Eredivisie und wurde von der Jupiler League bezahlt.“ Hamers gehört nun als Vorstandsvorsitzender der nach Marktkapitalisierung drittgrößten Bank Europas zur Spitze der Champions League.
Das Bild um Hamers hat etwas Schizophrenes. Unter den ING-Mitarbeitern hatte er den Ruf, ein liebenswürdiger und bescheidener Mann zu sein. „Die bunteste Geschichte, die man über ihn finden kann, ist, dass er mit einer Glitzerkappe auf dem Kopf auf einer Geburtstagsparty zu dem Song YMCA zu Hause war“, schrieb er. ANZEIGE.
Gleichzeitig ist Hamers auch der erste (ehemalige) Top-Manager einer niederländischen systemrelevanten Bank, der strafrechtlich verfolgt wird, im Fall von Hamers wegen der Geldwäschepraktiken, die unter seiner Führung bei ING stattgefunden haben. Das Strafverfahren, das Ende 2020 über ein Artikel-12-Verfahren von dem Wirtschaftsforscher Pieter Lakeman durchgesetzt wurde, folgte der Rekordstrafe von 775 Millionen Euro, die ING im Jahr 2018 für seine jahrelange verfehlte Geldwäschebekämpfungspolitik erhalten hatte.
Kriminalpolizei als Damoklesschwert
Die strafrechtlichen Ermittlungen, die die Staatsanwaltschaft erst nach Hamers‘ Wechsel zur UBS eingeleitet hat, hängen wie ein «Damoklesschwert» über seinem Kopf, schreibt die Schweizer Zeitung Tages Anzeiger. Wenn die UBS gewusst hätte, wie viele rechtliche Turbulenzen auf ihren neuen CEO warten, hätten sie ihn wahrscheinlich nicht eingestellt, schloss die Zeitung.
Dass UBS-Headhunter 2020 bei Hamers landeten, lag vor allem daran, dass er sich bei ING einen Ruf als «Google-Banker» aufgebaut hatte, wie der Finanzzeiten nannten ihn. UBS war begeistert vom digitalen Innovationsdrang des ING-CEO, der seine Untergebenen immer wieder ermunterte, sich mit ihrer «agilen» Arbeitsweise voller «Tribes», «Squads» und «Scrum-Sprints» an Start-ups zu orientieren.
Das ging nicht reibungslos, denn die von Hamers gewünschte digitale Fusion zwischen ING Belgien und den Niederlanden bereitete Kopfzerbrechen. Hamers‘ Traum von einer App für alle Länder, in denen ING aktiv ist, wurde von seinem Nachfolger Steven van Rijswijk schnell auf Eis gelegt.
Glücksspiel-, Krypto- und Pornoindustrie
Eine regelrechte Katastrophe war sogar Hamers‘ gefeierte Übernahme des kleinen Unternehmens Payvision im Jahr 2018, das seiner Meinung nach dank künstlicher Intelligenz „ein führendes Unternehmen in der Zahlungsverkehrsbranche“ werden sollte. Im vergangenen Jahr leitete die Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren gegen Payvision ein, weil das Unternehmen jahrelang gegen das Geldwäschegesetz verstoßen hatte. Es wurde festgestellt, dass einige Kunden, hauptsächlich aus der Glücksspiel-, Krypto- und Pornoindustrie, an Betrug und anderen kriminellen Aktivitäten beteiligt waren.
Bei der UBS hatte Hamers bisher noch keinen krummen Schlittschuh. Die Zahlen der Bank waren in den letzten drei Jahren fast jedes Quartal 24.000. Wenn es jemals einen Rückschlag zu vermelden gab, gab es immer einen Skandal um die Credit Suisse, der wie ein Blitzableiter wirken konnte.
In den Schweizer Medien wird jedoch manchmal bemängelt, dass sich Hamers mit seinem mit Schlagworten gefüllten Managerjargon von „Silicon Valley-ähnlichen Ökosystemen“ oder Apps mit „snackbaren Inhalten“ ein wenig „umwölkt“ ausdrückt. Hamers Mantra, dass jedes Unternehmen einen „Zweck“ haben sollte, so UBS-Chairman Colm Kelleher Finanzzeiten so sehr, dass er ihm verboten hat, das Wort während ihrer wöchentlichen bilateralen Treffen weiter zu verwenden.