Laut einem französischen Dokumentarfilm befinden sich die höchsten Berge Europas in den Niederlanden. Europa, ein Kontinent auf dem Kopf heißt der Film, der am 17. Juni auf Arte ausgestrahlt wird. Sie nutzt die Macht der Karten, um zu zeigen, wo das meiste Vieh gehalten wird. Nirgendwo auf der Welt ist die Schweinedichte so hoch wie in Brabant: 1.200 Schweine pro Quadratkilometer, mit einer Verdoppelung in De Peel. Und so erhebt sich an der Nordsee ein Mount Everest aus Schweinen. Die gleiche Geographie auf der Karte mit Vieh: hohe Berge in den Niederlanden.
Killing Fieldsschrieb jemand auf Twitter mit den Tickets, weil online ist Europa, ein Kontinent Bouleversé schon zu sehen. Diese Charakterisierung bezieht sich wahrscheinlich auf das Töten von Milliarden von Tieren jedes Jahr, aber Killing Fields berührt versehentlich diesen anderen Skandal: Millionen von Menschen sind vom Hungertod bedroht. Nach Angaben der Vereinten Nationen sind 41 Millionen Menschen vom Hungertod bedroht. Mehr als 155 Millionen – alles Niederländer mal neun – sind akut auf Nahrung angewiesen.
Die Intensivtierhaltung in den Niederlanden ist ein Teil der Ursache. Der Klimawandel ist das Hauptproblem; Das Horn von Afrika erlebt die schlimmste Dürre seit 40 Jahren, und die Viehzucht ist ein bedeutender Emittent von Treibhausgasen (Methankuhfurze sind 86-mal schädlicher als CO2). Außerdem wurden große Teile des Regenwaldes für die Produktion von Tierfutter gerodet, was die globale Erwärmung weiter vorantreibt.
Der Vollständigkeit halber: Der Import von Lebensmitteln in arme Länder wurde aufgrund von Covid eingestellt. Und der Krieg in der Ukraine gefährdet die Versorgung weiter, da auf die Ukraine und Russland ein Drittel des weltweit gehandelten Getreides entfällt. Aber auch ohne Weizen, Roggen und Mais aus dem Osten könnten wir die Weltbevölkerung problemlos ernähren. Wenn nicht drei Viertel aller landwirtschaftlichen Flächen der Erde für die Viehzucht genutzt wurden.
Der Knackpunkt des Ernährungsproblems ist: Tiere fressen im Durchschnitt sechsmal mehr Protein, als sie produzieren. Für ein Kilo Hühnerfleisch werden 4,55 Kilo Futter benötigt. Für ein Kilo Schweinefleisch neun Kilo. Für ein Kilo Rindfleisch werden 25 Kilo Futter benötigt. Dieses Tierfutter besteht zu einem großen Teil aus Getreide und Soja, die auch von Menschen verzehrt werden können. Ohne das Eingreifen eines verschwendenden Tieres ist ein Kilo Weizen ein Kilo Nahrung.
Noch ein paar Zahlen: Im Durchschnitt werden 600 Quadratmeter landwirtschaftliche Nutzfläche benötigt, um jemanden zu ernähren, der sich pflanzlich (vegan) ernährt. Für einen Vegetarier (mit Ei und Milchprodukten) dreimal so viel. Für jemanden, der neben Milchprodukten und Eiern auch Fleisch isst, 18-mal so viel. Ein Stück Ackerland kann statt einem Kilo Rindfleisch fast 100 Kilo pflanzliche Nahrung liefern. Die Erde produziert Nahrung für 10 Milliarden Menschen.
Der Titel des Arte-Films, Europa auf den Kopf gestellt, bekommt jetzt eine neue Bedeutung, da kriegsbedingt die Lebensmittelversorgung auf dem Spiel steht. Brüssel hat ein wichtiges Naturschutzgesetz und eine Pestizidverordnung verschoben. Gleichzeitig dürfen die Bauern Brachland bearbeiten (entscheidend für die Biodiversität) und in kürzerer Folge Feldfrüchte anbauen (schlecht für den Boden).
Die Lobbyarbeit der Agrarindustrie malt ständig einen falschen Kontrast zwischen Ernährungssicherheit und Nachhaltigkeit. Die Nachhaltigkeit wurde nun ausgesetzt, während eine Lebensmittelknappheit nicht die Ursache der Knappheit ist. Das füttert Getreide an Tiere.
Und dann gibt es noch ein weiteres Gesetz der Ernährungssicherheit: Aus Krieg entsteht Nahrungsmittelknappheit und aus Nahrungsmittelknappheit entsteht Krieg. In Ägypten garantiert die Regierung daher jeder Familie drei Brote am Tag. Als Ende 2010 der Arabische Frühling begann, symbolisierte Brot das Bekenntnis: Erst Brot, dann Ideale.
Eine Getreideknappheit im Nahen Osten ist eine unmittelbare Bedrohung für die Stabilität dort und hier. Inzwischen ist klar, dass Konflikte auf der anderen Seite des Mittelmeers zu Flüchtlingsströmen führen, die westliche Demokratien vor Probleme stellen könnten. Drei Viertel des ägyptischen Getreides stammen aus Russland und der Ukraine.
Wer kein Problem damit hat, Tiere mit Getreide und Hülsenfrüchten zu füttern, während 155 Millionen Menschen hungern, sollte die andere Seite sehen. Schließlich beziehen sich fleischfressende Männer so gerne darauf, wenn sie suggerieren, Putin könne dem Krieg nicht helfen: Realpolitik. („Hätten ihm nur die Ukraine und die Nato Sicherheit gegeben.“) Naja, Lebensmittelknappheit, weil wir unser Getreide lieber Tieren geben, ist eben Realpolitik.
Maria Luyten ist Autorin und Journalistin und schreibt alle zwei Wochen eine Austauschkolumne mit Heleen Mees.