„Hier beginnt etwas aus dem Ruder zu laufen. Eine florierende Geschäftswelt ist für unsere Wirtschaft unerlässlich und Gewinne zu erzielen ist alles andere als schmutzig. Der aktuelle Trend nimmt jedoch extreme Züge an. Unternehmen sprechen viel über ihre soziale Verantwortung. Deshalb sollte der normale Bürger, der Kunde, der Verbraucher mehr im Mittelpunkt stehen.“
Spricht hier der FNV? Die Arbeiterpartei? Nein, es ist die Redaktion von Der Telegraph Der Supermarktkonzern Ahold Delhaize meldete am vergangenen Donnerstag, dem Folgetag, einen Gewinn von 2,5 Milliarden Euro, den höchsten Betrag seit zehn Jahren. „Das ist ärgerlich in Zeiten, in denen eine wachsende Gruppe von Bürgern aufgrund der himmelhohen Inflation ums Überleben kämpft“, so die Zeitung der wachen Niederlande, die normalerweise ein warmes Herz für die Geschäftswelt hat. Aber am Donnerstag bekamen auch Shell (38,5 Milliarden Euro Gewinn im Vorjahr), ING (3,7 Milliarden) und ABN Amro (1,9 Milliarden) einen Schlag ab, weil sie nicht genug für ihre Kunden tun, während das Geld knapp wird.
Auch die Muttergesellschaft von Albert Heijn zahlt wie Heineken (2,8 Milliarden Euro Gewinn) eine Milliarde Euro Dividende an die Aktionäre. Die Top-Führungskräfte beider Unternehmen verteidigten sich mit dem Hinweis, dass die Gewinne hauptsächlich aus anderen Teilen der Welt stammten. In Europa hinken die Margen noch hinterher. Die stark gestiegenen Kosten wurden nach Angaben der Unternehmen teilweise auch selbst getragen und nicht an die Kunden weitergegeben, wobei unklar bleibt, wie viel genau. „Ich habe keinen Einblick in ihre Margen“, sagt Ökonom Rens van Tilburg (Universität Utrecht). „Aber wenn Sie solche Gewinne erzielen und solche Beträge an Ihre Aktionäre auszahlen können, könnten die Preise an den Kinokassen auch etwas weniger steigen.“
Würziger Augenblick
Die Multi-Milliarden-Dollar-Gewinne der multinationalen Konzerne kommen zu einer stürmischen Zeit. Anfang dieses Monats organisierte das Kabinett nach Beschwerden über das Geschäftsklima eine weitere Catshuis-Sitzung mit der Spitze der Geschäftswelt. Die mittlerweile sprichwörtliche Kluft zwischen Den Haag und der großen Geschäftswelt wurde durch Peter Berdowski noch größer. Er droht, die Niederlande mit seinem Baggerunternehmen Boskalis zu verlassen, wenn ein Gesetz eingeführt wird, das Unternehmen verpflichtet, zu prüfen, ob es in ihrer Lieferkette zu Missbräuchen kommt. So steht es in einem Initiativgesetz von sechs progressiven Parteien im Repräsentantenhaus.
Auch andere Großunternehmen klagen über das bröckelnde Geschäftsklima. „Wir stellen fest, dass die Niederlande früher Kaufmann und Pfarrer zugleich waren und sich jetzt fast nur noch zu einem Pastor entwickeln. Und das in einer Welt, die immer wettbewerbsintensiver wird“, sagte Heineken-CEO Dolf van den Brink dieser Zeitung. Auf den internationalen Wettbewerbslisten rangieren die Niederlande nach wie vor weit oben. Aber das ist „in den Rückspiegel schauen“, argumentierte VNO-NCW-Vorsitzende Ingrid Thijssen de Volkskrant. „Unter der Motorhaube ist definitiv etwas los.“
Im Kopf von Friedman
Diese Botschaft ist schwer mit den milliardenschweren Gewinnen der multinationalen Konzerne in Einklang zu bringen. „Diese Woche ist wieder einmal deutlich geworden, dass die Gewinne für die Unternehmen und die Kosten für die Gesellschaft sind. Und jetzt, wo immer mehr Menschen betroffen sind, wird es immer weniger akzeptiert“, sagt Maria van der Heijden von MVO Nederland, die sich für mehr soziale Verantwortung von Unternehmen einsetzt. Laut Ökonom Van Tilburg, Direktor des Sustainable Finance Lab, einer wissenschaftlichen Denkfabrik für einen nachhaltigeren Umgang mit Finanzmitteln, hatten die Niederlande schon immer das rheinische Modell. Dazu gehören die Interessen aller gesellschaftlichen Parteien, einschließlich der Arbeitnehmer, Verbraucher und NGOs. „In den 1990er Jahren wurde das gegen das angelsächsische Modell ausgetauscht, bei dem die Aktionäre an erster Stelle stehen. „The only business of business is business“ von Milton Friedman wurde damals oft zitiert. Das hört man niemanden mehr sagen. Aber wenn es hart auf hart kommt, stehen die großen Unternehmen immer noch auf der Seite der Aktionäre. Das liegt in der Psyche der Top-Führungskräfte“, sagt Van Tilburg.
Er weist darauf hin, dass eine Gruppe von Unternehmensjuristen vor drei Jahren versucht habe, explizit gesetzlich festzuhalten, dass Unternehmen die Interessen von Aktionären, Arbeitnehmern, Verbrauchern und der Gesellschaft ausgewogen abwägen müssen. „Damals hat es nicht geklappt, aber vielleicht sollten sie es noch einmal versuchen. Wenn Sie so Telegraphkommentiert, dann ist klar, in welche Richtung die gesellschaftliche Debatte geht.“
„Was für ein Land wollen wir sein?“
Bei einer rechten Mehrheit dagegen bleibe abzuwarten, ob das Initiativgesetz verantwortungsbewusstes und nachhaltiges internationales Wirtschaften verabschieden werde, stellte sich am Donnerstag in einer Parlamentsdebatte heraus. Dann müssen wir auf die Politik warten, an der Brüssel arbeitet. Aufgrund des „großen sozialen Wandels“ versteht Van der Heijden jetzt den Kampf der großen Unternehmen. „Unter dem Namen Discomfort in the Boardroom diskutieren wir mit CEOs und Aufsichtsräten über die Herausforderungen, denen wir als Gesellschaft gegenüberstehen. Was ich dort höre, ist, dass Unternehmen wissen wollen, wo sie stehen. Regeln an sich sind nicht schlecht, solange sie klar sind. Sie würden gerne all diese Vereinbarungen sehen, die in eine umfassendere Vision eingebettet sind. Was für ein Land wollen wir sein? Darum soll es gehen. Denn wenn eine solche Vision fehlt, halten alle an dem fest, was da ist.“