Meine Eltern hatten sehr genaue Vorstellungen davon, was „richtig“ und „falsch“ ist, und der Keukenhof lag furchtbar daneben

Olga kann meine Handtucher haben ja jeder
Sylvia Wittemann

Ich bin mit einem Ohrwurm aufgewacht. Nicht das Biest, sondern ein Lied: Auf Zehenspitzen durch die Tulpen von Tiny Tim. Er war 1968 ein etwas exzentrischer Junge mit langen Haaren, einer Ukulele und einer gespenstischen, zittrigen Falsettstimme. Diese Stimme machte das sehr süße Lied, besonders in Kombination mit dem gemütlichen Text, so unheimlich. Sie wissen schon, wie eine Spieluhr, die mitten in der Nacht plötzlich anfängt zu klingeln, in einem Kinderzimmer in einem Horrorfilm.

Immer wieder wimmerten mir diese Tulpen durch den Kopf, lautes Mitsingen half nichts, und am halben Morgen war ich so gehirngewaschen, dass ich dachte: Weißt du was, ich gehe in den Keukenhof. Ich war noch nie dort gewesen. Das liegt an meinen Eltern. Meine Eltern hatten sehr genaue Vorstellungen davon, was „richtig“ und „falsch“ ist, und Keukenhof lag in meiner Jugend schrecklich falsch.

Blumenparaden waren auch sehr falsch, genauso wie Wohnwagen, Dips, ein Hund, Weißbrot, alle Autos außer dem 2CV, sogar ganze Länder (Spanien!), ein Haarschnitt statt normaler Haare, bestimmte Musik (Dixieland!), ein Schnurrbart , Filet Americain, Lippenstift, intaktes Geschirr, karierter Stoff, ein Pfannenset, Kokosbrot und Wetterhäuschen.

Blumen könnten auch sehr falsch sein. Wer Tulpen liebte, hat trotzdem VVD gewählt. Faschistische Blumen, diese Tulpen, nur geeignet für Couchtische (falsch) in einem Polizeistaat. Wir Kinder wurden ermutigt, „Feldsträuße“ zu pflücken, „viel schöner als diese steifen Blumen aus dem Laden“. (Geschäfte waren eigentlich auch falsch, aber nicht annähernd so falsch wie „Fabriken“.)

All das hat bei mir eine unheilbare Abneigung gegen Richtig-Falsch-Denken hinterlassen (es ist wieder total angesagt). Es ist also höchste Zeit, den Keukenhof zum ersten Mal an meinem 56. zu besuchen, immer noch mit dieser Erkältung Tulpen von Tiny Tim in meinem Kopf. †Auf Zehenspitzen durchs Fenster / Komm auf Zehenspitzen mit mir durch die Tulpen …

In einem heißen Bus voller Touristen (falsch) wurde ich nach Lisse (falsch) transportiert, eingeklemmt zwischen drei Schweden, die über die Aussprache des Wortes „rijsttafel“ (falsch) diskutierten. Dort ragten bereits die Zwiebelfelder in all ihren geometrischen Schnörkeln auf. Ein konzertiertes „aaaah“ ertönte durch den Bus. †Wenn ich dich im Garten küsse…«, miaut Tiny Tim.

Voller Erwartung betrat ich die Tore des Keukenhofs. Falsche Blumen so weit das Auge reichte. Die Sonne strahlte in Regenbogenfarben auf die feinen Wassertropfen des Brunnens. Und da war auch diese Drehorgel (falsch). Es war sehr groß und sehr schön, und es spielte sehr laut eines meiner Lieblingslieder: ‚Du bist die Sahne in meinem Kaffee‚ (Error).

Tränen stiegen mir in die Augen. Puh! Vorbei war Tiny Tim.

Einen Moment lang habe ich nicht einmal an meine Kindheit gedacht.



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