Oft starrte er schweigend auf die Straßenschilder, die links und rechts an ihm vorbeiblitzten. Oder er scrollte desinteressiert durch sein Handy, während sie an einer Ampel warteten. Im Auto sprach Mauro Júnior (22) nicht, als er beim PSV ein weiteres Spiel auf der Bank hatte.
„Ich habe ihn regelmäßig nach einem Spiel verflucht“, sagt Ruud Sanders. Mit subtilen Fragen versuchte der ehemalige Pflegevater des brasilianischen Fußballers, die eisige Stille zwischen Eindhoven und Nuenen zu brechen, doch eine Antwort blieb aus. „Wenn er nicht Fußball spielen durfte, war er mürrisch.“
Als Ersatz lief Mauro Júnior lange Zeit mit deprimiertem Herzen durch den PSV. Aber aufgeben war keine Option. Jedenfalls wollte er sich seinen Traum erfüllen: bei dem Verein erfolgreich zu sein, der ihm seit seinem 14. Lebensjahr die Möglichkeit gegeben hatte, in Europa Fußball zu spielen.
In dieser Saison erlebt der stämmige Brasilianer (1,71 Meter) seinen endgültigen Durchbruch beim PSV. Am Sonntag spielt er im Pokalfinale gegen Ajax um seinen ersten Hauptpreis als Basisspieler. Nicht als der kreative Mittelfeldspieler, der er war, als der PSV ihn zum ersten Mal in die Niederlande holte, sondern als moderner Außenverteidiger. Trainer Roger Schmidt hat bereits mehrfach die Vielseitigkeit des Multifunktionsspielers und sein Löwenherz gelobt.
Vermietet an Herakles
Der Weg, den Mauro bis zum Anpfiff in De Kuip zurücklegen musste, war lang und besonders. Über ein Fußballinternat in Brasilien und mehrere Praktika beim PSV zur Umgehung der Fifa-Bestimmungen landete er in der Gastfamilie Nuenen bei Ruud und Ans Sanders in der Nähe von Eindhoven. Dazwischen spielte er noch ein Jahr Fußball bei Heracles auf Leihbasis.
Mauro Jaqueson Júnior Ferreira dos Santos, wie er mit vollem Namen heißt, wuchs im Dorf Palmital im Landesinneren Brasiliens auf, etwa vier Autostunden von São Paulo entfernt. Zusammen mit seinen jüngeren Geschwistern wuchs er bei Mutter und Großeltern auf, nachdem sein Vater in jungen Jahren von der Bildfläche verschwunden war. Schon damals wuchs der Wunsch, sich später um seine Familie zu kümmern.
Fußball war der Weg dazu. Mit 12 Jahren verließ er sein Zuhause, um im Internat von Desportivo Brasil zu leben, einem Verein, der in Brasilien dafür bekannt ist, talentierte Fußballspieler aufzunehmen. Dort trainierte er fünfmal die Woche unter einem strengen Regime. Am Wochenende durfte er nach Hause. Wie viele andere brasilianische Talente hoffte Mauro Júnior, eines Tages die Überquerung nach Europa zu schaffen.
„Mauro war ein untypischer brasilianischer Fußballer“, sagte Richard Mettes, der niederländische Agent und Eigentümer der Firma Total Football Agency. Während eines Jugendturniers fiel sein Blick auf den Spieler, der sich neben seiner feinen Technik durch seinen unbändigen Einsatz und seine Spieldisziplin auszeichnete. „Er hat viel mehr so gespielt, wie Fußball in Europa gespielt wird.“
Europäische Klubs haben seinen Spielstil erkannt, aber die FIFA-Regeln verbieten es, 14-jährige Talente zu verpflichten. Seit 2001 erlaubt der Weltfußballverband den Transfer von Fußballern unter 18 Jahren von außerhalb der Europäischen Union nicht. Damit sollen junge Spieler geschützt und der Handel mit talentierten Fußballern verhindert werden. Innerhalb Europas dürfen Fußballer ab 16 Jahren zu einem anderen europäischen Klub wechseln.
PSV-Trick
Um sicherzustellen, dass sich Mauro Júnior im Alter von 18 Jahren für den PSV entscheidet, hat sich der Klub einen Trick ausgedacht. Ab dem 14. Lebensjahr ließ der PSV das Talent für mehrere Wochen nach Eindhoven kommen, verteilt auf zwei Perioden, um zu trainieren und Turniere zu spielen und Spiele mit Gleichaltrigen wie Cody Gakpo, Jordan Teze und Armando Obispo zu üben. „So bekam er ein Gefühl für den PSV und konnte sich an die niederländische Fußballkultur gewöhnen“, sagt Mettes, der seit neun Jahren Berater von Mauro Júnior ist.
Als der brasilianische Jugendnationalspieler in jenen Jahren für einige Wochen in den Niederlanden weilte, nahm ihn der PSV bei Ruud und Ans Sanders in Nuenen auf, wo er zuvor gewohnt hatte, als er mit seinem Klub Desportivo Brasil an einem internationalen Jugendturnier im Brabanter Dorf teilnahm . „Für den PSV ist es schwierig, gegen die reicheren Klubs aus Europa anzutreten, deshalb prüft der Verein, wie er auf andere Weise für Spieler attraktiv werden kann“, sagt Mettes. „Mauro hat mit 16 ein Praktikum bei Liverpool gemacht, hatte aber schon ein gutes Gefühl beim PSV.“
Bei der Konstruktion, Mauro Júnior wochenlang in die Niederlande kommen zu lassen, habe der PSV bewusst nach Schlupflöchern gesucht, sagt Stijn Boeykens. Laut dem Anwalt des Verbands der Vertragsspieler (VVCS) hat die Fifa die Regeln zum Schutz von Jugendspielern ausgearbeitet. „Streng genommen hat der PSV nicht gegen die Regeln verstoßen, weil sie wussten, dass sie Mauro Junior nicht vor seinem 18. Lebensjahr transferieren konnten, aber damit gegen die Absicht des Reglements handelt.“
Der Trick des PSV ist eine Variation eines Tricks, den viele wohlhabende europäische Vereine angewendet haben: Dem Vater eines Talents einen Job zu verschaffen, damit er legal nach Europa kommen kann. So gelang es Barcelona beispielsweise, Lionel Messi im Alter von 13 Jahren aus Rosario in Argentinien nach Spanien zu locken. Feyenoord holte den 12-jährigen Leonardo in den 1990er Jahren nach Rotterdam und brachte den Brasilianer in eine Gastfamilie. Damals gab es noch keine Transfersperre für Spieler unter 18 Jahren.
Die Fifa achtet nun stärker auf die eigenen Regeln, weiß Boeykens. Waren früher die Nationalverbände für die Kontrolle zuständig, prüft nun eine internationale Fifa-Kommission, ob ein Missbrauch vorliegt. „Nationale Verbände wollen manchmal ein Auge zudrücken, aber das Komitee tut es nicht. Sie prüft zum Beispiel, ob es nicht einen anderen Grund als die Arbeit eines Elternteils geben kann. Wenn der Vater plötzlich eine ganz andere Arbeit macht als früher, merkt man das“, sagt Boeykens.
Er selbst sei „nicht für Schlupflöcher“. Laut dem Anwalt bewegt sich das Verhalten des PSV in einer Grauzone. „Infolgedessen sehen und erhalten ungläubige Persönlichkeiten im Fußball immer noch Gelegenheiten, mit jungen Spielern zu hausieren. Der PSV mag sich als ordentlicher Verein präsentieren, aber für mich sucht er die Grenzen des Erlaubten. Niemand weiß, wie viele „gescheiterte“ Mauro Júniors bereits bei De Herdgang vorbeigekommen sind.“ Der PSV wollte auf die Kritik nicht eingehen.
Fünfjahresvertrag
Mehr als einen Monat nach seinem 18. Geburtstag unterschrieb Mauro Júnior 2017 einen Fünfjahresvertrag beim PSV. In einer ruhigen Wohngegend in Nuenen räumte die Familie Sanders den Dachboden für das brasilianische Talent, das fast ein Jahr bei der Gastfamilie bleiben sollte, bevor er in seine eigene Wohnung zog. „Wir kannten Mauro bereits aus früheren Zeiten in den Niederlanden und fanden es gut für die Entwicklung unserer drei Kinder, dass sie mit anderen Kulturen in Kontakt kamen“, sagt Ruud, der als IT-Spezialist im täglichen Leben arbeitet.
Die Familie hatte schon oft brasilianische Fußballer im Haus, merkte aber schnell, dass Mauro Júnior anders war als seine Landsleute. „Die Disziplin war von klein auf da“, sagt Ans. „Wenn wir ihn um halb acht zum Training bringen müssten, wäre er um acht in seinen Trainingsklamotten fertig auf der Couch.“
Gemeinsam mit den Söhnen Sil und Jonas verbrachte er viel Zeit hinter der Playstation. Und wenn es sein Zeitplan zuließ, ging er mit den Brüdern in die Kneipe in Eindhoven. Obwohl Vater Ruud Mauros Disziplin lobt, war er nie ganz beruhigt, als der Fußballer ins Nachtleben von Eindhoven ging. „Im Gegensatz zu meinen Söhnen, die oft etwas länger blieben, habe ich Mauro nachts immer abgeholt. Ich fühlte mich dem PSV gegenüber verantwortlich.“
Beim PSV hüpfte Mauro Júnior nach einer zwischenzeitlichen Leihe bei Heracles jahrelang zwischen Feld und Bank hin und her. Bis Schmidt ihm bei seiner Ankunft vor fast zwei Jahren sagte, dass er sich lieber auf die Abwehrposition als auf das Mittelfeld konzentrieren solle. Als Philipp Max vor der Winterpause ausfiel, nutzte er seine Chance mit beiden Händen und verschwand nicht aus der Mannschaft.
Im Sommer wird Mauro Júnior für fünf Jahre in den Niederlanden sein und er will den niederländischen Pass beantragen. Eines Tages hofft er auf eine Einladung aus der brasilianischen Nationalauswahl, ansonsten ist auch die niederländische Nationalmannschaft künftig eine Option. Aber noch wichtiger: Ein niederländischer Pass öffnet Türen innerhalb der Europäischen Union. Bei einigen europäischen Wettbewerben darf ein Klub eine Höchstzahl an Spielern von außerhalb der EU in der Auswahl haben. Mettes: „Mauro hat viel Talent und will das Beste aus seiner Karriere herausholen.“
In Nuenen fiebert man dem Pokalfinale gegen Ajax mit Spannung entgegen. Mutter Ans hat noch immer regelmäßigen Kontakt zu ihrem ehemaligen Pflegekind. „Wir sehen ihn immer noch als einen von uns“, sagt sie. „Dass er am Sonntag mit dem PSV ein Endspiel bestreiten kann, bedeutet ihm sehr viel. Dafür hat er all die Jahre hart gearbeitet.‘