Wirecard-Chef Markus Braun sagte seinem General Counsel, dass Compliance für den inzwischen zusammengebrochenen deutschen Zahlungsverkehrskonzern „Mist“ und unnötig sei, wie ein Richtergremium des Landgerichts München am Mittwoch anhörte.
Braun und zwei weitere ehemalige Top-Manager werden in einem laufenden Verfahren wegen Betrugs, Unterschlagung sowie Buchhaltungs- und Marktmanipulation angeklagt, nachdem der Konzern im Juni 2020 in die Insolvenz geriet und erklärte, dass in seinen Konten verbuchte 1,9 Milliarden Euro nicht existierten.
Braun, der jegliches Fehlverhalten bestritten hat, hatte zuvor behauptet, er setze sich intensiv für die Verbesserung der Kontrollen und Compliance bei Wirecard ein.
Er behauptete außerdem, dass umstrittene Verträge, die von ihm und anderen Vorstandsmitgliedern genehmigt worden seien, von der Rechtsabteilung von Wirecard geprüft worden seien.
Die frühere Top-Anwältin der Gruppe, Andrea Görres, die im Prozess als Zeugin vernommen wurde, bestritt diese Darstellung und erklärte vor Gericht, dass ihrem kleinen, zwölfköpfigen Team die Ressourcen für umfassende Kontrollen fehlten.
Sie behauptete, der Vorstand von Wirecard habe interne Untersuchungen blockiert, relevante Daten nicht rechtzeitig übermittelt und angeordnet, dass sie persönlich eine Schlüsselprüfung in Singapur durchführen solle, wozu sie keine Zeit gehabt habe. Sie forderte wiederholt mehr Personal, doch das Management ignorierte diese Bitten.
Der Vorsitzende Richter Markus Födisch verlas eine Aussage, die Görres kurz nach dem Zusammenbruch von Wirecard vor Strafverfolgern abgegeben hatte, darunter, dass Braun ihr in einer privaten Sitzung gesagt habe, er wolle kein Compliance-Team, weil es „unnötig und beschissen“ sei.
Görres bestätigte den Inhalt ihrer Aussage, fügte jedoch hinzu, dass sie sich nicht mehr an Brauns genaue Worte erinnern könne. „Aber das war seine allgemeine Einstellung [with regard to compliance].“
Sie sagte, der damalige Finanzvorstand Burkhard Ley teile diese Ansicht. „Er sagte mir, dass eineinhalb Mitarbeiter für die Einhaltung ausreichten“, sagte Görres. Infolgedessen könne das Compliance-Team nur „rudimentäre“ Dienstleistungen erbringen, fügte sie hinzu.
Görres behauptete, dass Topmanager, darunter auch Braun, Rechtsberatung häufig missachteten. Einmal sagte Braun: „Jeder DAX-Chef steht ab und zu mit einem Fuß im Gefängnis“, sagte Görres vor Gericht. Auf die Frage, ob Braun ihrer Meinung nach einen Scherz mache oder es ernst meinte, antwortete sie dem Richter: „Ich fand es nicht lustig.“ Braun habe mehrfach verfügt, dass bestimmte sensible Informationen nicht an den Aufsichtsrat weitergegeben werden dürften, sagte sie.
Görres teilte dem Gericht mit, dass Managern im Jahr 2019 aufgefallen sei, dass bei der Tochtergesellschaft Wirecard Bank keine Dokumentation der Aufsichtsratswahlen 2012 und 2017 vorliege und es Zweifel gebe, ob die gesetzlich vorgeschriebene Abstimmung überhaupt stattgefunden habe. Das Unternehmen hat dieses Protokoll nachträglich erstellt und von den betreffenden Personen unterzeichnen lassen.
Sie teilte dem Richter mit, dass die Rechtsabteilung zu dem Schluss gekommen sei, dass dieses Verhalten nicht kriminell sei, was von Födisch in Frage gestellt wurde. „Ich persönlich hätte nie einen rückwirkenden Vertrag unterzeichnet“, sagte sie und fügte hinzu, sie warnte Führungskräfte, darunter auch den damaligen Buchhaltungsleiter Stephan von Erffa, dass es sich in bestimmten Situationen um Betrug handeln könne.
Das Gerichtsverfahren zu Deutschlands größtem Unternehmensskandal der letzten Zeit begann im Dezember und wird voraussichtlich mindestens bis Mitte 2024 laufen.