Ist das endlich der Start der lang ersehnten Lohnwelle?
Das Tarifergebnis bei der NS kann insbesondere für Arbeitgeber in vergleichbaren Branchen ein Anstoß sein, die Löhne zu erhöhen. Schließlich laufen sie Gefahr, Personal an die Bahn zu verlieren, wenn diese kein konkurrenzfähiges Gehalt bietet. Untersuchungen zeigen auch, dass ein Streik wie der bei NS das Risiko von Arbeitsniederlegungen in ähnlichen Branchen und Unternehmen erhöht. Nicht umsonst organisiert der Regionalverkehr am Freitag eine Kundgebung, um seinem Plädoyer für höhere Löhne Nachdruck zu verleihen.
Allerdings ist fraglich, ob es der Gewerkschaft gelingt, anderswo die gleichen Lohnerhöhungen durchzusetzen: Während bei der NS die Hälfte der Beschäftigten Gewerkschaftsmitglieder sind, ist dies bundesweit nur ein Sechstel.
Was genau wurde vereinbart?
Laut Verhandlungsergebnis, das den Mitgliedern der Gewerkschaften FNV, CNV, VVMC und VHS noch vorgelegt werden muss, werden sich die Arbeitnehmer in den nächsten anderthalb Jahren um 9,25 Prozent verbessern. Obendrauf gibt es noch zweimal eine Auszahlung von 1.000 Euro brutto. Ein weiterer wichtiger Sieg für die Gewerkschaft: Eine Form der Inflationsreparatur steht bevor. Steigen die Preise schneller als die 9,9 Prozent, die das Zentrale Planungsamt für dieses Jahr prognostiziert, und die 4,2 Prozent, die es für das nächste Jahr prognostiziert, kommen weitere 500 Euro brutto pro Prozentpunkt hinzu. Auch der Mindestlohn steigt auf 14 Euro pro Stunde.
Gehen wir mit diesen Vereinbarungen nicht die Gefahr einer Lohn-Preis-Spirale ein?
Die berüchtigte Lohn-Preis-Spirale entstand in den 1970er Jahren, weil die Löhne automatisch mit den Preisen stiegen und die gestiegenen Lohnkosten in den Preisen weitergegeben wurden und so weiter. Davon sind wir 2022 noch weit entfernt. Der durchschnittliche Anstieg der Tarifverträge lag im August nicht über 4 Prozent. Obwohl dies der höchste Wert seit der Kreditkrise ist, sind die Reallöhne im Vergleich zur Inflation selten so stark gefallen wie jetzt.
Während Unternehmen Spielraum für Lohnsteigerungen haben, stellte das Central Planning Bureau kürzlich fest. Immerhin haben sie im vergangenen Jahr Rekordgewinne erzielt, von denen ein kleinerer Teil in die Arbeit geflossen ist (von jedem im Vorjahr verdienten Euro gingen 74,9 Cent an Löhne, im Vorjahr waren es 77 Cent). Eine solide, einmalige Lohnwelle könnte diese schiefe Verteilung korrigieren.
Was ist mit dem NS? Wird der Reisende für erhöhte Lohnkosten aufkommen?
Mit dieser Vereinbarung steigen die Lohnkosten um mehr als 100 Millionen Euro. Laut einem Sprecher kann die NS diese Rechnung nicht direkt an den Reisenden überweisen. Der Vertrag, den das Verkehrsunternehmen mit dem Ministerium für Infrastruktur und Wasserwirtschaft (I&W) hat, sieht vor, dass die Preise für die beliebtesten Karten ab Januar nicht schneller steigen dürfen als die für dieses Jahr im Voraus erwartete Inflation. Für 2023 sind es vorerst 4,2 Prozent. Die NS hat freie Hand bei der Aufstockung weniger beliebter Bahntickets zum Beispiel für Hunde, Fahrräder und Kinder.
Wie wird die NS die Lohnerhöhungen bezahlen?
Die Eisenbahnen sind in einem kniffligen Paket. Den steigenden Lohnkosten stehen sinkende Einkommen gegenüber. Die Corona-Krise hat dem ÖPNV einen schweren Schlag versetzt, wodurch das Unternehmen seit 2020 auf den staatlichen Tropf angewiesen ist. Aufgrund der rückläufigen Reisezahlen schrieb NS Anfang dieses Jahres noch rote Zahlen (-223 Mio.). Aufgrund von Personalengpässen wird in den kommenden Monaten auch die NS in den Stundenplan aufgenommen, was zu noch geringeren Einnahmen führen wird.
Die NS muss sich vorerst nicht an ihren größten Anteilseigner wenden; der Staat. Auf Nachfrage erklärt das Finanzministerium, NS sei ein eigenständiges Unternehmen und müsse selbst bestimmen, wie es den Tarifvertrag finanziere. Allerdings verzichtet der Staat seit der Corona-Krise auf eine Dividende und wird dies auch weiterhin tun, solange kein Gewinn erzielt wird. Darüber hinaus bleibt die Corona-Schutznetzregelung für den ÖPNV in Kraft. Das Ministerium für Infrastruktur und Wasserwirtschaft, an das NS jährlich 414 Millionen Euro für das ausschließliche Recht auf die Eisenbahn zahlt, sagt auch, dass es keine Diskussionen über eine Anpassung dieses Betrags nach unten gegeben habe. Das wäre auch nicht möglich, da es auf 10 Jahre festgelegt ist.