„Lebensbedrohlicher“ Datenschutzverstoß bei Kadaster: Was genau ist los?

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Skulptur Rhonald Blommesteijn

Ein schwerwiegendes Leck, kindisch leicht zu missbrauchen, unbefugter Zugriff und eine „große Gefahr“ – in den Worten der Aufsichtsbehörde, die für den Schutz personenbezogener Daten verantwortlich ist. Ein Experte sprach sogar von „lebensbedrohlichen Situationen“. Es war klar: Die Niederlande sind diese Woche einer Katastrophe entgangen.

Aber was genau war los? RTL-Nachrichten entdeckte, dass es im Grundbuch, dem Register mit Informationen über Häuser und Grundstücke, ein „schwerwiegendes Leck“ gab. Jeder, der ein Eigenheim besitzt, ist dabei, genau wie jedes Stück Land in den Niederlanden.

Über den Autor
Huib Modderkolk ist investigativer Journalist bei de Volkskrant, mit besonderem Schwerpunkt auf Cybersicherheit und Nachrichtendiensten. Er hat mehrere Journalistenpreise gewonnen und ist unter anderem Autor des Buches Es ist Krieg, aber niemand sieht ihn. Zuvor arbeitete er bei NRC.

Laut RTL sei es „kinderleicht“ gewesen, an diese Informationen und den „geschlossenen Teil“ des Katasters zu gelangen, zu dem normalerweise nur Notare und Gerichtsvollzieher Zugang hätten. „Millionen Wohnadressen“ waren für jedermann leicht erreichbar. „Die sensiblen Informationen sind für Kriminelle und andere Böswillige Gold wert“, sagte RTL. Mehr zu den genauen Details dieses Leaks später.

„Eine große Gefahr für bedrohte Journalisten, Aktivisten und Politiker“, fügte Aleid Wolfsen, Vorsitzender der niederländischen Datenschutzbehörde (AP), sicherheitshalber hinzu. „Jemand könnte vor ihrer Haustür auftauchen und sie bedrohen, oder noch schlimmer.“

Aber warte. Wann war diese langweilige Datenbank mit geschützten Informationen in Verruf geraten und zu einer Goldgrube für Kriminelle geworden? Ist das Kataster nicht doch ein öffentliches Register, in dem jeder Bürger – seit 1838 – Informationen anfordern und erhalten kann?

Man muss bis zu Artikel 1265 des ersten Bürgerlichen Gesetzbuchs scrollen, aber dort heißt es ganz klar: „Allen, die dies wünschen, gestatten Sie die Einsicht in ihre Register und übermitteln Sie eine Kopie der Urkunden.“ Und als das Gesetzbuch von 1838 1992 eine zeitgemäße Fortsetzung erhielt, blieb die öffentliche Zugänglichkeit der Ausgangspunkt. „Auf Anfrage gewährt der Dienst Zugang zu öffentlichen Registern.“

Der Grund ist einfach, erklärt Anna Berlee, Professorin für Datenschutz und Persönlichkeitsrecht, die 2018 mit einer Studie über das Kataster promovierte. „Um die Rechtssicherheit zu fördern.“ „Wenn Sie ein Haus kaufen möchten, ist es gut zu wissen, dass die Person, von der Sie es kaufen, auch der tatsächliche Eigentümer ist.“

Im Laufe der Zeit haben zwei Entwicklungen stattgefunden: das Internet und in seinem Zuge eine stärkere Berücksichtigung der Privatsphäre. Während es im 19. und weiten Teilen des 20. Jahrhunderts viel Zeit und Geld kostete, Informationen physisch in den verschiedenen Kataster-Büros zu sammeln, kann dies heute in wenigen Minuten erledigt werden. „Wir haben die Offenlegung von Informationen immer einfacher gemacht – das ist gut für die Rechtssicherheit –, aber wir haben zu wenig auf die Folgen für die Privatsphäre geachtet“, sagt Berlee.

In den 1990er Jahren war das bereits der Fall. Berlee verweist auf den Artikel über die „schmutzigen kleinen Männer“, der 1999 zu einer Änderung des Grundbuchgesetzes führte. Die vollständigen Daten der Mitarbeiter von Notariaten wurden in einer Urkunde aufgeführt, wenn sie als Bevollmächtigte fungierten. Dadurch wurden auch ihr Familienstand und ihre Wohnadresse veröffentlicht. Nach der Gesetzesänderung entfielen diese Daten.

Danach waren es Exzesse, die das Unbehagen über den öffentlichen Charakter von Kadaster verstärkten. Berlee: „Es geht in Zyklen.“ Ein Zwischenfall, parlamentarische Anfragen und dann wieder Schweigen.‘ Die Zahl der Vorfälle scheint in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren zugenommen zu haben.

Es gab die Namen der Opfer des Groninger HIV-Falls. Ihnen sei auf Sexpartys Blut mit einer Nadel verabreicht worden, die HIV-infiziertes Blut enthielt. Die Polizei versuchte, ihre Namen aus den Medien herauszuhalten. Als ein Anwalt im Namen der Opfer das Vermögen der Täter beschlagnahmen ließ, wurden die Daten der Opfer im Grundbuch eingetragen.

Es gab den rechtsradikalen Vizier Op Links, der Aufkleber an die Haustüren von Politikern, Wissenschaftlern und Journalisten klebte. Und da war Virus Truth-Vorarbeiter Willem Engel, der die Privatadresse der D66-Anführerin Sigrid Kaag beim Werbespot Kadasterdata.nl bestellte und über soziale Medien verbreitete. Das soziale Klima, angeheizt durch anonyme Menschen auf Twitter und Facebook, verhärtete sich. Dutzende Abgeordnete erhalten nun irgendeine Form von Sicherheit.

Also hatte das Grundbuchamt begonnen, sich zu verändern. Seit 2015, sagt Berlee, gibt es interne Richtlinien, um einige Wohnadressen abzuschirmen. Sie erzählt von einer Frau, die einen Ehrenmord durch ihre Familie fürchtete. Sie erhielt von der Wohnungsbaugesellschaft ein Angebot, ihr Haus zu kaufen. „Sie wollte das tun, hatte aber Angst vor den Konsequenzen.“ Sobald sie Eigentümerin des Hauses würde, könnte ihre Adresse über das Grundbuchamt erfragt werden. Nach Kontaktaufnahme mit dem Dienst wurde ihre Adresse gesperrt, eine Möglichkeit, die ab 2018 nur noch für ganz Ausnahmefälle gesetzlich vorgesehen war.

Beispielsweise erhielten bedrohte Personen, die von der Regierung überwacht werden – das bekannteste Beispiel ist PVV-Chef Geert Wilders – die Möglichkeit, Daten zu schützen. Die Bedingungen dafür sind sehr streng: Nur etwa zweihundert Personen stehen auf der Liste.

Zurück zu diesem „schwerwiegenden Leak“ von RTL. Denn bedeutete dies, dass Unbefugte Zugriff auf die Privatadresse von Geert Wilders hatten? Nicht das.

Das Problem ist nuancierter. Der Kataster bietet die Möglichkeit, nach „Objekten“, beispielsweise einer Adresse, zu suchen. Jeder hat das Recht, diese Informationen anzufordern. Ohne Einschränkungen, bis auf eine kleine Zahlung. Wer aber auch andersherum – also namentlich – suchen möchte, für den gibt es eine Anhebung der Schwelle: Hierfür ist ein Geschäftskonto mit IHK-Registrierung erforderlich. Es war möglich, ein gefälschtes Konto zu erstellen, indem man die Handelskammernummer einer anderen Person eingab. Die Kontrolle sei minimal gewesen, sah RTL. Kadaster untersucht, ob eine missbräuchliche Nutzung stattgefunden hat, konnte aber noch keine konkreten Fälle feststellen.

Dieses „Leck“ und die Aufregung darüber werfen jedoch einen Schatten auf das eigentliche Problem. Denn der „geschlossene Teil“, der für Immobilienmakler und Notare bestimmt ist, ist in der Praxis überhaupt nicht geschlossen. Es gibt dreißigtausend professionelle Kadaster-Konten, und dazu gehören nicht nur Makler, sondern auch Finanzinstitute, Medien und sogar Bäcker und Metzger. Sie können von jedem Haus- oder Grundstückseigentümer sehr persönliche Daten anfordern. Unbegrenzt und legal.

Das ist der niederländischen Datenschutzbehörde ein Dorn im Auge. Nach Ansicht des Vorsitzenden Wolfsen sollen Anträge nur dann möglich sein, wenn jemand ein berechtigtes Interesse hat, etwa ein Notar oder ein Nachbar, der wissen möchte, wo die Katastergrenzen verlaufen.

In Deutschland funktioniert das bereits so. Und dann nur die Informationen, die wirklich notwendig sind, wie es die Datenschutzgesetze (AVG) vorschreiben. Im Jahr 2022 entschied der Europäische Gerichtshof beispielsweise, dass das Ubo-Register, das angibt, wer ein Unternehmen besitzt oder kontrolliert, zu viele Informationen preisgibt. Minister Kaag (Finanzen) hat beschlossen, die gesamte Datenbank offline zu nehmen. Neben dem Kataster, dem Handelsregister und dem Ubo gibt es mindestens sechzig öffentliche Register, die personenbezogene Daten enthalten.

Wer beim Grundbuchamt eine Übertragungsurkunde anfordert, sieht sofort alles: Höhe der Hypothek, Passnummer, Familienstand, Name und Geburtsdatum des Partners. Berlee: „Das können im konkreten Fall alles relevante Informationen sein, oft sind es aber viel mehr, als man eigentlich braucht.“ Allerdings besteht derzeit keine Möglichkeit, sehr gezielte und spezifische Informationen aus Urkunden abzufragen und so zu differenzieren. Alles oder Nichts.‘ Wolfsen: „Das macht neugierig.“ Misshandeln. Bis zur Anforderung aller Arten von Daten, die nicht erforderlich sind. Der Maßstab lautet: Was privat ist, muss privat bleiben.“

Deshalb möchte AP-Vorsitzender Wolfsen, dass das Grundbuchamt und andere Register den Zugang beschränken, was seit 1838 auch gesetzlich vorgeschrieben ist. „Der Kataster muss sich an das AVG halten, welches das übergeordnete Gesetz darstellt“, sagt Wolfsen. „Die Art und Weise, wie Kadaster jetzt Daten weitergibt, ist veraltet.“ „Wir entdecken jetzt, dass es schon immer falsch war.“



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