Läuft die niederländische Claim-Kultur aus dem Ruder? „Große Unternehmen verstoßen wissentlich gegen die Regeln“

Laeuft die niederlaendische Claim Kultur aus dem Ruder „Grosse Unternehmen verstossen


Die Zahl der Massenschadensersatzklagen in den Niederlanden nimmt zu. Seit einer Gesetzesänderung im Jahr 2020 haben sich die Möglichkeiten dazu erheblich erweitert. Es ist bereits ein großes Geschäft, das Milliarden verlangt. Werden die Niederlande behaupten, zerstört zu sein?

Martin Albers6. Juni 202220.00

Gehen die Niederlande hinter den Vereinigten Staaten her, wo Unternehmen in scheinbar sinnlosen und aussichtslosen Klagen verklagt werden? Nachdem auch große Prozessfinanzierer die Niederlande als aussichtsreiches Schadengebiet entdeckt haben, droht unter niederländischen Großunternehmen und ihren Anwälten das Gespenst von Mückensiebung und exorbitanten Schadensersatzforderungen.

In den USA wurde Subway verklagt, weil die fußlangen Sandwiches zu kurz waren, Red Bull, weil der Energydrink keine Flügel verlieh, und Starbucks, weil die Kaltgetränke zu viel Eis – und damit zu wenig Getränk – enthielten. Wir sollten solche „amerikanischen Situationen“ in den Niederlanden nicht wollen, so klingt es aus der Ecke der Anwälte, die in den Niederlanden oft Angeklagte in solchen Fällen verteidigen.

Dennoch wird erwartet, dass die Zahl der Massenschadensfälle in den kommenden Jahren zunehmen wird. Seit 2020 ermöglicht das Massenschadensausgleichsgesetz (siehe Kasten) die Geltendmachung einer kollektiven Entschädigung für eine Gruppe von Opfern. Und das passiert, komplett mit Geld von Investoren, zum Beispiel in einem Massenverfahren gegen Apple und Google.

Hauptsitz in New York

„Der Drittfinanzierer ist im Besitz von Fonds und verwalteten Konten, die letztendlich von Unternehmen verwaltet werden, die mit Fortress Investment Group LLC verbunden sind. Die Fortress-Gruppe hat ihren Hauptsitz in New York.“ Es braucht viele Worte, aber es ist da, ganz unten auf der FAQ-Webseite der Big Tech Fair Play Foundation. Mit dieser Stiftung will Internetunternehmer Alexander Klöpping im Namen von Millionen Niederländern Schadensersatz von den Tech-Riesen Apple und Google fordern, weil diese in ihren App-Stores zu hohe Provisionen verlangen würden. Klöpping ist nicht allein. Ende März sah er sich der Konkurrenz eines anderen aufstrebenden Apple-Kundenanwalts ausgesetzt.

Gäbe es einen Schreibtisch, an dem sich alle mit einer Sammelklage melden müssten, wäre es dort in letzter Zeit eng. Auch Airbnb, Tiktok, die NS und Airbus wurden in den vergangenen zwei Jahren einer solchen Massenklage ausgesetzt. Auch der niederländische Staat ist nicht sicher: Opfer der Datenschutzverletzung in den GGD-Systemen fordern nicht weniger als 3,2 Milliarden Euro vom Gesundheitsministerium.

Steigt die Zahl der Sammelklagen in den Niederlanden also stark an? „Sie sind vor allem sichtbarer geworden, weil jetzt alle Fälle in ein Register eingetragen werden“, sagt Ianika Tzankova, Rechtsanwältin und Professorin für Massenschäden an der Universität Tilburg. Aber die Möglichkeiten solcher Fälle wurden mit dem Gesetz über die Abwicklung von Massenschäden in kollektiver Aktion (Wamca) erweitert. Darüber hinaus hat der Europäische Gerichtshof Ende April entschieden, dass Verbraucherorganisationen auch die Datenschutzgesetze der DSGVO nutzen können, um Sammelklagen einzuleiten.

Laut Adriaan De Gier, der seit fünfzehn Jahren in verschiedenen Positionen in dieser Art von Geschäft tätig ist, gibt es immer mehr Situationen, in denen Massenschäden auftreten. „Schaden wird nicht erfunden: Unternehmen richten Schaden an und das führt zu einem Schaden. Die Frage ist nur, wer ihn abholt. Es gibt Leute, die denken, dass große Unternehmen grundsätzlich richtig handeln, aber in vielen Fällen ist das überhaupt nicht der Fall. Vor allem große Unternehmen verstoßen bewusst gegen die Regeln.“

Statue Marco Heizer

Opportunismus und das große Geld

Doch wegen Prozessfinanzierern wie Fortress sehen Kritiker von Massenschadensfällen einen Hauch von Opportunismus und großem Geld. Als Gegenleistung für einen Teil der möglichen Entschädigung schießen diese Investoren die pfeffrige Anwaltsrechnung vor. Die Idee stammt aus dem angelsächsischen Raum, die ersten niederländischen Unternehmen folgten vor mehr als zehn Jahren. Entsprechend den Aktivitäten von Fortress und anderen interessieren sich ausländische Finanziers auch für niederländische Forderungen.

Das liegt nicht nur daran, dass das niederländische Rechtssystem gut funktioniert und die Anwaltsgebühren relativ niedrig sind, sondern auch daran, dass die Niederlande in Europa Vorreiter bei den Möglichkeiten rund um Massenschadenersatzverfahren sind.

Dennoch sei es laut Adriaan de Gier, derzeit Projektleiter der Klage gegen das Gesundheitsministerium, nicht so einfach, Kreditgeber zu finden. „Das Risiko für den Geldgeber ist sehr hoch“, erklärt er. „Man muss ein paar Millionen ausgeben, dieses Geld jahrelang verlieren, und die Beweislast liegt bei den Klägern. Außerdem ist der Ausgang eines Falls schwer vorhersehbar, sodass man erst am Ende weiß, ob man sein Geld zurückbekommt.“

Aber opportunistische Kreditgeber greifen laut Daniella Strik die neuen Möglichkeiten des Gesetzes eifrig auf, was die Zahl der Fälle erhöht. Strik, der als Anwalt oft Angeklagte vertritt: „Es ist gut, dass im Rechtssystem Gerechtigkeit herrscht. Aber Sie sehen jetzt, dass Interessenvertretungen und Anwälte darum herum ihr eigenes Geschäftsmodell entwickelt haben, bei dem sie auch kollektive Aktionen starten, bevor es überhaupt eine Unterstützungsbasis gibt.‘

Positive Seiten

Finanziers stecken ihr Geld nicht einfach in ein Verfahren, versichert Sara Liesker von Liesker Process Financing. Ihr Unternehmen, Marktführer in den Niederlanden und Kreditgeber hinter dem Verfahren gegen das Gesundheitsministerium, beschäftigt ehemalige Anwälte und Richter, die beurteilen, welche Ansprüche erfolgsversprechend sind. Es liegt auch im Interesse des Geldgebers, hoffnungslose oder überhöhte Forderungen auszusortieren.

Zudem zähle laut Liesker nicht nur die Gewinnchance: „Wir schauen auch, wer Kläger und Beklagter sind und ob es sich um eine Sympathieklage handelt. Wir finanzieren also nicht alles, womit wir Geld verdienen können. Aber wir wollen auch gewinnen und unsere Investition zurückbekommen. Der Schornstein muss weiter rauchen.“

Und das Rauchen wird den Schornstein hinuntergehen, wenn der GGD-Fall gewonnen wird. Dann kann das Unternehmen bis zum Fünffachen der entstandenen Kosten zurückerhalten. Notwendig, um Risiken abzusichern und verloren gegangene Verfahren zu kompensieren, sagt Liesker. Anwälte großer Unternehmen, die ihr Unbehagen über das Geld äußern, das durch Sammelklagen verdient wird, sollten ihrer Meinung nach in den Spiegel schauen: „Gerade das Verdienstmodell der Anwälte macht eine Prozessfinanzierung notwendig, neben der Tendenz der Unternehmen dazu Zahlen Sie die Opfer so spät und so niedrig wie möglich.

Aufgrund dieser Raten können nur Organisationen mit großen Taschen gegen die großen Schadensursachen antreten. Die Geldgeber garantieren damit den Opfern den Zugang zur Justiz. „Es ist ein Kompromiss zwischen zwei Übeln“, sagt der Privatrechtsprofessor Willem van Boom. „Ohne die Finanziers würden solche Forderungen niemals vor Gericht kommen. Übrigens: Geld verdienen auf dem Rücken anderer ist im Anwaltsgeschäft alltäglich. Die Kunst ist, das in Grenzen zu halten.“

Unbehagen im Sitzungssaal

Doch die Behauptungen verursachen in den Vorstandsetagen eine Menge Unannehmlichkeiten, findet Anwalt Strik. „Unternehmen sind bereit, ihre Fehler zuzugeben, aber es ist schwierig, Kirschen zu essen, wenn übermäßige Schadensersatzforderungen gestellt werden. Dann erscheint es sinnlos, in eine Diskussion über einen Vergleich einzutreten, und Sie müssen Kosten für Ihre Verteidigung tragen. Die Kläger haben jetzt ein riesiges Brecheisen in der Hand, um im Namen aller Opfer Schadensersatz zu fordern.‘

Aber selbst dieses Brecheisen öffnet nicht alle Türen im Gerichtssaal. Die Kläger müssen nach wie vor nachweisen, dass sie eine Anhängerschaft haben, und müssen daher umfangreiche Aufzeichnungen über Opfer erstellen, die die Klage unterstützen, entschied das Amsterdamer Gericht kürzlich (siehe Kasten). „Dies ist im Hinblick auf Datenschutzfragen besonders heikel“, erklärt die Professorin für Massenschäden Tzankova. „Die Idee hinter dem neuen Gesetz war auch, dass dies nicht nötig wäre.“

Diese und andere aktuelle Urteile legen die Messlatte für Kläger noch höher. Opportunistische Ansprüche und überhöhte Schäden scheinen vor niederländischen Gerichten keine große Chance zu haben. Behauptungen über „amerikanische Verhältnisse“ und eine ausufernde Claim-Kultur finden die meisten Beteiligten daher nicht gerechtfertigt.

Apropos amerikanische Situationen, die notwendige Mythenbildung scheint auch in den USA stattgefunden zu haben. In vielen der bekannten Beispiele wurde den Klägern überhaupt nicht recht gegeben. Lediglich Red Bull zahlte eine Abfindung in Höhe von 13 Millionen Dollar (12 Millionen Euro) an Nutzer, die von der Wirkungsweise des Energy-Drinks enttäuscht waren. Der Richter wies den Vergleich von Subway als Müll ab, und Starbucks wurde vollständig freigesprochen. So gesehen ist es noch nicht so schlimm mit der amerikanischen Situation.

Wamca: Gesetz für Massenschaden

Das Act on the Settlement of Mass Damage in Collective Action (Wamca, 2020) ermöglicht es, im Namen einer Gruppe von Opfern kollektiv Schadensersatz zu fordern. Dabei handelt es sich hauptsächlich um sogenannte Streuschäden, relativ geringe Schäden an einer großen Personengruppe. Bisher konnten Schadensverursacher haftbar gemacht werden, aber jedes Opfer musste eine eigene Entschädigungsregelung treffen.

Eine Stiftung oder ein Verein, der nachweist, dass er die Interessen von Opfern vertritt, kann nun eine Klage auf der Grundlage des sog ablehnen† Im Schadensfall können grundsätzlich alle Geschädigten ihren Anteil geltend machen, auch wenn sie sich vorher nicht als Mitkläger gemeldet haben.

Drei auffällige niederländische Massenschadensersatzforderungen

Das Privacy Collective vs. Oracle & Salesforce
Datenschutzexperten zufolge haben die Softwareunternehmen Oracle und Salesforce ohne Erlaubnis Daten von Internetnutzern gesammelt. Die Klage, eine der ersten nach dem neuen Wamca-Gesetz, scheiterte an den 75.000 „Likes“, die von The Privacy Collective zur Unterstützung gesammelt wurden. Unzureichende Beweise dafür, dass die Stiftung eine Anhängerschaft hat, befand der Richter. Die Stiftung ist grundsätzlich anderer Meinung und wird Berufung einlegen.

Icam Foundation versus Gesundheitsministerium
Enthüllt im Januar 2021 RTL-Nachrichten dass Mitarbeiter der GGD in großem Umfang private Daten von Niederländern an Kriminelle verkauft hatten. Das Ministerium hat den 1.250 Opfern, deren Daten sicher gestohlen wurden, 500 Euro Entschädigung angeboten, aber Icam fordert 1.500 Euro für sie und weitere 500 Euro für die anderen 6,5 Millionen, deren Daten gestohlen werden könnten.

Behauptungen der Foundation App Stores gegen Apple und Google
Apple und Google verlangen für Zahlungen in ihren App-Stores Provisionen von bis zu 30 Prozent. Kartellbildung laut App-Entwicklern. Alexander Klöpping glaubt, dass der finanzielle Schaden für niederländische Nutzer 1 Milliarde Euro betragen könnte, und er will dieses Geld zurückbekommen. Apple wurde nun vorgeladen, Gespräche mit Google laufen noch.



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