Können wir die Nachteile des Autos beseitigen, ohne die individuelle Freiheit einzubüßen?

Koennen wir die Nachteile des Autos beseitigen ohne die individuelle


Statue Michel Keppel

Die Zukunft des Autos

Das Auto, wie wir es kennen, wird verschwinden, wird oft prophezeit. Der Verbrennungsmotor wird durch einen Elektromotor ersetzt, das Privatauto weicht geteilten Autos, die per App auf Abruf verfügbar sind. Der Fahrer wird durch das selbstfahrende Auto überflüssig. Technologie-Gurus stellen sich eine Zukunft mit sauberen Autos vor, die keine Unfälle mehr verursachen. Wie realistisch sind ihre Szenarien? Würden die Leute nicht lieber selbst fahren, in ihrem eigenen Auto? Eine Erkundung der Zukunft in drei Teilen: das Elektroauto (1)das geteilte Auto (2) und das selbstfahrende Auto (3).

Sind Sie bereit?“, fragt Carlo van de Weijer, Autoexperte und Direktor des Instituts für KI-Systeme an der Technischen Universität Eindhoven. Er drückt auf das Power-Pedal seines Elektro-Porsche Taycan. In 2,5 Sekunden wandert ein Kribbeln von meinem Schädel bis zu meinen Zehen, solange der Porsche braucht, um von 0 auf 100 Stundenkilometer zu beschleunigen.

Das Elektroauto ist nicht länger eine sinnvolle, aber langweilige Wahl für die Umwelt. Es ist leise, schnell, glatt und cool. Bis 2035 wird der Verkauf von neuen Autos mit Verbrennungsmotor in der Europäischen Union beendet sein. Damit einher gehen eineinhalb Jahrhunderte Autopie, das Versprechen individueller Freiheit durch das Auto mit Benzin- oder Dieselmotor. Das Auto brachte tatsächlich Freiheit, aber auch Umweltverschmutzung, globale Erwärmung, Staus und unzählige Verkehrstote.

Mit dem Ende des Verbrennungsmotors wird zunehmend ein zweites „Autopie“ formuliert, das darauf abzielt, die Nachteile des Autos zu beseitigen, ohne die individuelle Freiheit einzubüßen. Das Auto der Zukunft wird sauberer, weil es mit grüner Energie fährt. Er wird auch sicherer sein, weil er selbst fährt und der Computer nie hinter dem Steuer döst. Da es ständig mit anderen Autos kommuniziert, wird der Verkehr effizient über das Straßennetz verteilt, sodass es nie wieder zu Staus kommt. Das Ziel von General Motors ist „eine Zukunft mit null Autounfällen, null Emissionen und null Staus“, sagte CEO Mary Barra.

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Wie glaubwürdig ist dieser Zukunftstraum? Wird die Technologie so gut, wie die Tech-Gurus versprechen? Und wollen die Leute das? Wagt er sich dem selbstfahrenden Auto zu ergeben? Wird er auf die körperliche Freude am Autofahren verzichten?

Ein erster Schritt ist jedenfalls getan: die Elektrifizierung des Autos. „Das Auto wird sauberer, sicherer und komfortabler. Bald steht er auch selbst im Stau“, sagt Carlo van de Weijer. „Dadurch wird es nur noch attraktiver, auch in Bezug auf den öffentlichen Verkehr.“

Genau das ist das Problem, sagt Hans Jeekel, ehemaliger Professor der Technischen Universität Eindhoven, der jetzt daran arbeitet Verantwortliches Mobilitätslabor, in dem er mit Masterstudierenden und Experten klimapolitische Alternativen zur Mobilität entwickelt. Während das Klima dazu auffordert, die Mobilität zu reduzieren, erscheint das Elektroauto als „deus ex machina“, sagt Jeekel, der verspricht, dass wir so weiterfahren können, wie wir es gewohnt sind, solange wir es elektrisch tun.

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Elektroautos sind klimafreundlicher als Benzin- oder Dieselmodelle. Während ihres Lebenszyklus stoßen sie 50 bis 60 Prozent weniger CO aus2 als Autos mit Verbrennungsmotor. Laut dem internationalen Klimagremium IPCC kann dieser Prozentsatz auf 85 Prozent steigen, wenn sie vollständig mit Ökostrom betrieben werden. Laut Van de Weijer können sie auf lange Sicht sogar 100 Prozent weniger emittieren, wenn die Produktion der Autos auch komplett nachhaltig ist.

Aber im Moment sind sie es noch nicht Null Emission, obwohl einige Hersteller dies behaupten. Bei der Produktion eines Elektroautos, insbesondere der Batterien, fällt CO an2 ausgewiesen. Außerdem braucht es Rohstoffe, darunter das knappe Kobalt. Auch die Zahl der Autos wird weltweit stark zunehmen, einigen Schätzungen zufolge von heute 1,4 Milliarden auf 2,5 Milliarden im Jahr 2050.

Zudem werden immer noch deutlich mehr Benziner als Elektroautos verkauft. Anfang 2022 lag der Marktanteil von Autos mit Verbrennungsmotor in Europa bei über 80 Prozent. „Stellen Sie sich einen Schuhkarton vor, den Sie noch Tag für Tag mit fossilen Brennstoffen füllen“, sagt Jeekel. Bis 2050 werden fast alle elektrisch fahren, aber wenn bis dahin zu wenig passiert, wird die Erderwärmung unumkehrbar sein, befürchtet er.

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Im Gegensatz zu Van de Weijer glaubt Jeekel nicht, dass Innovation ausreicht, um den Klimawandel zu bekämpfen. Ihm zufolge ist ein anderer Lebensstil notwendig: Weniger Kilometer fahren, öfter das Auto teilen, das Fahrrad oder öffentliche Verkehrsmittel nehmen. Das ist auch das Fazit von Ziel Paris, ein Bericht über die Umsetzung der Klimapolitik einer Arbeitsgruppe unter der Leitung von Laura van Geest, der ehemaligen Direktorin des Zentralen Planungsbüros: „Die Gesamtzahl der gefahrenen Kilometer muss sinken, was eine Verhaltensänderung erfordert.“ Der Planet setzt uns Grenzen, sagt Jeekel: „Die Erde stimuliert immer alle Mobilität, damit kann die Erde wirklich nicht umgehen, besonders wenn wir global schauen und allen Schwellenländern ihre Mobilität ermöglichen.“

Während Energie und Rohstoffe knapp sind, setzt die Automobilindustrie den Trend zu immer größeren, schwereren und schnelleren Modellen fort. Tesla hat einen Roadster mit einer Höchstgeschwindigkeit von 400 Stundenkilometern angekündigt. Auch der unhandliche Hummer kehrt elektrisch zurück und beschleunigt jetzt in 3,5 Sekunden von 0 auf 100. Ein Sportwagen in der Karosserie eines Lastwagens.

Die Elektrifizierung ist eine Möglichkeit, eine Autokultur aufrechtzuerhalten, die sich um Status, Geschwindigkeit und PS dreht, sagen Kritiker. „Die Autos sind zwar größer geworden, aber das liegt vor allem daran, dass die Menschen reicher geworden sind. Im Gegensatz zu Hans Jeekel glaube ich leider nicht an einen signifikanten Effekt der Verbrauchsreduzierung“, sagt Van de Weijer. „Ich befürchte, dass die Menschheit sich selbst aussterben lässt, bevor sie einen strukturellen und bedeutenden Schritt zurück in Komfort macht.“

Deshalb sei das Elektroauto ohnehin eine enorme Verbesserung, sagt er. „Das Elektroauto bietet im Gegensatz zum fossil betriebenen Auto die Möglichkeit, langfristig komplett nachhaltig zu fahren. Innovation ist die einzig ernsthafte Option zur Flucht aus der Dystopie.“

Nächste Woche Teil 2: Das geteilte Auto.



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