Klemens Patijn: „Manche Menschen verdanken ihr gutes Gewissen einem schlechten Gedächtnis“

Klemens Patijn „Manche Menschen verdanken ihr gutes Gewissen einem schlechten


„Klavierstimmen“ der Theatergruppe Goed Gezelschap im Umzugsschuppen in Breda.Statue Jan Amse

Fünf Flügel und elf Klaviere sind auf dem Weg zu einem Lager in Breda. Sie sind nicht nur eine Sammlung von Musikinstrumenten. Die Erards, Bösendorfers, Bechsteins und Blüthners sind Charaktere: spielende Zeugen in der Musiktheateraufführung Klavierstimmung, ein Bericht über Raubkunst und Gewissensbisse. Ab Mittwoch ist Klavierstimmung vier Tage lang in einem Umzugsschuppen am Tilburgseweg in Breda ausgestellt. Die Aufführung wandert dann nach De Gasfabriek in Deventer und ins Museum ‚t Kromhout in Amsterdam.

Schauspieler und Theatermacher Klemens Patijn (45), Schöpfer von KlavierstimmungSeine schwarzen Haare ließ er sich eigens für die Tour zu einem 30er-Jahre-Headpiece schneiden, mit engem Scheitel und gut sichtbaren Ohren. „Wir verleihen diesen Flügeln mit neuen Kompositionen, enger Harmonie und dem Stimmenspiel in so einem Po-Ticker, einem Frack für Konzertpianisten. Während des Zweiten Weltkriegs wurden sie aus den Häusern jüdischer Familien geraubt. Sie konfrontieren Klavierstimmer Jacobus Kromm, gespielt von Jaap Dieleman, mit den verborgenen Geschichten über ihre Herkunft und das dramatische Leben der rechtmäßigen Besitzer. So gerät Kromms Gewissen in einen Kampf mit zehn musizierenden Händen und fünfzig klopfenden Fingern. Diese geplünderten Instrumente rein klingen zu lassen, hat eine unangenehme Konnotation.‘

Die Idee zu einer Musiktheateraufführung über aktuelle Kontroversen um Raubkunst entstand vor acht Jahren, als der Schauspieler, bekannt aus Filmen und Fernsehserien wie z Die Hölle von 63, Kriegswinter, Cops Maastricht und CastingX Sie wurde gebeten, bei einem Abschlussfilm mitzuwirken. „Eine Studentin Mitte Zwanzig hatte ihr antikes Badezimmer in einem Haupthaus in Amsterdam Oud-Zuid als Drehort zur Verfügung gestellt. Später stellte sich heraus, dass das ganze Haus ihr Eigentum war. Auch ihr Bruder und ihre Schwester besaßen eine solche monumentale Villa, die ihnen ein Großvater geschenkt hatte. Als Makler während des Krieges hatte er diese Häuser für fast nichts gekauft. Ich war sofort in der Frage verstrickt: Können Sie sich jetzt an Eigentum erfreuen, das möglicherweise illegal erworben wurde? Ist es nicht unsere Pflicht, zumindest neugierig auf seine Herkunft zu sein?‘

Schauspieler und Theatermacher Klemens Patijn.  Statue Fitz van der Veer

Schauspieler und Theatermacher Klemens Patijn.Statue Fitz van der Veer

Patijn durchsuchte die Archive des NIOD, des niederländischen Instituts für Kriegs-, Holocaust- und Genozidstudien, nach Informationen über Enteignung und Kriegskunst. Er las über das sogenannte „Pulsing“, die Wohnungsräumung nach Abschiebungen durch die Umzugsfirma des Amsterdamer Unternehmers und NSB-Mitglieds Abraham Puls. Und als fanatischer Klavierspieler hörte Patijn vom Klavierrestaurator Theodoor Dekker von Nazi-Stempeln in den Deckeln von Cembali und Doppelflügeln (gepaarte Instrumente, die mit vier Händen gespielt werden können). „Es stellte sich heraus, dass diese sehr schweren Instrumente systematisch aus Häusern gestohlen wurden. Ganze Züge wurden nach Deutschland transportiert. Wer fliehen muss, untertaucht oder abgeschoben wird, legt so ein kostbares Instrument nicht so schnell irgendwo hin. So kam ich auf die Idee, in einer alten Klavierstimmerwerkstatt, der Löwengrube, Klaviere und Flügel als Zeugen aufzuführen. Sie sind emotional mit den Erinnerungen der rechtmäßigen Besitzer verbunden und befragen den Klavierstimmer zu seinen Handlungen und Entscheidungen.‘

Patijn beschäftigt sich nicht nur mit Raubkunst, Enteignung und der Frage der Restitution, sondern macht sich nach und nach auch an Verbrechen mitschuldig. „Das lässt sich im Nachhinein natürlich leicht beurteilen. Aber was tun Sie, wenn Sie sich in einer solchen Situation befinden?‘ In der Aufführung spielt Patijn den Blüthner-Flügel, eine Figur, die im Schicksal der Geschichte keine Ruhe findet. „Für mich ist ein Satz der Cellistin, Dirigentin und Widerstandskämpferin Frieda Belinfante sehr wichtig für dieses Projekt: ‚Wenn man den ersten Schritt akzeptiert, weil er wirklich nicht viel schaden kann, folgt oft ein zweiter, ein dritter. Und ehe du dich versiehst, bist du ein Komplize.“ Ich frage mich, ob ich damals das Richtige getan hätte.“

Noch ein Zitat von Klavierstimmung Da denkt man: ‚Manche Menschen verdanken ihr gutes Gewissen ihrem schlechten Gedächtnis.‘ Patijn: „In jedem Fall müssen geheime Geschichten erzählt werden. Das ist der Treibstoff für meine Theatergruppe Goed Gezelschap.“

2018 und 2019 spielte Patijn mit Nynke Heeg die Double Blood Performance Senang über die geheimen Traumata ihrer indischen Eltern und Großeltern. „Als Enkelkind hatte ich etwas leichteren Zugang zu den Erinnerungen meines Großvaters an das japanische Lager als mein Vater. Er sagte nur zu ihm: „Ich habe Köpfe rollen sehen und das sage ich Ihnen darüber.“

Patijn hat auch jahrelang über sein eigenes kleines Trauma geschwiegen, die Geräusche und Körperschocks, die er als Folge von Gilles de la Tourette hat. „Dafür habe ich mich sehr geschämt. Die leichten Tics nehmen zu, wenn ich unter Stress stehe. Medikamente, Therapie, Tarnung, ich habe alles versucht, aber nichts hat geholfen. Bis ich auf der Bühne stand. Wenn ich auf der Bühne schauspielere und Musik mache, bleiben sie weg. Das ist ein wunderbares Zusammenspiel von Bewusstseinsverengung und Dopaminproduktion.“

Klavierstimmung von Goed Gezelschap, 19. bis 23.10. in Breda, danach zu sehen in Deventer und Amsterdam.



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