Hallo Patrick, Truss ist erst seit einem Monat Premierministerin, aber die Briten scheinen schon genug von ihr zu haben. Wo ist es schief gelaufen?
‚Wo soll ich anfangen. Es ist eine Anhäufung. Aber die eigentliche Ursache ist ein Mini-Budget, das Truss vor anderthalb Wochen mit einem beträchtlichen Paket an Steuersenkungen vorgelegt hat. Sie hielt ein Versprechen, aber die Art, wie sie die Pläne vorstellte, war schrecklich ungeschickt.
»Sie hat das Budget fast vollständig im Geheimen entwickelt. Niemand außer Finanzminister Kwasi Kwarteng wusste etwas davon. Sie haben sich entschieden, die Steuern vor allem wohlhabender Engländer zu senken, was in Zeiten der wirtschaftlichen Misere politisch dumm ist. Es war vorhersehbar, dass viele Leute das unfair finden. Außerdem konnten sie nicht richtig erklären, warum ihr Plan funktionieren würde, was wiederum zu Unruhe an den Finanzmärkten führte.
„Truss hat eindeutig keine politische Antenne. Und vielleicht zeigt das, dass sie auch keine große politische Führerin ist. Es scheint, als hätte sie den Kontakt zu dem verloren, was unter den einfachen Wählern vor sich geht.‘
Minister Kwarteng hat am Montag die angekündigte Steuersenkung für Gutverdiener wieder aufgehoben. Hilft das Truss?
„Diese konkrete Steuersenkung, die Abschaffung der 45-Prozent-Grenze für Menschen mit einem Einkommen über 150.000 Pfund, hatte vor allem einen starken symbolischen Wert. Aber wenn man das Gesamtpaket sehr genau betrachtet, ist es nur ein kleiner Teil. Truss kündigte Steuersenkungen in Höhe von insgesamt 45 Mrd. £ an, wovon nur 2 Mrd. £ ausmachten. Finanziell macht das wenig Sinn.
„Außerdem gibt es viele andere Diskussionen über Truss‘ Pläne. Irgendwo muss das Geld herkommen, das durch Steuern verloren geht. Hier und da wird über Leistungskürzungen gesprochen. Dadurch entsteht das Bild, dass Truss zuerst die Reichen bevorzugt und dann die ganz Armen beschneiden will. Das kann politisch sehr heikel bleiben.
Unterdessen nehmen die Spannungen innerhalb der Konservativen Partei zu. Es gibt niemanden, der das Sagen hat, die Minister nennen, was ihnen am besten passt. Für die Konservativen besteht das größte Problem darin, dass Labour davon profitiert. Diese Partei steigt in den Umfragen stark an.‘
Truss wird heute auf dem Kongress vor ihren Parteimitgliedern sprechen. Wie viel hängt von der Rede ab?
„Ich denke, das ist die wichtigste Rede ihres Lebens. Sie war verschwiegen und muss sich nun öffnen und ihre Parteimitglieder überzeugen. Außerdem ist dies das Ende des Kongresses, die Rede des Führers ist traditionell das große Finale. Sie soll alle mit einem guten Gefühl nach Hause gehen lassen.
„Das Problem ist, dass Truss im Gegensatz zu ihrem Vorgänger Boris Johnson keine Rednerin ist, die das Publikum hinreißen kann. Zwei bis drei Stunden standen Johnsons Schlangen vor den Parteitagssälen, wenn er zu Wort kam. Was Truss bisher auf diesem Gebiet gezeigt hat, war teilweise überwältigend. Sie muss heute über ihr normales Niveau steigen.
„Ich bin sehr gespannt, ob sie eine spezielle Taktik wählen werden. Ex-Premierministerin Theresa May, ebenfalls keine hervorragende Rednerin, hat sich unter Abbas Schlager einmal Selbstironie und einen hölzernen Tanz einfallen lassen Tanzkönigin die Bühne hochgehen. Das hat funktioniert. Truss noch nicht Waterloo eingerichtet, aber sie muss etwas Besonderes tun. Auf jeden Fall werde ich mit einer Tüte Chips in Reichweite nachsehen.“
Wie stehen die Chancen, dass Truss sich vorzeitig von 10 Downing Street verabschieden muss?
„Es gibt hier und da Gerüchte, dass Truss es nicht bis Ostern schaffen wird. Auch von ihrer Nachfolge ist die Rede. Das Problem für die Konservativen ist, dass sie dann wirklich nicht mehr wie nach Johnsons Abgang einen Nachfolger vorschlagen können. Das wäre eine Farce nach diesem Misserfolg.
„Andererseits ist es riskant, Wahlen anzuberaumen, während Truss noch an der Spitze steht. In diesem Fall wird die Partei in jedem Fall erhebliche Verluste erleiden. Es scheint also keinen Ausweg für die Konservativen zu geben.
Jedenfalls scheint die Konservative Partei in den letzten Jahren vom Weg abgekommen zu sein. Die Gruppenmitglieder und Minister sind hauptsächlich mit internen Intrigen beschäftigt und nehmen es mittlerweile als selbstverständlich hin, dass sie regieren. Einziger Wermutstropfen: Konkurrent Labour unter Parteichef Keir Starmer ist für viele Wähler noch keine überzeugende Alternative. Aber die Konservativen müssen sich schnell wieder aufrappeln.“