Kampf gegen die autofreie Stadt: Was Amsterdam aus der „Kürzung“ gelernt hat. „Wir müssen lernen, anders zu denken“

1707766332 Kampf gegen die autofreie Stadt Was Amsterdam aus der „Kuerzung


Verkehrsstadträtin Melanie van der Horst in der Weesperstraat in Amsterdam, die letzten Sommer sechs Wochen lang gesperrt war: „Mit dem, was ich jetzt weiß, hätte ich es anders gehandhabt.“Bild Guus Dubbelman / de Volkskrant

Die Amsterdamer Verkehrsstadträtin Melanie van der Horst (D66) hatte erwartet, dass „die Kürzung“ viele Reaktionen hervorrufen würde. Und die Tatsache, dass sich „der Schnitt“ als Nährboden für eine Verschwörungstheorie herausstellte, überraschte sie auch nicht. Sie rechnete aber nicht damit, dass sich „der Schnitt“ zu einem Zankapfel entwickeln würde, der Amsterdam wochenlang im Griff hielt und sogar landesweit unter die Lupe genommen wurde.

„Ich habe viele emotionale E-Mails erhalten. „Manchmal war der Ton düster, aber es gab auch viele Menschen, die sich gefreut haben“, sagt der Gemeinderat. Am Montag schickte sie die Auswertung „der Kürzung“ an den Gemeinderat. Eine wichtige Schlussfolgerung: „Der Schnitt“ hat viele Daten geliefert, ist es aber nicht wert, wiederholt zu werden.

Über den Autor
Elsbeth Stoker berichtet als Regionalreporterin de Volkskrant Entwicklungen in Amsterdam und Umgebung. Sie hat zuvor viel über Polizei, Justiz und Kriminalität geschrieben. Sie hat unter anderem den preisgekrönten Podcast Grijs Gebied über eine umstrittene Undercover-Methode erstellt.

Experimentell waren die Weesperstraat und drei umliegende Straßen im vergangenen Sommer sechs Wochen lang tagsüber gesperrt. Absperrungen, Leitkegel und Blumenkästen sollten die täglich 28.000 Autofahrer von dieser wichtigen Verkehrsader in die Innenstadt halten. Die Gemeinde wollte prüfen, ob eine Verkehrsblockade eine gute Möglichkeit ist, den stetig wachsenden Autoverkehr einzudämmen.

Barrieren

Vor der Kürzung wurde vor Verkehrschaos gewarnt. Und fast sofort wurden diese Warnungen Wirklichkeit. Die Schranken, die den Verkehr stoppen sollten, kamen am ersten Tag zu spät an, weil sie im Stau steckten. Hinzu kam eine Störung im nahegelegenen Piet-Hein-Tunnel. Den daraus resultierenden Staus widmete der Stadtsender AT5 einen zweitägigen Liveblog. In den sozialen Medien bezeichnete der ehemalige Minister Lodewijk Asscher (PvdA) die Kürzung als „erfolgreiches Experiment, um Staus und Belästigungen in der gesamten Stadt zu minimieren“.

Obwohl die Verkehrsbehinderungen in den folgenden Wochen abnahmen, hörte das Murren nicht auf. Die Verkehrsleiter, die Autos von der Weesperstraat fernhalten mussten, wurden mit einer Krankheit nach der anderen konfrontiert. Anwohner der Kattenburgerstraat demonstrierten, weil viele Autofahrer in ihre Nachbarschaft umgeleitet wurden, was zu Staus vor ihrer Haustür führte. Der Gemeinderat beantragte dreimal eine Dringlichkeitsdebatte, unter anderem aufgrund der Sorge, dass Krankenwagen aufgrund mehrfach defekter Absperrungen nicht schnell durchfahren konnten.

In den sozialen Medien wurde über eine Verschwörung zur sogenannten 15-Minuten-Stadt spekuliert, oder über die Idee, dass man immer dichter werdende Städte lebenswert halten kann, indem man dafür sorgt, dass alle Dinge des täglichen Bedarfs innerhalb von fünfzehn Minuten zu Fuß oder mit dem Fahrrad erreichbar sind. Obwohl das Konzept des französisch-kolumbianischen Professors Carlos Moreno von vielen Städten auf der ganzen Welt angenommen wird, sehen Verschwörungstheoretiker darin Gefahren: Durch ein Autoverbot in der Stadt würde die Regierung die Kontrolle über die Bürger auf hinterlistige Weise schrittweise ausweiten.

Schade, sagt Van der Horst über die Verschwörungstheorie. „Es macht den Leuten unnötig Angst.“ „Wir tun dies gerade deshalb, weil wir die Stadt lebenswert halten wollen.“

Die Auswertung zeigt, dass sich die Lebensqualität im Pilotgebiet verbessert hat. Zwischen dem 12. Juni und dem 23. Juli gab es 18 Prozent weniger Autos, die Luftqualität verbesserte sich deutlich und die Lärmbelästigung ging zurück. Anwohner sprachen sogar von einer Steigerung des sozialen Zusammenhalts im Viertel. Positive Effekte waren auch andernorts in der Stadt spürbar. Beispielsweise ging der Autoverkehr um 5 Prozent zurück und die Zahl der Autos, die täglich durch Amsterdam fahren, sank um elftausend. Dadurch wurde der Ablauf verbessert.

Notdienste

Doch die Kürzung hatte auch negative Folgen. In der Kattenburgerstraat, wo viele Autofahrer umleiteten, verschlechterte sich die Luftqualität und die Lärmbelästigung nahm zu. Die Bewohner fühlten sich in ihren Häusern eingesperrt, fühlten sich durch Gerüche belästigt und empfanden eine aggressive Atmosphäre auf den Straßen. Van der Horst: „Wir wussten anhand von Berechnungsmodellen, dass sie unter einem Wasserbetteffekt leiden würden.“ Aber das Zeichenbrett ist anders als die Praxis. Die Anwohner verlangten den zusätzlichen Andrang nicht. Das hat mich berührt.‘

Auch die Rettungsdienste, Taxis, Hausärzte und Förderschüler waren nicht begeistert. So erhöhte sich beispielsweise die durchschnittliche Ankunftszeit eines Krankenwagens im Lotsengebiet um 15 Sekunden und die Feuerwehr brauchte durchschnittlich 33 Sekunden länger für die Fahrt. Aufgrund von Vorfällen mit mehrfach zu langsam öffnenden Absperrungen kam es auch bei den Feuerwehrleuten und dem Rettungsdienstpersonal zu zusätzlicher Belastung.

„Es stellte sich heraus, dass sich die Rettungsdienste schon seit Jahren Sorgen um die geschäftigere Stadt machen“, sagt Van der Horst. „Wir hatten noch kein gutes Gespräch darüber geführt. Die Kürzung brachte diese Bedenken deutlich zum Ausdruck.“ Für sie ist das eine wichtige Lektion. „Bisher gab es den Kontakt zu den Rettungsdiensten auf Projektebene, zum Beispiel bei Ereignissen oder Baustellen.“ „Wir haben jetzt gelernt, dass wir strukturell zusammenarbeiten müssen.“

Zunehmende Menschenmengen

Kurz gesagt, der Schnitt war kein voller Erfolg. „Mit dem, was ich jetzt weiß, hätte ich es anders gemacht“, sagt Van der Horst. „Wir haben einen besseren Einblick in die Auswirkungen auf verschiedene Gruppen gewonnen und wissen, für welche Gruppen wir sofort eine Ausnahme hätten vereinbaren sollen.“ Zum Beispiel Schülerbeförderung für Sonderpädagogik.“

Dennoch ist sie mit den Daten, die der Prozess erbracht hat, zufrieden. Denn die Frage, die nun auf dem Tisch liegt, lautet: Wie wird die Gemeinde vorgehen? Laut Van der Horst sind schwierige Entscheidungen zur Reduzierung des Autoverkehrs unvermeidlich.

In den nächsten 25 Jahren werden voraussichtlich 250.000 Amsterdamer hinzukommen. Die Zahl der Menschen, die zum Arbeiten in die Stadt kommen, steigt um 200.000. Wenn die Gemeinde keine Maßnahmen ergreift, wird die Zahl der Autos um 30 Prozent steigen. Die Zahl der Reisenden mit dem Fahrrad und im öffentlichen Nahverkehr steigt um 40 Prozent.

Viele Amsterdamer denken bereits, dass es zu voll ist, zwei Drittel fühlen sich im Verkehr unsicher und die Zahl schwerer Verkehrsunfälle nimmt zu, nachdem sie jahrelang rückläufig war. Im Durchschnitt sind es mittlerweile sieben pro Tag.

null Bild

„Herumspielen“ mit autofrei

Amsterdam ist nicht die einzige Kommune, die mit dem Thema „Autofreiheit“ zu kämpfen hat. Ein Bericht des Wissensinstituts für Mobilitätspolitik (Kim), das dem Ministerium für Infrastruktur und Wasserwirtschaft angegliedert ist, zeigte im September, dass viele große und mittlere Kommunen damit „zu kämpfen“ haben. „Es gibt einen Wandel im Denken, der Lebensqualität in einer Stadt oder einem Wohngebiet wird mehr Aufmerksamkeit geschenkt“, sagt Koen Arendsen. Als Mobilitätsexperte bei Kim untersuchte er die autofreie Politik von 23 Kommunen. „Der Druck auf den öffentlichen Raum nimmt zu. Daher sagen immer mehr Kommunen: „Wir wollen die Zahl der Autos reduzieren, die einen erheblichen Teil dieser Fläche einnehmen.“

Viele Kommunen hätten das Ziel, (teilweise) autofrei zu werden, betonte er. Aber die meisten, wie auch Amsterdam, suchen immer noch nach dem richtigen Weg, dieses Ziel zu erreichen. Die getroffenen Entscheidungen hängen unter anderem von der Lage und der Erreichbarkeit der Einrichtungen ab. „Oft handelt es sich dabei um eine Kombination von Maßnahmen“, sagt Arendsen. „In Delft zum Beispiel will die Gemeinde viele neue Wohnungen bauen, aber um die Stadt lebenswert zu halten, darf die Gesamtzahl der Autos nicht wachsen.“ Für den Ausbau des Straßennetzes besteht kein Platz. Da die Menschen auf gute Alternativen setzen, kann man von Delft aus mit dem Fahrrad oder E-Bike und den öffentlichen Verkehrsmitteln in viele Richtungen fahren.“

Aber in Leeuwarden beispielsweise ist die Situation völlig anders. Auf der Straße ist immer noch viel Platz und Sie benötigen eher ein Auto, um die Einrichtungen zu erreichen. Gleichzeitig ist auch die Lebensqualität wichtig. Arendsen: „In einem Neubauviertel haben sie sich dafür entschieden, die Parkplätze am Rande des Viertels zu platzieren, damit man eher für eine kurze Fahrt mit dem Fahrrad unterwegs ist und es weniger Autoverkehr im Viertel gibt.“

Verkehrsfilter

Auch international sind viele Städte noch auf der Suche. Van der Horst beispielsweise blickt interessiert auf Rom. „Dort arbeiten sie an stark befahrenen Verkehrspunkten mit intelligenten Zufahrten oder Kameras, die registrieren, welche Zielgruppe in ein Gebiet fahren darf oder nicht.“ Ein solcher „Verkehrsfilter“ wird auch in Amsterdam angewendet, allerdings in kleinerem Maßstab. Der Sloterweg ist seit Kurzem nur noch für Unternehmer, Anwohner sowie Not- und Rettungsdienste zugänglich. „In Rom sieht man, dass die Technik an den stark frequentierten Punkten noch nicht optimal funktioniert.“ Aber langfristig könnte es auch etwas für uns sein. Mittlerweile beobachtet uns auch Rom. „So sehen wir uns alle an.“

Laut Van der Horst ist ein solcher „Verkehrsfilter“ die Zukunft. „Das kann man aber auch auf andere Weise erreichen: zum Beispiel indem man eine zweispurige Straße in eine einspurige Straße umwandelt oder indem man eine Straße in eine Richtung umwandelt.“

Darüber hinaus müssen wir lernen, „anders zu denken“, sagt der Stadtrat. „Drei Viertel der Amsterdamer haben kein Auto, und dennoch haben wir die Stadt nach der Idee organisiert, dass man mit dem Auto überall hinkommen sollte.“ Für sie sind diese Zeiten vorbei. „Kinder spielen seltener draußen, weil es an Platz mangelt und ihre Eltern es für gefährlich halten.“ Sie sind in ihrer Entwicklung begrenzt. Aber auch ältere Menschen bleiben häufiger drinnen und selbst mein 35-jähriger Friseur findet, dass es dort zu voll ist.“

Ein Vorfall während des Prozesses sei beispielhaft gewesen, sagt sie. Eine Grundschule hat letzten Sommer Alarm geschlagen. Schüler konnten nicht mehr in den Schulgarten gehen. „Der Bus, der die Kinder zum Schulgarten bringen sollte, hatte aufgrund der Unterbrechung zu große Verspätung.“ Das ist die Welt, die auf den Kopf gestellt ist. Was haben wir mit dieser Stadt gemacht, dass Kinder nicht mehr mit dem Rad oder zu Fuß in ihren Schulgarten gelangen können?‘

Der Gemeinderat von Sneek hat sich „fiktive Aktivitäten“ ausgedacht

Auch in Sneek wird dieses Jahr ein Versuch stattfinden, das Zentrum autofrei zu machen. Dies hat bereits zu großem Widerstand geführt. Doch nun stellte sich letzte Woche heraus, dass der Gemeinderat drei normalerweise befahrbare Brücken als „gesperrt“ an die Navigationsbetreiber weitergegeben hatte. Um Stauverkehr zu verhindern, so der Rat. Doch Kritiker sprechen von Betrug. Text und Erklärung folgen am Mittwoch.



ttn-de-23

Schreibe einen Kommentar