Kabul hat bereits eine Chinatown. Wie weit geht Pekings Interesse am Wespennest Afghanistan?

Kabul hat bereits eine Chinatown Wie weit geht Pekings Interesse


Afghanen in Kabul werden Anfang April Säcke mit Reis erhalten, die von China gespendet wurden.Bild EPA

Chinatown in Kabul! Es existiert wirklich. Neben einem Kreisverkehr in der Taimani Road im Nordwesten der Stadt befinden sich zwei miteinander verbundene Apartmentgebäude, die zusammen als Etihad Tower bekannt sind. Auf dem rechten Turm steht in roten Großbuchstaben „China Town“, auf dem linken „The Belt and Road“. Daneben das gleiche in chinesischen Schriftzeichen.

Dies als chinesisches Viertel zu bezeichnen, ist übertrieben. Dennoch verkörpert der Etihad Tower Chinas bescheidene, aber vielleicht vielversprechende Präsenz in Afghanistan. Springen die Chinesen in das Loch, das die Amerikaner hinterlassen haben? Es wird nicht so schnell laufen. Sie schauen lieber die Katze vom Baum. Aber es gibt sicherlich Möglichkeiten für engere Beziehungen zwischen Peking und den Taliban.

Chinatown ist in erster Linie ein Gästehaus und Arbeitsplatz für chinesische Geschäftsleute, die sich vorübergehend in der afghanischen Hauptstadt aufhalten. „Im Moment ist es ruhiger bei all dem Geschehen“, sagte Etihad Tower-Manager Haji Abdul Hadi. „Aber sie werden zweifellos zurückkommen.“

Einige chinesische Gäste sind private Händler. Sie kommen nach Afghanistan, um chinesische Produkte (alles und jedes) zu exportieren oder eine begrenzte Anzahl afghanischer Waren, hauptsächlich Trockenfrüchte und Edelsteine, nach China zu importieren. Die meisten sind jedoch potenzielle Investoren. Ihr Interesse gilt hauptsächlich der Infrastruktur. „Vor allem Solaranlagen und Strom“, sagt Hadi.

Voraus Handelsposten

Die chinesische Enklave besteht seit zwei Jahren. Ein fortschrittlicher Handelsposten im rauesten Teil Zentralasiens, in einem Land, das nur eine Grenze mit China teilt, ein paar Dutzend Kilometer des Wakhan-Korridors entfernt, hoch in den Bergen des Hindukusch. Hier in Kabul gibt es nicht einmal ein chinesisches Restaurant. Es gibt jedoch Geschäfte mit chinesischen Waren und Lebensmitteln, die für chinesische Kunden bestimmt sind. Belt and Road Mall wird sie etwas überspitzt genannt.

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Belt and Road, auch der Name des linken Turms, bezieht sich auf Chinas Plan, seine Rolle in der Weltwirtschaft deutlich auszubauen, insbesondere durch eine stärkere Präsenz in Asien, Afrika und dem Nahen Osten. Die Belt and Road Initiative (BRI) stammt aus dem Jahr 2013 und ist eine Idee von Präsident Xi Jinping selbst, sie ist ein Eckpfeiler seiner Außenpolitik.

Die „Neue Seidenstraße“, der Spitzname von BRI, weckt Erinnerungen an die uralten Handelsrouten, die die chinesische Ostküste über Zentralasien mit Europa und dem Nahen Osten verbanden. Dasselbe ist auch wieder beabsichtigt, allerdings werfen die Chinesen ihre Netze inzwischen weiter aus, bis nach Afrika, und sehen ihre Aktivitäten nicht auf Importe und Exporte beschränkt.

Tatsächlich hat BRI wenig mit internationalem Handel zu tun“, korrigiert Alexander Wang, Professor an der Shanghai International Studies University, ein „weit verbreitetes Missverständnis“. Chinas wichtigste Handelspartner sind die USA, Europa, Japan und Südostasien. „Alle entwickelten Länder“, sagte Wang. Afrika, Zentralasien und der Nahe Osten sind für Chinas Handel von untergeordneter Bedeutung. Auch Afghanistan: als Verbrauchermarkt nicht interessant.

„BRI befasst sich hauptsächlich mit Infrastrukturprojekten: Straßen, Brücken, Dämme, Häfen, Kraftwerke“, sagt Wang, der in Afghanistan ist, um das Potenzial chinesischer Investitionen zu untersuchen. „Afghanistan braucht dringend Infrastruktur. Darin sind chinesische Auftragnehmer sehr gut.“

Kein Gramm Kupfer aus der Erde

Bereits vor mehr als zehn Jahren bauten die Chinesen in Afghanistan eine Straße in die zentral gelegene Stadt Bamyan. Doch die Amerikaner, die in Kabul die Finger im Spiel hatten, befürchteten zu viel Einfluss aus China. Auch das Interesse chinesischer Straßenbauer ließ nach, als einige ihrer Ingenieure in der Nähe von Jalalabad entführt wurden.

Bei Ausgrabungen für die Kupfermine Mes Aynak in der Provinz Logar wurden Überreste eines buddhistischen Klosters entdeckt.  Statue Shah Marai / AFP

Bei Ausgrabungen für die Kupfermine Mes Aynak in der Provinz Logar wurden Überreste eines buddhistischen Klosters entdeckt.Statue Shah Marai / AFP

Ähnliches geschah mit der Kupfermine Mes Aynak in der Provinz Logar. Bereits 2007 hatten zwei chinesische Unternehmen den Pachtvertrag für die Ausbeutung der vermutlich zweitgrößten Kupferreserven der Welt erhalten. Nach außen erweckte das Projekt oft den Eindruck, die Chinesen seien „hinter den Bodenschätzen Afghanistans her“. Schließlich enthält der Boden neben Kupfer auch Eisen, Gold, Silber, Chromit, Nephrit, Bauxit, Öl und vor allem das kostbare Lithium – das sich in Batterien verarbeiten lässt.

Das ist stark übertrieben. Bisher wurde noch kein Gramm Kupfer aus der Erde gefördert, nicht einmal eine Mine wurde gebaut. Zwischen der Regierung und den Chinesen kam es zu Meinungsverschiedenheiten über das Geld und die Vertragsbedingungen. Außerdem hätten die USA Einspruch erhoben, sagte Ainuddin Najman, ein afghanischer Geschäftsmann, der sich auf den Handel mit China spezialisiert hat. Ihm zufolge haben die Amerikaner sogar die Taliban nach Logar gelockt, um die Chinesen abzuschrecken. Ein Gerücht, aber tatsächlich: Die Taliban kamen in die Provinz und die Chinesen stiegen ab, ohne einen Spaten in die Erde gegraben zu haben.

Auch Peking hat das Taliban-Regime nicht anerkannt

Das Beispiel macht deutlich, warum China nicht die Absicht hat, das von den USA hinterlassene Vakuum einfach zu füllen. Die Chinesen wissen sehr wohl, dass Afghanistan ein Wespennest ist. Seit dem 19. Jahrhundert hat sich das Land den Ruf eines „Friedhofs der Großmächte“ erworben und China zieht es vor, sich nicht in die Reihen Großbritanniens, der Sowjetunion und der USA einzureihen.

Bis klar ist, wohin das instabile, nicht anerkannte Taliban-Regime steuert, werden die Chinesen nicht allzu eifrig sein. Das Investitionsklima ist äußerst unsicher. Dass China seine Botschaft in Kabul offen gehalten hat und im September als erstes Land Hilfe angeboten hat, sagt sicherlich etwas aus, aber auch Peking hat die neue Regierung noch nicht anerkannt.

Das ändert nichts daran, dass China wegen der „Gürtel und Straße“-Initiative durchaus an Afghanistan interessiert ist. Das Land liegt im Herzen der Region, die China mit allen BRI-relevanten Gebieten wie Iran und Pakistan verbindet. Afghanistan würde perfekt in den China-Pakistan Economic Corridor passen, ein wesentlicher Bestandteil der BRI. Beispielsweise ist Afghanistan Teil der Fünf-Länder-Eisenbahn, eines chinesischen Plans für eine Eisenbahnverbindung zwischen Ost- und Westasien.

China spendet Anfang April Reis an etwa 3.000 Familien in Kabul.  Bild EPA

China spendet Anfang April Reis an etwa 3.000 Familien in Kabul.Bild EPA

Eine bemerkenswerte Aufwärmphase für all das ist der Exporterfolg von Pinienkernen nach China. Es begann erst vor vier Jahren, aber bis Ende 2019 hatten afghanische Händler bereits Verträge mit China im Wert von 1,7 Milliarden Euro über einen Zeitraum von fünf Jahren unterzeichnet.

Nach dem Chaos der Machtübernahme stellten beide Länder die Pinienkern-Luftbrücke von Afghanistan nach China schnell wieder her. Als der afghanische Außenminister im Oktober seinen chinesischen Amtskollegen in Doha traf, hatte er ein aufschlussreiches Geschenk dabei: eine Schachtel Pinienkerne.

Aufkommende Atmosphäre der Zusammenarbeit

Natürlich sind die Kerne kein Zauberstab für den wirtschaftlichen Aufschwung in Afghanistan, und natürlich ist es für China viel weniger wichtig als für Afghanistan. Pinienkerne spielen im BRI-Konzept eine, sagen wir, bescheidene Rolle. Dennoch können sie sicherlich zur aufkeimenden Atmosphäre der Zusammenarbeit zwischen Kabul und Peking beitragen.

Auf jeden Fall ist die Landwirtschaft nicht zu unterschätzen. Laut Wang kann China dabei eine Rolle spielen. „Afghanistan hat genug Land“, sagt er. „Es gibt Optionen für Baumwolle, für Trockenfrüchte. Es wird nur Infrastruktur benötigt: Wasser, Dünger, Saatgut, Kapital. China hat damit viel Erfahrung.“ Die Chinesen können auch beim Aufbau einer Lebensmittelindustrie helfen.

Es gibt noch einen weiteren Grund, warum China ein Auge auf Afghanistan geworfen hat: Extremismus. Hunderte Mitglieder der bewaffneten Islamischen Bewegung Ostturkestans (ETIM) halten sich im Nordwesten des Landes auf. ETIM besteht aus Uiguren aus der autonomen chinesischen Region Xinjiang, die an Afghanistan grenzt. Peking geht hart gegen den Separatismus in Xinjiang vor. China will, dass die Taliban ETIM die Tür zeigen und alle Verbindungen abbrechen.

Auch solange dieses Problem nicht gelöst ist, wird China zögern, in großem Umfang in Afghanistan zu investieren. „China wird unser Hauptpartner sein“, sagte Taliban-Sprecher Zabihullah Mujahid zwei Wochen nach der Machtübernahme im August. „Das bietet uns viele Chancen. China ist bereit zu investieren und den Wiederaufbau zu unterstützen.“

Das war ganz aus afghanischer Sicht. „Die Zukunft Afghanistans liegt in China“, sagt der Geschäftsmann Najman. Umgekehrt aber erstmal nicht.

Treiber von Infrastrukturprojekten

Die Belt and Road Initiative (BRI) des chinesischen Präsidenten Xi Jinping erfüllt viele Bedürfnisse Chinas. In erster Linie sei BRI ein Treiber von Infrastrukturprojekten, sagt Sanne van der Lugt, bis vor kurzem China-Forscherin in Clingendael und am Leiden Asia Centre.

Das chinesische Konjunkturpaket in der Finanzkrise 2008 führte zu einem enormen Schub bei Mega-Infrastrukturprojekten in China. Das verschaffte den Bauunternehmen viel Erfahrung, aber auch eine Kapazität, die nach wenigen Jahren für den gesättigten chinesischen Markt zu groß geworden war.

Die Lösung: „Go West“, wie es in Peking hieß. Anderswo in Asien (und darüber hinaus) gab es einen großen Bedarf an Infrastruktur. Der Mangel daran behinderte auch den Handel mit China.

„Eine weitere Herausforderung für China“, sagt Van der Lugt, „besteht darin, dass Chinas Wachstum für die Nachbarländer beängstigend und beneidenswert war. Um zu verhindern, dass sie sich den USA und Europa zuwenden, suchte China nach einem Weg, um die Herzen und Köpfe der umliegenden Länder zu gewinnen, beginnend in Zentralasien.“

Weitere Motive für die BRI sind: einen gemeinsamen Markt als Gegengewicht zur EU zu schaffen, die internationale Verwendung des Renminbi, der chinesischen Währung, zu verstärken und ganz allgemein den Einfluss des Westens in Asien und Afrika zu verringern. Sich für lange vom Westen dominierte Regionen einzusetzen, erhöht Chinas politischen Einfluss.



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