Julia Padilla schwebt in einem Schleier aus Blasen über dem Meeresboden. Schau runter. Das Korallenriff unter ihr, einst ein farbenfroher Unterwasserwald, ist zu einer trostlosen Einöde versteinert. Padilla sucht nach Büscheln, die hier und da noch herausragen. Mit einem Klemmbrett und einem speziellen Graphitstift macht sie sich Notizen: „gesund“, „tot“, „weiße Flecken“.
Nach einer Stunde Überwachung verschwindet sie an der Oberfläche. Padilla klettert auf das Boot, nimmt ihre Brille ab und setzt sich nach vorne. „So heiß“, seufzt sie. ‚Unglaublich.‘ Ihr Kollege: „Unter Wasser schwitzt man einfach.“
Über den Autor
Thomas Rueb ist der USA-Korrespondent für de Volkskrant. Er lebt in New York. Er ist der Autor des Buches Laura H.
Padilla (22), Zoologe in Ausbildung, arbeitet für die Coral Restoration Foundation. Diese NGO schützt das marode Korallenriff vor der Küste des US-Bundesstaates Florida. Sie pflanzen Korallen von Hand in ein Riff ein, das in den letzten Jahrzehnten zu 98 Prozent dezimiert wurde. Nun stellt sich die Frage, ob das neue Wachstum diesen Sommer überleben wird.
Das Meerwasser vor der Küste Floridas bricht alle Hitzerekorde. Etwas außerhalb von Miami wurde letzte Woche eine beispiellose Wassertemperatur von 36 Grad Celsius gemessen: zu heiß für Schwimmer, um sich abzukühlen, geradezu lebensgefährlich für Korallen. Padilla: „Wir treten hier in eine beängstigende, unbekannte Phase ein.“
Gebrochene Rekorde
Die Vereinigten Staaten erleben eine historische Hitzewelle. Am vergangenen Wochenende galt für fast jeden dritten Amerikaner die Warnung „extreme Hitze“. Rekorde werden überall gebrochen.
In Phoenix, Arizona, wurden 16 Tage in Folge 46 Grad Celsius gemessen. In Südkalifornien kommt es fast täglich zu neuen Waldbränden. In Las Vegas, Nevada, macht die Notaufnahme wegen Menschen mit Überhitzung Überstunden. Meteorologen zufolge könnte das Wüstental Death Valley in dieser Woche den Rekord von 56,7 Grad Celsius brechen – die höchste jemals auf der Erde gemessene Temperatur seit 1913.
In den nördlichen Staaten gibt es andere Formen extremen Wetters. Bei Überschwemmungen in New York, New Hampshire und Vermont, die durch ungewöhnlich starke Regenfälle verursacht wurden, kamen letzte Woche mindestens zwei Menschen ums Leben. Mehr als 200 Menschen mussten durch Rettungskräfte gerettet werden.
In den Bundesstaaten Indiana, Kentucky, Ohio, Pennsylvania und West Virginia wurden die Bürger wegen gefährlicher Gewitter aufgefordert, drinnen zu bleiben. Colorado, Kansas und sogar Nord-Chicago gaben Tornado-Warnungen heraus.
Der sogenannte „Sunshine State“ Florida, in dem warmes Wetter nicht unbekannt ist, erlebt derzeit sein heißestes Jahr in der Geschichte. Die Tagestemperatur liegt hier bis zu 5 Grad über dem Durchschnitt. Miami hat seit Juni acht Hitzerekorde gebrochen, an Land und auf See, und ein Ende ist nicht in Sicht.
„Bleibt zu Hause, Leute“
Nicht jeder Sonnenanbeter lässt sich davon abschrecken. Der 39-jährige Rettungsschwimmer Pedro überblickt die Küste von Miamis beliebtem South Pointe Beach von einem Holzhaus auf Stelzen aus, das wie ein Leuchtturm bemalt ist. Seine langen Haare hat er zu einem Knoten zusammengebunden und seine Augen sind schmal. Es sind 36 Grad, die Luftfeuchtigkeit liegt bei fast 100 Prozent – und trotzdem liegen Dutzende sonnengebräunte Strandbesucher in der prallen Sonne. „Ich verstehe nicht, wie das irgendjemandem gefällt“, sagt Pedro. „Bleibt zu Hause, Leute.“
Als Teenager verließ Pedro, wie viele hier, das kommunistische Kuba und zog in das modische Miami. Er war immer der schnellste Schwimmer, den er kannte; Ein Job als Rettungsschwimmer schien logisch. Das ist jetzt zwanzig Jahre her. In all dieser Zeit hat er noch nie eine solche Hitze erlebt. „Das verändert meine Arbeit.“
In diesen Tagen muss Pedro nicht nur das azurblaue Wasser im Auge behalten, sondern vor allem den glühenden Sand. „Ich musste den ganzen Monat niemanden aus dem Meer ziehen. „Überhitzung ist eine andere Geschichte.“
Dutzende davon hat er schon behandelt: wässern, Eisbeutel unter die Achseln schieben. Im Ernstfall fährt er mit seinem Quad zum Kühlwagen, der dieser Tage permanent auf dem Parkplatz dröhnt. „Die Menschen sind es gewohnt, ein kühles Bad im Wasser zu nehmen, wenn es ihnen zu heiß wird.“ Das macht jetzt wenig Sinn. „Im Whirlpool kühlt man sich nicht ab.“
Klimawandel
Es wird erwartet, dass etwa 70 Prozent aller Amerikaner nächste Woche Temperaturen über 33 Grad Celsius erleben werden. Die Ursache für dieses extreme Wetter in den USA ist ein sogenannter „Heat Dome“, ein meteorologisches Phänomen, bei dem hoher Luftdruck wie ein Deckel über einer Fläche hängt und so die Hitze einfängt. Der Klimawandel führt dazu, dass diese Art von Kuppeln häufiger auftritt und an Dauer und Intensität zunimmt. Mehrere Bundesstaaten ergreifen Sofortmaßnahmen. Im ganzen Land werden Bibliotheken eingerichtet, um Menschen unterzubringen, die in ihren Häusern keine Klimaanlage haben.
In Florida kann das erhitzte Meer langfristige Folgen haben. Meteorologen warnen vor einem zunehmenden Risiko tropischer Stürme oder Hurrikane im weiteren Verlauf der Saison. Wissenschaftler der Colorado State University, die Anfang des Jahres eine relativ ruhige Saison erwartet hatten, haben ihre Prognose revidiert. Es droht ein stürmischer Spätsommer zu werden.
Im Schatten von Pedros rot-weißem Rettungsschwimmerturm legt die Familie Quiroa eine Verschnaufpause ein. Vater Jonathan (41), Sohn Anderson (28) und Schwiegermutter Aracelli (60) machen Urlaub im tropischen Guatemala. Es ist heißer als selbst sie es gewohnt sind, selbst jetzt am frühen Morgen. „So lange können wir nicht am Strand bleiben“, sagt Aracelli.
Kranke Koralle
100 Kilometer entfernt, 10 Meter unter der Oberfläche, tun Taucher der Coral Restoration Foundation alles, um ihre Korallen zu retten. Hier auf dem Meeresboden haben sie eine Korallen-Kinderstube angelegt: einen Wald aus Röhren, entlang dem junge Korallen wachsen, bis sie groß genug sind, um später im Riff gepflanzt zu werden.
Mit Toilettenbürsten kratzen die Taucher Ablagerungen vom Gerüst. Sie meiden sorgfältig die farbigen Korallenstücke, die an der Angelschnur herumschwimmen. Auf diese Weise hat die NGO bereits mehr als 200.000 Korallenstücke in die Natur zurückgebracht. Doch jeder Tauchgang sorgt heutzutage für besorgte Gesichter. Solange die Hitze anhält, hat das Fundament aufgehört zu bepflanzen. Sie sehen zu, wie das Riff vor ihren Augen stirbt.
Taucherin Jen Pollom weist auf starke weiße Flecken hin, die auf den orangefarbenen Blättern der gefährdeten Elchgeweihkoralle erscheinen. „Coral wird bei dieser Hitze buchstäblich schlecht“, sagt sie zurück an Bord. „Es fängt an, Algen abzuwehren, so wie jemand, der sich im Fieber übergeben muss.“ Zurück bleibt das strahlend weiße Skelett. Ohne die Algen kann die Koralle noch einen Monat überleben, bevor sie unwiderruflich abstirbt.
„Ich fange an, die Hoffnung zu verlieren“, sagt Pollom. Sie wischt sich Wimperntusche aus dem Gesicht, die vom Salzwasser verschmiert ist. „Der Sommer hat gerade erst begonnen. „Wir haben noch monatelange Hitze vor uns.“
In einem früheren Entwurf wurde Miami zweimal zur Hauptstadt Floridas ernannt. Das ist falsch, Tallahassee ist die Hauptstadt.