In einer Welt der Ungleichheit gedeihen die Zäune und überall grinst der Stacheldraht

Schlechte Recherche und die Hast der Politiker etwas darueber zu
Bert Wagendorf

Die europäischen Staats- und Regierungschefs trafen sich am Donnerstag in Brüssel, um das Migrationsproblem zu erörtern. Einer der Initiatoren des Gipfels war Ministerpräsident Rutte. In den Niederlanden droht eine neue Aufnahmekrise, während die alte noch nicht einmal gelöst ist. Prognosen zufolge werden im Jahr 2023 50.000 Menschen in den Niederlanden Asyl beantragen, die Chance, dass diese Zahl steigen wird, ist größer als erwartet. Und weil wir es selbst nicht mehr wissen, muss Europa eine Lösung finden.

Diese Lösung heißt: Bauzäune. In de Volkskrant am Donnerstag gab es ein paar aufschlussreiche Infografiken. Die EU verfügt jetzt über 2.000 Kilometer Zaun, drei Viertel davon an den Außengrenzen. Damit sind 13 Prozent der Außengrenzen eingezäunt. In fünf Jahren hat sich die eingezäunte Fläche der EU verdoppelt. Die EU gibt jedes Jahr fünf Milliarden Euro für die Ausgrenzung von Einwanderern aus. Noch ein paar tausend Kilometer Zaun und wir sind sicher und geschützt vor den gierigen Horden.

Das Buch ist 2015 erschienen Stacheldraht, eine Geschichte von Gut und Bösevon ehemals NRCJournalist Dick Wittenberg. Er beschreibt die Geschichte des Stacheldrahts seit seiner Erfindung im Jahr 1874 durch einen Mann namens Joseph Glidden, der schnell einen wachsenden Markt in den Great Plains des amerikanischen Westens fand. Danach war Stacheldraht auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkriegs praktisch und eroberte die Welt.

Und immer waren „Sicherheit“ und „Schutz“ die Argumente für die „Stacheldraht‚. Ob Grenzzäune und Grenzmauern, die reiche Länder vor dem Zuzug von Menschen aus ärmeren Nachbarländern schützen sollten, oder kommunistische Utopien vor den dreckigen Kapitalisten: Der Eiserne Vorhang war ein Stacheldrahtvorhang. Es wurde zur Abschreckung an Mauern angebracht, die den Bewohnern von Gated Communities ein sicheres Gefühl vor den Schlägern von außen geben sollten. Sie haben sie auch oft in Konzentrationslagern gesehen.

„Stacheldraht“, schrieb Wittenberg, „ist das Symbol einer gespaltenen Weltgesellschaft. Es trennt die Menschheit in diejenigen, denen es erlaubt ist, und diejenigen, die draußen sind.‘ Stacheldraht ist der sichtbare Beweis der Ungleichheit. Sie schützt vor den negativen Folgen: Wer auf der rechten Seite wohnt, hindert Menschen von der anderen Seite mit Stacheldraht daran, ihren rechtmäßigen Anteil einzufordern. Oder einfach nur ein anständiges Dasein.

Die Europäische Kommission zögert noch, weil der Ausschluss von Flüchtlingen nicht den europäischen Werten entspricht, die wir bei der Unterstützung der Ukraine so hoch schätzen. Aber die Unterstützung für Zäune wächst innerhalb der EU, obwohl Ministerpräsident Rutte hinzufügte, dass es in den Zäunen „Tore“ gebe, wo man Asyl beantragen könne. Seine Partei will Zäune, ebenso wie Wopke Hoekstra, der verzweifelte Führer der Christdemokraten, der von ganzem Herzen jeden populistischen Plan unterstützt, der den Niedergang seiner Partei verzögern könnte.

Leo Lucassen, Direktor des International Institute of Social History, beschrieb den Donnerstag im Programm Sprachmacher auf Radio 1 die Zäune als „Symbolpolitik“, von der nur Menschenschmuggler profitieren.

Wittenberg begab sich für sein Buch unter anderem in die spanische Enklave Ceuta in Marokko, umgeben von vier Zaunlinien. Sie hindern Einwanderer nicht daran, ihr Leben zu riskieren, um darüber hinwegzukommen. Anscheinend steigern sie nur die Lust auf das, was dahinter liegt.

Zäune und Stacheldraht dienen nur als symbolischer Schutz unserer verängstigten Herzen. Und sie müssen Politikern ein Bild von Entschlossenheit vermitteln. Aber nur in einer Welt der Ungleichheit, schreibt Wittenberg, „blühen die Zäune und überall grinst Stacheldraht.“



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