In dieser Kampagne kehren die Parteien Europa den Rücken

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Der Saal des Europäischen Parlaments in Straßburg.Bild AFP

Der Wahlkampf hat die Außenpolitik bislang stillschweigend ignoriert. Doch das neue Kabinett muss sich mit drei großen internationalen Problemen auseinandersetzen: dem russischen Krieg in Europa, der wachsenden Macht Chinas und der Zukunft der Europäischen Union.

Das ukrainische Volk kämpft für das Recht, ein europäisches Land zu sein. Um eine freie und demokratische Ukraine in der Europäischen Union zu verankern, bedarf es ukrainischer Reformen, aber auch der Unterstützung der EU-Länder. Alle EU-Länder müssen mehr zum europäischen Haushalt beitragen und bei Waffenkäufen und -exporten enger zusammenarbeiten.

Über den Autor
Gijs de Vries ist der London School of Economics (LSE) angeschlossen. Er war Vorsitzender der liberalen Fraktion im Europäischen Parlament und Staatssekretär im zweiten Kok-Kabinett.

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Der zweite ist der Aufstieg Chinas. China baut gezielt seine Dominanz in den Hightech-Sektoren aus, die das Rückgrat der Weltwirtschaft bilden. Europa hinke weit hinterher, warnte der frühere Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), Mario Draghi, kürzlich. Um unseren Wohlstand zu erhalten, muss Den Haag in den kommenden Jahren auch deutlich mehr für Forschung und Innovation ausgeben.

Das dritte Kernproblem ist die Zukunft der Europäischen Union. Neben der Ukraine klopfen sechs weitere Länder an die Tür, die Türkei nicht mitgerechnet. Doch eine EU mit 27 bis 34 Ländern droht undurchführbar zu werden.

Vetorecht

Erstens bedarf es Maßnahmen, die verhindern, dass die EU ins Stocken gerät, etwa die Einschränkung des Vetorechts. Deutschland und Frankreich sind dazu bereit. Zweitens kostet dieser Ausbau viel Geld: schätzungsweise 256,8 Milliarden Euro. Um sowohl den Ausbau als auch die notwendigen europäischen Investitionen in Verteidigung, Innovation, Energie und Klima zu finanzieren, plädiert Präsident Klaas Knot von der Nederlandsche Bank daher für gemeinsame europäische Kredite, sogenannte Eurobonds.

Aber was will Den Haag? Was können wir beispielsweise von einer Mitte-Rechts-Koalition erwarten: einem Kabinett aus NSC, VVD, BBB, CDA, JA21 und SGP?

Beide Parteien, PvdA/Groen Links und D66, wollen mehr Geld für die Verteidigung, aber die europäische Verteidigungskooperation erhält weniger Unterstützung. Ginge es nach VVD und BBB, gäbe es kein Ende der Fragmentierung des europäischen Verteidigungsmarktes. Sie wollen, dass die Niederlande von den europäischen Beschaffungsregeln abweichen, um die nationale Industrie anzukurbeln.

Von den Mitte-Rechts-Parteien befürwortet nur die CDA gemeinsame Waffenkäufe. Auch für zusätzliche Investitionen in Forschung und Innovation als gemeinsame europäische Antwort auf die chinesische Herausforderung gibt es wenig Unterstützung. CDA, VVD und JA21 kürzen Innovationssubventionen und wissenschaftliche Forschung. BBB und NSC bieten keine finanzielle Klarheit. Außer der VVD verweist keine der Mitte-Rechts-Parteien auf das europäische Ziel von 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) für die Forschung.

Entschlossenheit

Drei Dinge fallen im Hinblick auf die Zukunft der EU auf. Erstens der Widerstand gegen eine entschlossenere EU. Omtzigts NSC will beispielsweise alle europäischen Gesetze von der Zustimmung des Repräsentantenhauses abhängig machen. JA21 verspricht, dass niederländische Gesetze Vorrang vor europäischen haben werden. Die BBB will dem Europäischen Ausschuss der Regionen ein Vetorecht gegen Kommissionsvorschläge einräumen. Die SGP möchte, dass die Europäische Kommission vor der Einführung von Gesetzen die vorherige Zustimmung der Regierungschefs einholt und dass das Europäische Parlament seine Rolle als Mitgesetzgeber verliert. Auf der linken Seite schlägt die SP nun die Abschaffung der Europäischen Kommission vor. PVV und FvD verlangen, dass die Niederlande die EU verlassen. Diese Parteien lehnen daher die notwendigen Reformen, um die Europäische Union zukunftssicher zu machen, entschieden ab.

Auch gegen zusätzliche europäische Ausgaben gibt es breiten Widerstand. Der NSC will keinen höheren EU-Haushalt, auch nicht mit mehr Mitgliedstaaten. Die BBB steht zusätzlichen Ausgaben „sehr kritisch“ gegenüber. Die SGP will den EU-Haushalt auf 1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) kürzen und die PVV verspricht sogar, „unsere Milliarden aus Brüssel abzuholen“, sodass die Niederlande zum Nettozahler werden. Eurobonds werden von BBB, CDA, JA21 und ChristenUnie abgelehnt; Auch die CDA ist gegen europäische Steuern. Der VVD, der zuvor für eine Halbierung des EU-Haushalts plädierte („Europa zum halben Preis!“), befürwortet nun ein starkes Europa, sagt aber nicht, was das kosten könnte.

Skepsis

Auffallend ist schließlich die Skepsis gegenüber dem Euro und der Europäischen Zentralbank. Omtzigt glaubt, dass „die Idee des Euro gescheitert ist“. Die BBB will den Euro in eine Nord- und eine Südwährung aufspalten. Wilders nennt den Euro eine Fehlzündung. Sowohl die SGP auf der rechten als auch die SP auf der linken Seite wollen den Austritt aus dem Euro erleichtern. JA21 will ein Referendum über den Euro und FvD will, dass die Niederlande den Euro sofort verlassen.

Natürlich: Die Haager Suppe wird zu Wahlzeiten oft nicht so heiß gegessen. Doch viele Parteien kehren Europa schon seit Längerem den Rücken. Dies drückt sich nicht nur in symbolischen parlamentarischen Anträgen gegen eine europäische Armee aus (die kein EU-Land befürwortet), sondern auch in der Ablehnung eines wichtigen europäischen Handelsabkommens mit südamerikanischen Ländern. Viele Parteien sagen konkreter, was sie nicht wollen, als was sie in Europa wollen. Zu oft vermittelt Den Haag den Menschen das Gefühl, dass „Europa es tun muss“, warnte der Sozial- und Wirtschaftsrat (SER) kürzlich.

Das ist gefährlich. Der britische Premierminister David Cameron verlor 2016 sein Referendum über die EU, weil Gegner die Diskussion kaperten. Sollten die Niederlande ein Referendum über neue Mitgliedsstaaten und einen neuen Vertrag organisieren, besteht eine gute Chance, dass das Gleiche auch hier passieren würde. Ein neues niederländisches Kabinett sollte nicht mit Unmut in Brüssel tatenlos zusehen wollen. Parteien, die die Unterstützung der Europäischen Union vernachlässigten, untergruben unsere nationalen Interessen.



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