Der äthiopische Premierminister Abiy Ahmed hat mit seiner zentralistischen Politik den Widerstand in den ethnisch gespaltenen Staaten angeheizt.
In Äthiopien droht erneut ein Bürgerkrieg, weniger als neun Monate nach der Unterzeichnung des Friedensabkommens in der Region Tigray, wo Hunderttausende Zivilisten in dem zweijährigen Krieg gestorben sind. Diesmal sind es die ethnischen Amhara, die sich gegen die Autorität der Zentralregierung in der Hauptstadt Addis Abeba wenden.
Mit 25 Prozent sind die Amhara die zweitgrößte Bevölkerungsgruppe Äthiopiens und stellen daher eine ernsthafte Bedrohung für den äthiopischen Premierminister Abiy Ahmed dar, der 2019 für seine Rolle bei der Lösung des Grenzkonflikts mit dem Nachbarland Eritrea den Friedensnobelpreis erhielt.
Von den hohen Erwartungen bei seinem Amtsantritt im Jahr 2018 ist wenig übrig geblieben. Auch Ahmed, der selbst der größten ethnischen Gruppe der Oromo angehört, gelingt es nicht, die Dutzenden ethnischen Völker Äthiopiens in einem Staat zu vereinen. Die Hoffnung war, dass er der Mann sein würde, der nach einer Zeit heftiger Bürgerproteste und jahrzehntelanger Herrschaft der Tigreaner, die nur 6 Prozent der Bevölkerung ausmachen, Einheit und Gleichheit bringen könnte. Er versprach auch ein gewisses Maß an Selbstbestimmung für die ethnisch gespaltenen Staaten.
In der Praxis setzte Ahmed die zentralistische Politik seiner Vorgänger fort und löste 2020 den Widerstand der Tigre People’s Liberation Front (TPLF) aus. Es kam zu einem blutigen Krieg, in dem sich Kämpfer aus Amhara der Regierungsarmee anschlossen, um die TPLF zurückzudrängen. Auch zwischen den beiden Volksgruppen kam es zu Auseinandersetzungen, die auf beiden Seiten zu brutalen Tötungen und Vergewaltigungen führten. Nur mit roher Gewalt gelang es der äthiopischen Armee, die Rebellen aufzuhalten. Dies hat jedoch den Widerstand der Bürger gegen die Bundesregierung angeheizt und die ethnische Feindseligkeit nur vorübergehend erstickt.
Es scheint unmöglich, diese Spirale der Gewalt im ethnisch gespaltenen Äthiopien zu beenden. Je mehr Bürger in den Bundesstaaten sich der Zentralgewalt widersetzen, desto härter unternimmt die Regierung, um den wackeligen Nationalstaat zusammenzuhalten. Dieses Muster wiederholt sich nun in Amhara, wo die Armee hart gegen die aufständischen Fano-Milizen vorgehen musste, die sich weigerten, sich wie im Friedensabkommen mit der Nationalarmee zusammenzuschließen.
Es ist höchst fraglich, wie lange Ahmeds Regierung noch bestehen wird. Wenn dieser ethnische Schmelztiegel mit mehr als 120 Millionen Einwohnern explodiert, wäre das eine absolute Katastrophe für das ohnehin schon instabile Horn von Afrika.
Der Volkskrant Commentaar bringt die Position der Zeitung zum Ausdruck. Es kommt nach einer Diskussion zwischen den Kommentatoren und den Chefredakteuren zustande.