Im wahnsinnigen Spekulationszirkus kann der Benzinpreis auch (gerade) negativ werden

Im wahnsinnigen Spekulationszirkus kann der Benzinpreis auch gerade negativ werden
Peter de Ward

Die Niederlande kannten einst den Glühbirnenrausch. England hatte die Südseeblase und die USA den Börsencrash an der Wall Street.

Aber im verrückten und wahnsinnigen Zirkus der Finanzderivate dieses Jahrhunderts, wo jedes Produkt – von Getreide und Holz bis hin zu Öl und Gas – vor der Lieferung durch die Hände von Dutzenden von Spekulanten geht, ist alles möglich, was in früheren Jahrhunderten völlig undenkbar war.

Ein Beispiel dafür sind die Negativzinsen der letzten Jahre, die dazu führten, dass Geld auf Spareinlagen gezahlt werden musste. Auch der Ölpreis ist seit einiger Zeit negativ. Am 20. April 2020 fiel der Preis für ein Barrel US-Öl WTI am Terminmarkt auf -37,67 Dollar bei Lieferung im Juni, womit der Käufer fast 40 Euro für ein Barrel Öl bekam.

Durch die Corona-bedingten Lockdowns sind Unternehmen ebenso zum Erliegen gekommen wie der Pendlerverkehr. Es gab kein Fliegen mehr. Doch Öl wurde weiterhin im großen Stil gefördert, weil die Produzenten (Opec+ aber auch die amerikanischen Schieferölkonzerne) die Produktion nicht schnell genug drosseln konnten.

In kürzester Zeit waren die Lagertanks voll und die Öltanker vor den europäischen Häfen dienten als Reservelager. Unglücklicherweise für Autofahrer und andere Energiefresser dauerte dieser glückselige Moment nur einen Moment. Trotz anhaltender Pandemie erholte sich die Wirtschaft schneller als erwartet. Und die Anlagen ließen sich leichter abschalten als wieder hochfahren, was zu Engpässen führte und die Preise schnell von 20 auf 80 und später über 100 Dollar pro Barrel explodierten.

Dasselbe passierte diese Woche mit dem Gaspreis. Es war auch zweimal negativ. Am Montagmorgen fiel der TTF-Gas-Futures-Kontrakt auf -15,78 Dollar für einen sogenannten Next-Hour-Vertrag. Das bedeutet, dass das Gas innerhalb von 40 Minuten geliefert wird. Später wurde ein weiterer Vertrag verkauft, bei dem der Käufer 8,50 $ erhielt.

Niemand wollte diese Verträge, weil so kurzfristig kein Lagerplatz frei war. Das warme Herbstwetter und die Fülle an Sonnen- und Windenergie führten zu einer geringen Gasnachfrage, während aus Angst vor einem strengen Winter eine große Menge Flüssigerdgas gekauft wurde. Sechzig LNG-Tanker lagen vor den verschiedenen Hafenstädten in Europa vor Anker und dienten als Zwischenlager. Und das Hinzufügen von Regasifizierungsanlagen kann nicht innerhalb einer Woche erfolgen, geschweige denn in vierzig Minuten.

Auf dem Terminmarkt fiel der Preis für einmonatige Terminkontrakte für Gaslieferungen von 350 US-Dollar im August auf unter 100 US-Dollar pro Megawattstunde. Aber es gab keine Kandidaten für Lieferungen innerhalb einer Stunde. Der Verkäufer – vermutlich ein Spekulant, der auch kein Terminal im Hinterhof hat – musste es gewaltsam loswerden, bevor ein Tanker vorfuhr. Dann verkaufe es mit Geld.

Mit der Ankunft so vieler Derivate und Finanzparteien ist der Spekulationswahn des 21. Jahrhunderts auf den globalen Märkten der bizarrste aller Zeiten.



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