Im Amsterdamer Mikrowohnblock Domus bekommt das Kastenbett eine Aufwertung

Im Amsterdamer Mikrowohnblock Domus bekommt das Kastenbett eine Aufwertung


„Das gemütlichste Bett in Amsterdam“, so nennt Bente Kloth das Kastenbett in ihrem brandneuen Mikroapartment im Wohnkomplex Domus Houthaven in Amsterdam. Mit seinen bunten Wänden und Klappläden hat es etwas von einem Puppentheater, in dem man sich verkriechen kann. Das Bett ist auch eine Bühne, von der aus Kloth abends gerne den Sonnenuntergang durch das große Westfenster betrachtet. Tagsüber schließt das „Puppentheater“ und die Wohnung ist ein großer Wohnraum, der auffallend aufgeräumt wirkt: Alle Dinge scheinen in den Schubladen und Schränken verstaut zu sein, die um das Bettkasten herum gebaut wurden. Kloth: „Vorher habe ich in einer 50-Quadratmeter-Wohnung gewohnt. Das ist 46, fühlt sich aber geräumiger an.“

Kompaktes Wohnen, großes Gefühl: Das ist die Idee hinter XS Deluxe, dem Wohnkonzept, das Entwickler Synchronon 2015 mit dem Architekturbüro Shift A+U entwickelt hat. Es entstand in der Wirtschaftskrise, als die winziges GehäuseBewegung aus Amerika. Menschen, die ihre Hypothek oder Miete nicht mehr bezahlen konnten, zogen dort in Wohnmobile und Gartenhäuser, die sie mit Klapp- und Klappmöbeln zu Wohnparadiesen umfunktionierten.

Kollektiver Hof

„Wir sahen verschiedene Gründe für eine urbane Variante“, sagt Synchronon-Direktor Tobias Verhoeven. „Die Zahl der Einpersonenhaushalte nimmt zu und Nachhaltigkeitsambitionen erfordern eine sparsamere Nutzung von Materialien und Raum, wobei die Bewohner Einrichtungen wie Waschmaschinen teilen, anstatt sie zu besitzen.“ Diese soziale Komponente ist auch deshalb relevant, weil laut Statistics Netherlands die Einsamkeit in allen Altersgruppen zunimmt.

Als im ehemaligen Houthavens Land verfügbar wurde, sah Verhoeven die Gelegenheit, ein Pilotprojekt mit 235 Wohnungen (45 bis 60 Quadratmeter) und einem gemeinsamen Wohn- und Arbeitszimmer (250 Quadratmeter) auf dem gemeinsamen Hofgarten und auf dem Dach zu starten a Pavillon mit Kochstudio und Gästezimmer. Der Hausmeister verwaltet die gemeinsam genutzten Räume, die Community Manager organisiert Aktivitäten für und mit Bewohnern. Im Erdgeschoss entsteht ein Parkhaus mit Mietparkplätzen und Carsharing-Plätzen, ein Café, ein Sportstudio und eine Kindertagesstätte.

Keine Wohnquartiere

In den letzten Jahren sind ähnliche Wohnkonzepte in den großen Städten gelandet, wie Student Hotel und OurDomain. Gebäude, deren hippe Innenausstattung nicht darüber hinwegtäuschen kann, dass es sich hauptsächlich um einen kolossalen Raumstapel handelt. „Wir wollten keine Wohnkaserne bauen“, sagt Oana Rades, Partnerin und Architektin bei Shift A+U, über die Entscheidung, das Gebäudevolumen in neun Blöcke mit jeweils eigener Ziegelfarbe zu unterteilen. Jeder Block hat eine geräumige Eingangshalle mit Treppe zum Innenhof im ersten Stock.

Domus hat keine hotelähnliche Lobby mit Rezeption. Es sieht eher aus wie ein Wohngebäude der Amsterdamer Schule, wunderschön gestaltet mit glasierten Fliesen, reflektierenden Pflanzgefäßen und einem Terrazzoboden. Die Korridore haben große Fenster an den Enden und die Galerien sind extra breit, damit die Bewohner einen Stuhl in die Sonne stellen können.

Um in den kompakten Wohnungen möglichst viel Wohnraum zu schaffen, verlängerten die Architekten die Einbau- und Küchenschränke bis unter die Decke. Der freie Raum über der Toilette wurde für Installationen genutzt und das Schlafzimmer wurde durch das Kastenbett ersetzt.

Frida Kallo

„Hier braucht man nicht viel mehr als eine Matratze und einen Tisch“, sagt Raoul Vink in seinem Polsteratelier mit knallgelber Küche, in der er Frida-Kahlo-Prints aufgehängt hat. Er suchte ein Zuhause in der Nähe seines Arbeitsplatzes auf Schiphol und der gemeinschaftliche Charakter gefiel ihm. „Ich kam aus dem Ausland, meine Beziehung war beendet. Bei mehreren Nachbarn war dies der Fall. Wir starteten eine Singles-App und tranken sofort einen Drink im Gemeinschaftswohnzimmer.“

Webentwickler Dwayne Roberts sitzt hinter seinem Laptop im gemeinsamen Wohnbereich mit Arbeitsbereich, Sitzecke, TV-Bereich und Küchenbar. „Ich arbeite drei Tage im Büro und sonst oft in einem Café in der Stadt, beginne aber meistens hier und beende die Arbeitswoche mit einem Bier und einer Partie Schach.“ Er zeigt auf das im Sofa eingebaute Schachbrett. Er freut sich über die Gemeinschaftseinrichtungen und die geringen Energiekosten (65 Euro Fernwärme, 50 Euro Strom). „Die Heizung ist diesen Winter noch nicht angegangen, drinnen ist es aber angenehm warm.“

1.400 Euro

Nicht klein bei diesen Wohnungen ist der Mietpreis: rund 1.400 Euro pro Monat für 46 Quadratmeter, plus 90 Euro Nebenkosten. Bei den hohen Grundstückspreisen in Amsterdam sei es laut Verhoeven nicht möglich, Studios im privaten Bereich günstiger zu vermieten, auch weil Wohnungen kleiner als 46 Quadratmeter hier nicht erlaubt seien. Aber auch für Mietwohnungen im mittleren Preissegment (ca. 1.000 Euro monatlich) hält der Entwickler das Konzept für geeignet. Synchronon untersucht die Möglichkeiten, es an anderen Orten zu realisieren.

Japanisches Haus

Ein Micro Home ist ein offener Wohn- und Schlafraum zwischen 20 und 60 Quadratmetern, bei dem jeder Winkel genutzt wird. Gerade in Japan, wo Bauland extrem knapp ist, sehen Architekten es als Sport an, Häuser auf unmöglich kleinen Grundstücken mit verschiebbaren Wänden und Klappmöbeln zusammenzupuzzeln. Ikea Japan startete 2021 eine „Tiny Homes“-Kampagne, bei der ein 10 Quadratmeter großes Musterhaus in Tokio für 99 Yen pro Monat (71 Eurocent) eingerichtet und vorübergehend vermietet wurde.



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