„Ich gehe davon aus, dass es im Hinblick auf die Spiele Aufrufe geben wird, Israel aus der arabischen Welt zu boykottieren.“

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Das israelische Team während der Eröffnungszeremonie der Olympischen Spiele 2021 in Tokio.Bild Getty Images

Während der Olympischen Spiele 1972 wurden elf israelische Sportler bei einer Geiselnahme der palästinensischen Terrorgruppe Schwarzer September getötet. Seit dieser Tragödie ist der palästinensisch-israelische Konflikt eng mit dem Sport verbunden. Es ist eine Narbe, die durch den aktuellen Krieg zwischen Israel und der Hamas erneut aufgerissen wird und mit den bevorstehenden Olympischen Spielen in Paris noch deutlicher sichtbar werden wird.

„Politik wird von allen Seiten durchscheinen“, sagt Rolf Bos. Er ist ein ehemaliger Sportjournalist und ehemaliger Korrespondent für de Volkskrant in Israel und Experte für olympische Geschichte. Sein Buch wurde letztes Jahr veröffentlicht Ein deutscher Sommerdas die dunklen Tage der Sommerspiele in München schildert.

Der aktuelle Konflikt hat bereits Einzug in den Sport gehalten. Diese Woche sagte der in Deutschland lebende palästinensische Ringer Rabbia Khalil, er wolle nicht gegen Israelis antreten. „Nicht aus religiösen Gründen, sondern weil es schon immer Krieg zwischen den beiden Völkern gegeben hat.“ Ich gehe davon aus, dass mehr arabische oder pro-palästinensische Sportler Spiele boykottieren werden.“

Über den Autor

Erik van Lakerveld schreibt seit 2016 über olympische Sportarten wie Eislaufen, Leichtathletik und Rudern.

Das IOC warnte am Mittwoch möglicherweise als Reaktion darauf, dass Sportler in Paris ihre Gegner nicht boykottieren oder diskriminieren sollten. Wer dies tut, dem drohen Sanktionen. Lange Sperren sind möglich.

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Wrestler Khalil meldet sich jetzt zu Wort, doch in Tokio bestand die palästinensische Olympiamannschaft nur aus fünf Personen. Es gab neunzig israelische Teilnehmer. Wie viel Druck können die Palästinenser ausüben?

„Das Palästinensische Olympische Komitee ist im Vergleich zu anderen Mitgliedsstaaten des IOC ein Zwerg.“ Israel hat ein Mitglied im IOC, Palästina nicht. Sport gibt es zwar, aber der macht nicht viel aus. Sie haben andere Dinge im Kopf, auch wenn kein Krieg herrscht. Ich gehe davon aus, dass es von links und rechts Aufrufe aus der arabischen Welt nach Paris geben wird, Israel zu boykottieren. So wie die Ukraine den Ausschluss der Russen fordert.“

Sehen Sie einen Zusammenhang zwischen den Auswirkungen dieser Kriege in der Ukraine und im Gazastreifen auf das IOC? Russland ist eindeutig der Aggressor, in Gaza scheint sich diese Rolle von der Hamas auf Israel zu verlagern. Mittlerweile wird der Ruf nach einem Olympia-Boykott gegen Israel laut.

„Dieser Konflikt in Gaza dürfte für das IOC bei der ganzen Diskussion darüber, ob die Russen nächstes Jahr nach Paris reisen können, nicht so schlimm sein.“ Der Aufruf, Israel als Aggressor zu boykottieren, verwässert die Forderung, Russland auszuschließen. Und wenn Sie sagen, dass Israel willkommen ist, sollten auch die russischen Athleten willkommen sein. IOC-Präsident Thomas Bach, der Verbindungen zu Wladimir Putin hat, schiebt diese Entscheidung immer wieder hinaus. Ich erwarte, dass die Russen irgendwann als neutraler Sportler willkommen geheißen werden. Das ist das zynische Faustpfand des Gaza-Konflikts.“

Ein Boykott ist ein wiederkehrendes Mittel in der olympischen Geschichte, aber hatte er jemals irgendeine Wirkung?

„Jimmy Carter argumentierte 1980: Wenn wir die Spiele 1936 boykottiert hätten, hätte es nie zum Zweiten Weltkrieg gekommen.“ Das ist ein völliger Trugschluss. Der Sport ist nicht so wichtig. Aber Carter stand zu dieser Zeit zu Hause unter Beschuss und wollte sich als starker Anführer beweisen. 1980 war der letzte große, wirklich große politische Boykott. Was letztendlich zu nichts führte. „Die Russen waren bis 1989 in Afghanistan.“

IOC-Präsident Thomas Bach ist entschieden gegen Boykotte. Warum?

„Bach gewann Gold als Fechter bei den Olympischen Spielen 1976 in Montreal, aber 1980 war er vielleicht sogar noch besser.“ Doch genau wie in den Niederlanden gab es auch in der damaligen Bundesrepublik Deutschland eine Diskussion darüber, ob Sportler zu den Spielen in Moskau fahren sollten. Als Sportler befürwortete Bach die Teilnahme und hielt eine Rede, um dafür zu plädieren. Er beendete seine Rede mit: „Lang lebe Olympia“. Doch am Ende stimmten die westdeutschen Gewerkschaften dagegen. Bach war daher ein persönliches Opfer dieses Boykotts und war darüber sehr frustriert.

„Bach hat immer noch das gleiche Mantra wie damals: Wenn wir in einem Land die Olympischen Spiele organisieren, werden sich die Menschenrechte danach verbessern.“ Aber ist das so? In Peking ist das nicht passiert. In Russland ist das nach den Winterspielen in Sotschi überhaupt nicht passiert.“

Das IOC präsentiert sich stets als Friedenstaube und die Olympischen Spiele als ein Ort, an dem Sportler aller Länder frei zusammen sein können. Wie ist die Praxis?

„Diese ganze Idee der Freiheit der Sportler untereinander existiert nicht.“ Das ist der Geist der Olympischen Spiele, dass man unabhängig von seiner Herkunft sportlich miteinander konkurrieren kann. Das stimmt aber nicht. In der jüngeren Vergangenheit gab es zahlreiche arabische und iranische Sportler, die sich zurückzogen, weil sie nicht gegen Israelis antreten wollten. Und 2016 bei den Olympischen Spielen in Rio wollten libanesische Athleten massenhaft den Shuttlebus zwischen dem Olympischen Dorf und dem Stadion verlassen, als israelische Athleten einstiegen.

„Seit 1972 hat sich alles verändert.“ Das war ein Angriff mitten im Olympischen Dorf. So etwas hatte es noch nie zuvor gegeben. Die israelischen Athleten dachten, sie seien dort in Sicherheit, wurden aber in dieser Blase angegriffen und ermordet. Ab 1976 wurde die Sicherheit stark erhöht. In Sydney konnte man 2002 nicht einfach Israelis besuchen. Es war alles durch Stacheldraht und Panzerung getrennt, alles war extra bewacht. „In München gab es 1972 keinen eigenen Sicherheitsdienst, aber seitdem reist das israelische Team immer mit eigenem Sicherheitspersonal.“

Wie wirkte sich dieses Drama auf die olympische Bewegung aus?

„Im IOC wurde das bewusst lange Zeit nicht diskutiert.“ Es wäre klar gewesen, dass die Eröffnungsfeier 1976 in Montreal der israelischen Opfer von München gedacht hätte. Doch die Präsidenten Lord Killanin, Juan Antonio Samaranch und später Jacques Rogge, ein sehr kultivierter Mann, trauten sich aufgrund des arabischen und russischen Blocks nie dazu. Bach hat das durchbrochen. Vor zwei Jahren drückte er in Tokio sein Beileid aus. Es gab eine Schweigeminute, die jedoch nur sehr wenige Menschen sahen, da es sich aufgrund der Corona-Maßnahmen nicht um eine normale Eröffnungsfeier handelte.

Spielte seine deutsche Herkunft bei seinem Einsatz für die Opfer von 1972 noch eine Rolle?

„Bach hatte stets ein offenes Ohr für die Angehörigen der israelischen Opfer. Darüber hinaus die Sicherheit Israels für Deutschland Staatsräson ist, wie sie es nennen. Es ist sozusagen in der Verfassung verankert. Diese Länder sind durch den Holocaust miteinander verbunden.“

Welche Stellung haben palästinensische Sportler im IOC?

„Ein Palästinensisches Olympisches Komitee gab es bereits in den 1930er Jahren, als Palästina noch eine britische Kolonie war. Sie waren 1936 sogar in Berlin willkommen. Sie gingen aber nicht, weil es im Palästinensischen Olympischen Komitee auch Juden gab.

Das palästinensische Team während der Eröffnungszeremonie der Olympischen Spiele 2021 in Tokio. Bild Sportdatei über Getty Images

Das palästinensische Team während der Eröffnungszeremonie der Olympischen Spiele 2021 in Tokio.Sportsfile-Bild über Getty Images

„Seit 1996 gibt es eine Delegation zu den Olympischen Spielen im modernen Palästina. Es war ein ziemlich bewegender Auftritt, als sie in diesem Jahr an der Eröffnungsfeier teilnahmen. Auf der Tribüne befanden sich auch Angehörige der Opfer von 1972. Sie applaudierten der Teilnahme des 10.000-Meter-Läufers Majed Abu Maraheel aus Palästina. Es war die Zeit der Friedensabkommen, der Auseinandersetzung zwischen Yitzhak Rabin und Yasser Arafat. Das war eine hoffnungsvolle Zeit.“

Diese Hoffnung ist weg?

„Es ist ein hoffnungsloser, hoffnungsloser Konflikt und sehr deprimierend.“ Als Korrespondent habe ich immer versucht, neutral zu bleiben. Dann habe ich eine Geschichte aus palästinensischer Seite und dann eine weitere Geschichte aus israelischer Sicht geschrieben. Aber man macht es nie richtig, nicht einmal in den Niederlanden. Die Menschen hier sind pro-palästinensisch oder pro-israelisch, die Nuancen sind sehr schwer zu vermitteln.

„Als ich in Israel lebte, war der Sohn meines Nachbarn in einer Eliteeinheit der israelischen Armee. Als ich ihm einmal erzählte, dass ich in Gaza gewesen war und mit Leuten ein Barcelona-Spiel gesehen hatte, war er erstaunt. Könntest du einfach dorthin gehen? Ja, sagte ich, als Journalist. Es gibt auch normale Menschen, die dort wohnen und abends die Champions League schauen. Wir sind Messi-Fans und sie sind es auch. Sie sind nicht alle Terroristen, aber da zwischen diesen Ländern Mauern liegen, können sie sich nicht mehr wie früher treffen.

„Aber ja, dieser Angriff am 7. Oktober.“ Wenn Sie diese grausamen Bilder sehen und was in diesen Kibbuzim auf diesem Festival passiert ist. Als Land können Sie dies nicht unangetastet lassen. Dann muss man etwas für die eigene Bevölkerung tun. Darauf muss man sehr entschieden reagieren, wenn man es aus israelischer Perspektive betrachtet.

Wie sehen Sie dieses Ende?

„Wenn die Spiele nächstes Jahr stattfinden, wird der Gaza-Krieg nicht mehr weitergehen.“ Eine ähnliche Bodenoffensive gab es auch 2014, allerdings ging ihr kein so schrecklicher Angriff wie am 7. Oktober voraus. Und wie immer kam es nach einer Weile zu einem Waffenstillstand.

„Eine Bodenoffensive kann die Hamas niemals eliminieren, ohne Tausende zivile Opfer zu fordern.“ Und wo ist die Grenze? Bei 15.000? 20.000? 50.000? Letztlich wird der Westen das nicht akzeptieren. Jetzt unterstützen sie immer noch Israel, aber wenn ich das so einschätze, werden die Amerikaner nach drei bis vier Wochen sagen: Leute, das ist genug. Dann wird eine Art Status Quo zurückkehren. Zweifellos wird Israel die Täter des Terroranschlags auch danach weiter verfolgen, so wie schon nach München.“

Was würde ein solcher Status quo für die Olympischen Spiele in Paris bedeuten?

„Es wird sowieso unglaublich teuer sein.“ Paris mit all seinen Vororten ist nicht unbedingt eine pro-israelische Stadt. Dies ist in Saint-Denis, dem Bezirk, in dem sich das Olympiastadion befindet, sicherlich nicht der Fall. Doch damit mussten sie sich in Paris schon oft auseinandersetzen, mit Drohungen, Ausschreitungen und natürlich auch mit Anschlägen Charlie Hebdo und Bataclan.

„Milliarden werden für Sicherheit ausgegeben.“ Die Sicherheit könnte bis zu einem Drittel des olympischen Budgets ausmachen. Dabei handelt es sich um Kosten, die vom französischen Staat getragen werden. Das IOC sammelt nur, es muss es nicht organisieren. So oder so werden es wieder „militärische“ Spiele sein, mit bewaffneten Sicherheitsleuten auf den Straßen überall.“



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