Viele Naturschützer begannen bereits zu verzweifeln, doch am Samstagabend Ortszeit war es in New York endlich soweit. Nach mehr als 15 Jahren Gesprächen, fünf Gipfeln, drei vorangegangenen gescheiterten Abschlusssitzungen und mehr als 38 Stunden ununterbrochener Verhandlungen haben die Vereinten Nationen eine Einigung für einen Vertrag zum Schutz und zur nachhaltigen Entwicklung der Ozeane erzielt. „Das Schiff hat das Festland erreicht“, sagte die singapurische Vorsitzende Rena Lee erleichtert.
Delegationen aus rund 160 Ländern einigten sich in New York auf eine verbindliche Rahmenkonvention zum Schutz der Biodiversität in der „Hohen See“, den internationalen Gewässern „jenseits nationaler Hoheitsgewalt“, die zwei Drittel der Ozeane bedecken. Die Ozeane sind immens wichtig für alles Leben auf dem Planeten – sie produzieren die Hälfte des Sauerstoffs, regulieren das Klima und ernähren Milliarden von Menschen – aber weniger als 1,2 Prozent sind geschützt. Das macht sie anfällig für Umweltverschmutzung und Überfischung. Mit dem vereinbarten Vertrag können in den Ozeanen geschützte Meeresgebiete (Meeresreservate) eingerichtet werden.
Menschliche räuberische Konstruktion
Damit ist das Abkommen eine entscheidende Voraussetzung für das auf dem UN-Biodiversitätsgipfel in Montreal im Dezember vereinbarte Ziel, bis 2030 30 Prozent der Meere und Ozeane (und des Landes) unter Schutz zu stellen („30 x 30“), damit sie geschützt sind vor den Folgen des Raubbaus durch den Menschen – und vielleicht sogar in der Lage, sich davon zu erholen. Fast 10 Prozent der Arten in den Ozeanen sind vom Aussterben bedroht, darunter 15 Prozent der Korallen, 67 Prozent der Knochenfische und 90 Prozent der Haie und Rochen, so der Dachverband der Wildtierorganisationen IUCN. Und dann sind unzählige Arten in den Ozeanen noch gar nicht bekannt.
Die Einigung war wegen aller wirtschaftlichen Interessen schwer zu erreichen. Der größte Stolperstein war die Kluft zwischen reichen und Entwicklungsländern in Bezug darauf, wie Meeresschutz im Vergleich zu nachhaltiger Ausbeutung abschneidet, welche wirtschaftlichen Aktivitäten in Schutzgebieten erlaubt sind oder nicht und wie diese Ausbeutung so fair wie möglich gestaltet werden kann. Neben dem Transfer von (Meeres-)Technologie ging es dabei vor allem um die Verteilung der Erlöse aus „genetischen Ressourcen“ – dem biologischen und genetischen Material von Schwämmen, Korallen, Algen, Krill und Algen, das für unzählige biotechnologische und pharmazeutische Anwendungen wichtig ist.
Nachhaltiges Management
Das jetzt erzielte Abkommen enthält die wichtigsten Elemente, die für den Schutz und die nachhaltige Bewirtschaftung der Meere notwendig sind: den internationalen Rechtsrahmen für die Ausweisung von Meeresschutzgebieten und die Vereinbarung, was dort erlaubt und was nicht ist; Regeln, wie geplante wirtschaftliche Aktivitäten getestet und überwacht werden; und Vereinbarungen über eine gerechte Verteilung der Erlöse.
Was vor allem gescheitert zu sein scheint, ist die großzügige Finanzierung des Prozesses. Die reichen Industrieländer zeigten sich unwillig, den Entwicklungsländern die gewünschten Milliarden entgegenzubringen. Zwar hat die EU am Donnerstag 820 Millionen Euro für den Meeresschutz zugesagt, um den Verhandlungsstopp zu überwinden. Auf der anderen Seite ist das Abkommen nicht am Geld abgeprallt.
Insider wiesen am Sonntag sofort darauf hin, dass die Arbeiten erst nach der Einigung von New York beginnen würden. Die Delegationen müssen zurückkommen, um den Vertrag formell anzunehmen und sich auf seine weitere Ausarbeitung zu einigen. Dann beginnt der Ratifizierungsprozess: Die Länder müssen den Vertrag in ihrer eigenen Gesetzgebung verankern. Die Erfahrung zeigt, dass diese Ratifizierungen manchmal ausbleiben (die USA haben die UN-Biodiversitätskonvention nie ratifiziert). Erst wenn eine qualifizierte Mehrheit von vierzig bis sechzig Staaten den Vertrag unterzeichnet hat, tritt er offiziell in Kraft.
Meeresschutzgebiete
Es ist entscheidend, dass dieser Prozess so schnell wie möglich abgeschlossen wird, um das 30-Prozent-Ziel zu erreichen. Laut Greenpeace müssen bis 2030 jährlich mindestens 11 Millionen Quadratkilometer Ozean geschützt werden. Diese Meeresschutzgebiete müssen an den richtigen Stellen angesiedelt und miteinander verbunden werden, da viele Arten wie Wale wandern. „Die Uhr tickt 30 x 30. Wir haben bald ein halbes Jahrzehnt Zeit und können uns nicht zurücklehnen“, sagt Laura Meller von Greenpeace.
Die Entscheidung an diesem Wochenende kann dennoch als historisch bezeichnet werden. „Dieses Abkommen ist der Game Changer, den die Ozeane so dringend brauchen“, sagte Fabienne McLellan von der NGO OceanCare. In einer Welt, die so geopolitisch gespalten ist wie nie zuvor, ist es den UN-Mitgliedsstaaten zweieinhalb Monate nach dem Montrealer Abkommen erneut gelungen, ihre Spaltungen zu überwinden und zu zeigen, dass die Natur sie alle letztendlich verbindet. Ein Zeichen der Hoffnung.