Harrie (69) lebt seit einem Vierteljahrhundert in einem Studentenwohnheim. „Schön ist es nicht, all diese jungen Leute“

Harrie 69 lebt seit einem Vierteljahrhundert in einem Studentenwohnheim „Schoen


Zunächst sah es nicht danach aus, als würde Harrie Doeleman (69) den größten Teil seines Lebens in einem 24 Quadratmeter großen Studentenzimmer verbringen. Schon in jungen Jahren fing er an, sich mit seiner Freundin zu treffen, und als er in den Dienst gestellt wurde, beschlossen die beiden, zu heiraten, damit er Anspruch auf eine Ernährerzulage hatte. Nicht viel später kauften sie ein Haus in der Betuwe, bekamen einen Sohn und Doeleman („nennen Sie es Harrie, ich fühle mich noch jung“) eröffnete eine Cafeteria.

Auf dem Papier schien es, als hätte er alles herausgefunden, aber er hatte die ganze Zeit ein undefinierbares Gefühl. Zuerst war er sich nicht ganz sicher, was es war, aber allmählich wurde es klarer. „Nach einer Weile fand ich heraus, dass ich Männer doch mochte“, sagt Harrie. Es markierte das Ende seiner Ehe.

Während er seine Geschichte erzählt, sitzt Harry auf seinem Balkon. So ist gut zu sehen, wie zwei seiner Mitbewohner unten, beide mit einer vollen Kiste Heineken bewaffnet, lachend den Gartenweg heraufkommen und Richtung Haustür stolpern. Der Sommer strömt bereits in mächtigen Wellen durch die Stadt, so dass sie sich sicherlich den Mut nehmen werden, mit den Mädchen zu tanzen, die dieses Jahr zum ersten Mal Kleider tragen, die erst dort enden, wo die Fantasie beginnt.

»Wunderschön, nicht wahr«, sagt Harry. „All diese jungen Leute.“

Obwohl Harrie selbst nie Student war – nach seinem Militärdienst und seiner Karriere als Imbissbesitzer arbeitete er in der Behindertenhilfe – kannte er doch jemanden, der nach seiner Scheidung ein Studentenheim in Nijmegen besaß. Er sagte: Du kannst eine Weile da sitzen, bis du etwas anderes hast. Aber als Harrie das Haus am Oranjesingel zum ersten Mal betrat, fühlte es sich an, als käme er nach Hause in ein Haus, das er nie gekannt hatte. Er liebte es.

Harrie Doeleman (69) in seinem Studentenzimmer in Nijmegen.  Harrie ist wahrscheinlich die einzige Bewohnerin eines holländischen Studentenheims, die statt Studienbeihilfe eine staatliche Rente erhält.  Bild

Harrie Doeleman (69) in seinem Studentenzimmer in Nijmegen. Harrie ist wahrscheinlich die einzige Bewohnerin eines holländischen Studentenheims, die statt Studienbeihilfe eine staatliche Rente erhält.

Harries Zimmer ist 24 Quadratmeter groß – gerade genug Platz für das rote Ledersofa seiner Eltern und einen kleinen Esstisch. Er schläft in dem selbstgebauten Hochbett, damit noch Platz für den eigenen Kühlschrank bleibt. Die Küche teilt er sich ebenso wie Toilette und Dusche mit seinen Mitbewohnern. Er findet es so angenehm, dass er nun seit einem Vierteljahrhundert dort lebt. Dadurch ist er wohl der einzige Bewohner eines holländischen Studentenheims, der keine Studienbeihilfe, sondern AOW bezieht.

Harry ist seiner Zeit weit voraus. Teilweise aufgrund der zunehmenden Individualisierung, aber beispielsweise auch, weil wir uns häufiger scheiden lassen und älter werden, hat die Zahl der Einpersonenhaushalte in den Niederlanden in den letzten Jahrzehnten enorm zugenommen: von 17 Prozent Anfang der 1970er Jahre jetzt auf 39 Prozent. Die Folge: eine akute Wohnungsnot.

Der Wirtschaftswissenschaftler Mathijs Bouman erklärte kürzlich, dass wir alle bis zum Bau neuer Häuser Abstriche bei der Wohnqualität machen müssen, indem wir zum Beispiel mit mehr Menschen zusammenziehen. Harrie bekam diesen Kommentar nicht mit, wahrscheinlich weil er mit einem seiner fünfzehn Mitbewohner ein Bier trank.

Höchstwahrscheinlich mit Loyd. Das ist ein Junge, dessen Nachnamen Harrie wiedererkannt hat, als er vor ein paar Jahren eingezogen ist. Was hat sich herausgestellt? Früher war er ein großer Hit bei seinem Großvater und seiner Großmutter. „Jetzt essen Loyd und ich einmal die Woche zusammen und seine Großmutter kommt regelmäßig zu Besuch. Der Typ ist 24, aber wir sind wirklich beste Freunde geworden.“

Harrie Doeleman (69) klettert in seinem Studentenzimmer in Nijmegen auf das Hochbett.  Bild von Volkskrant

Harrie Doeleman (69) klettert in seinem Studentenzimmer in Nijmegen auf das Hochbett.Bild von Volkskrant

Das passierte übrigens noch mehr Mitbewohnern, von denen Harrie im Laufe der Jahre einige Hundert vorbeiziehen sah. Manche trinken noch Jahre später Kaffee. Manchmal wird er zu ihren Hochzeiten eingeladen. „Ich kann mich gut auf diese jungen Leute einstellen“, sagt er.

Und dass junge Leute gut zu ihm sind. Auch seine Enkel finden es toll, dass der Großvater mitten in der Stadt wohnt. Sie besuchen ihn alle zwei Wochen, besonders seine älteste Enkelin, die jetzt 16 Jahre alt ist, lächelt immer begeisterter über Opas männliche Mitbewohner.

Was aber, wenn die im Koalitionsvertrag Rutte IV versprochenen 1 Mio. neuen Wohnungen tatsächlich gebaut werden, damit es bald „bezahlbaren Wohnraum für alle“ gibt? Wird er endlich umziehen?

Denk nicht darüber nach, sagt Harry. Vor zehn Jahren ging er einmal ins Altersheim. Aber als ihm das Haus tatsächlich zugeteilt wurde, entschied er sich dagegen. „Ich dachte mir: ‚Was lasse ich hier? All der Spaß, all das Geschwätz im Treppenhaus, all diese Freundschaften. Das will ich nie wieder verlieren.‘



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