Unter dem Titel Traurige Reisen Der Journalist Mark van Wonderen veröffentlichte 2020 einen Reiseführer mit Bildern von „den schönsten hässlichen Orten der Niederlande“. Eines davon war das Gebiet um den Bahnhof Rotterdam Alexander. Der Bahnhofsplatz ist ein blauer Asphaltstreifen, der im Einkaufszentrum Alexandrium mit seinem Mega-Parkhaus endet, flankiert von einem Drive-in-Hamburger-Restaurant und grauen Bürogebäuden.
Was macht diesen Ort so unwirtlich? Der Stadtplaner Daan Zandbelt von der Agentur De Zwarte Hond, die im Auftrag der Gemeinde eine Vision für das Gebiet erstellt hat, erklärt dies bei einem Rundgang durch die nassen Straßen. „80 Prozent des Geländes sind gepflastert.“ Er zeigt auf einen großen Parkplatz, geschützt durch Absperrungen und Zäune. „Es gibt keinerlei Kontakt zwischen der Straße und den umliegenden Gebäuden“ – in Anspielung auf die geschlossenen Fassaden des Einkaufszentrums. „Und niemand wohnt dort; Nach fünf sieht man niemanden mehr auf der Straße.‘
Über den Autor
Kirsten Hannema ist Architekturkritikerin für de Volkskrant. Seit 2007 schreibt sie über Architektur, Stadtplanung und Landschaftsgestaltung.
Das schlagende Herz
Aber das wird sich bald ändern. Der Plan, den De Zwarte Hond im vergangenen Frühjahr vorstellte, zielt darauf ab, das Bahnhofsgelände in „das schlagende Herz von Rotterdam-Ost“ zu verwandeln. Zandbelt zeigt künstlerische Eindrücke einer parkähnlichen Umgebung mit Radfahrern, spielenden Kindern und Menschen beim Picknick. Das sind die Bewohner der zehntausend Wohnungen, die zwischen den Büros entstehen sollen, mit den dazugehörigen Nachbarschaftseinrichtungen: Schulen, Geschäfte, Sportplätze, ein Theater.
Luftradfahren? Die ersten Bauprojekte haben bereits begonnen. Der veraltete Büroturm De Ster in der Nähe des Bahnhofs wird in einen Apartmentkomplex mit grünen Balkonen und einem Dachgarten mit Dachbar umgewandelt. Weiter hinten arbeiten Bauarbeiter am De Grote Beer, einem stabilen Wohnturm aus Backstein mit 195 Mietwohnungen im mittleren Preissegment.
Unkonventionelle Wohngegend
Rotterdam Alexander ist einer der Bahnhöfe mit einer „wenig attraktiven Umgebung“, wie es die Eisenbahnarchitektin Marianne Loof ausdrückt, die sich in ein lebendiges Wohngebiet verwandeln muss. Beispielsweise wird rund um Amsterdam Sloterdijk das Stationskwartier mit 7.500 Wohnungen gebaut, und im Geschäftsviertel um das heruntergekommene Einkaufszentrum Megastores hinter Den Haag Hollands Spoor, das abgerissen werden soll, wird ein „unkonventionelles Wohngebiet“ entstehen.
Wenn man die Traurigkeit mit dem Auge eines Immobilienmaklers durchschaut, ergibt das Sinn. Diese Standorte sind gut erreichbar, mit dem Fahrrad gelangt man in 15 Minuten in die Innenstadt oder ins Umland, in der Nähe gibt es (regionale) Ausbildungsplätze und Firmen bzw. Arbeitsplätze. Und: Es gibt Raum zum Bauen.
Bezahlbaren Wohnraum
Nutzen Sie diesen Raum, sagt Loof, der als Eisenbahnarchitekt bei Gestaltungsaufgaben an und um Bahnhöfe berät. „Große Aufmerksamkeit wird dem Wohnungsbauproblem rund um die zentralen Bahnhöfe geschenkt, wo die Bauarbeiten kompliziert und teuer sind, was zu teurem Wohnraum führen kann.“ Als Antwort hört man bald: Auf den Wiesen bauen. Während man rund um Bahnhöfe wie Rotterdam Alexander leicht verdichten kann, entsteht bezahlbarer Wohnraum in der Nähe guter öffentlicher Verkehrsanbindungen.“ Dadurch wird die Natur geschont und die Menschen werden weniger dazu verleitet, mit dem Auto anzureisen.
Doch wie verwandelt man eine B-Bahnhof-Umgebung in einen attraktiven Wohnstandort?
1. Aufenthaltsqualität schaffen
„Was hier gefehlt hat, ist die Aufenthaltsqualität“, sagt Architekt Wouter Valkenier bei einem Rundgang durch die Gegend rund um den Bahnhof Amsterdam Sloterdijk. Als er 2014 nach der Wirtschaftskrise von der Gemeinde gebeten wurde, über die Bewältigung eines als „Problemgebiet“ geltenden Problembereichs nachzudenken, landete er in einem Betondschungel. „Sloterdijk ist ein Umsteigebahnhof, das umliegende Gewerbegebiet wurde aufgrund seiner strategischen Lage an der Autobahn hier errichtet“, erklärt Valkenier. „Alles war darauf ausgelegt, so schnell wie möglich vom Zug oder der Autobahn in Ihr Büro und zurück zu gelangen.“
Um dieses Muster zu durchbrechen, schmiedete Valkenier zusammen mit dem Architekten Gijs de Waal einen einfachen Plan: Er platzierte viele Pflanzen und Bänke auf dem Bahnhofsplatz und baute das Bret-Restaurant und den Club aus gebrauchten Schiffscontainern. Es entwickelte sich zu einem beliebten Kaffee- und Unterhaltungsort. Aufbauend auf diesem Erfolg bauten Valkenier und eine Gruppe kreativer Unternehmer auf einem unbebauten Grundstück weiter entfernt ein temporäres Containerdorf, Tuin van Bret. Sie haben rund um ihre Arbeitsplätze einen städtischen Weinberg angelegt, in dem Sie Weinreben pachten und beim Beschneiden und Ernten helfen können. „Wir wollten der Gegend eine menschliche Note und ein Gemeinschaftsgefühl verleihen.“
Die Pflanz- und Begegnungsräume, die den Kern des bahnbrechenden Plans von Valkenier bilden, sind auch in den ersten Wohngebäuden zu sehen, die auf der Südseite des Bahnhofs errichtet wurden. Der Blickfang ist die Vertical-Wohnanlage mit ihrem 80 Meter hohen Turm, der eine „Krone“ aus Solarpaneelen trägt und rundherum über Balkonterrassen verfügt. Den Bewohnern stehen außerdem eine Gemeinschaftsküche, ein Fitnessraum und zwei Gästezimmer zur Verfügung.
2. Gestalten Sie den Ort neu
Das alles überzeugte Brigitte Schaefer (57), eine Eckwohnung im neunten Stock zu kaufen, von der aus sie einen Panoramablick über die Stadt und den Bahnhof hat. „Ich dachte, es sei ein schrecklicher Ort“, sagt Schaefer, der zu diesem Zweck ein Haus in Amsterdam-West gemietet hat und jahrelang mit dem Zug von Sloterdijk nach Leiden pendelte. „Aber dann kam mein Nachbar mit einer Broschüre über diesen nachhaltigen Turm mit Gemeinschaftsbereichen.“ An Weihnachten werde ich mit meiner Familie in der Küche kochen und habe die Gästezimmer gebucht. Da ich Gartenarbeit liebe, habe ich mich sofort dem Grünen Komitee angeschlossen. Sie schaut durch das Fenster nach draußen. „Jetzt, wo ich die Gegend von oben sehe, denke ich, dass sie etwas zu bieten hat; es vermittelt ein großstädtisches Gefühl.‘
Auch Raphael Naef (35), der im Motown-Apartmentkomplex direkt gegenüber von Vertical wohnen wird, sah Sloterdijk nicht sofort als Traumziel. „Ich kannte – und hasste – den Bahnhof, entdeckte aber, dass ich hier ein bezahlbares Zuhause finden konnte.“ (275.000 Euro für ein Haus von 50 Quadratmetern mit Balkon). „Dann habe ich den Ort für mich neu gestaltet.“ Ich dachte: Über Schiphol ist man in kürzester Zeit am Hauptbahnhof, in einer halben Stunde am Strand und in anderthalb Stunden in London.‘ Naef hat wie Schaefer kein Auto und will auch keins. „Aber die Veränderung in meinem Bild von Sloterdijk kam, als ich von der Entwicklung des Wohngebiets Haven-Stad im Industriegebiet in der Nähe von Sloterdijk las. Letztlich sollen dort weitere 70.000 Wohnungen entstehen. Mir wurde klar: Bald ist es soweit der angesagte Ort.‘
3. (Bio-)Vielfalt sicherstellen
Laut dem Architekten Kamiel Klaasse von NL Architects, der gemeinsam mit einem Architektenteam den Vertical-Komplex entworfen hat, liegt die Unattraktivität eines Ortes wie Sloterdijk in seiner Monotonie. „Hier gab es nur Büros, während eine lebendige Stadt durch eine Mischung aus Funktionen und Menschen gekennzeichnet ist.“ Es ist gut, dass es Häuser gibt, aber man muss auch für Abwechslung sorgen. Nicht nur kleine Einheiten Stapeln, aber auch größere Wohnungen und Einfamilienhäuser.‘
Von den 160 Apartments in Vertical gleicht keines dem anderen. Die Vielfalt an Pflanzen und Sträuchern, die DS-Landschaftsarchitekten auf den Balkonen und Terrassen gepflanzt haben – von Geißblatt und Glyzinien bis hin zu Herbstastern und Rosmarin – dient demselben Zweck: möglichst vielen verschiedenen Insekten und Vögeln aus der Umgebung ein „Zuhause“ zu bieten möglich. In die Fassade des niedrigen Turms wurden 350 Nistkästen integriert.
Auch bei der Entwicklung des Bahnhofs Den Haag Hollands Spoor spielt die Artenvielfalt eine führende Rolle. Der Landschaftsarchitekt Steven Delva von der Agentur DELVA möchte dieses ehemalige Geschäftsgebiet „radikal begrünen“. Gemeinsam mit dem Architekturbüro KCAP arbeitet er an der Neugestaltung des Streifens südlich der Bahnstrecke, wo fünf Türme mit Wohn- und Arbeitsräumen geplant sind. Den Auftakt dieser Entwicklung bildet die Sanierung des Bahnhofspostgebäudes an der Spitze des Areals und die Umwandlung des angrenzenden Parkplatzes in den Postpark. Der Park ist der Beginn des langgestreckten Stadtparks, den Delva rund um die Türme mit begrünten Terrassen errichten wird. Insgesamt wird mehr als die Hälfte der zu realisierenden Fläche begrünt sein.
Diese Pflanzen seien mehr als nur Dekoration, betont Delva. Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass der Blick in die Natur einen positiven Einfluss auf die Gesundheit hat und eine grüne Umgebung zum Wandern und Radfahren anregt. Auch um den Folgen des Klimawandels – Hitzestress, extreme Dürre, Überschwemmungen durch Regenschauer – entgegenzuwirken, ist die Bepflanzung wichtig. „Wir müssen die Verdichtung nutzen – wenn man so will, missbrauchen –, um grüner zu werden.“ Wenn ich hier Bäume pflanzen möchte, wird das niemand einfach bezahlen, weil es keinen unmittelbaren finanziellen Nutzen bringt. Aber als Teil von einem Geschäftsfall Das ist bei Häusern möglich, bei denen die Begrünung letztlich für einen höheren Immobilienwert sorgt.“
4. Verbessern Sie die Station
Ein nicht zu unterschätzender Faktor bei der Umgestaltung von Bahnhofsflächen ist der Bahnhof selbst. Die Sanierung des Bereichs hinter dem Bahnhof Hollands Spoor begann erst nach der Renovierung des Bahnhofsgebäudes im Jahr 2013, wobei auf der Laakhaven-Seite ein zweiter Eingang geschaffen wurde.
Der Bahnhof Rotterdam Alexander wurde im Jahr 2020 im Vorfeld der Gebietsentwicklung renoviert, einem der sieben großen Rotterdamer Stadtprojekte. Die U-Bahn- und Bahnhaltestellen wurden miteinander verbunden, Geschäfte wurden hinzugefügt und das Gebäude hat eine frische neue Fassade und ein begrüntes Dach. Der Barkeeper im Café Wilskracht am Bahnhofsplatz hofft, dass die geplante Sanierung des Bahnhofsplatzes bald folgt; Aufgrund einer Senkung des Abwasserkanals kommt es regelmäßig zu Überschwemmungen. „Ich denke, sie können morgen anfangen.“
Auch bei Sloterdijk könnte etwas passieren, sagt Architekt Valkenier. „In der Gegend wurde viel verbessert, aber ich stehe dem aktuellen Zustand der Station kritisch gegenüber.“ Beispielsweise gibt es an den Bushaltestellen keine öffentlichen Toiletten; Wenn Touristenbusse ankommen, sieht man Leute, die auf dem Parkplatz urinieren.“
Loof befürwortet die Notwendigkeit eines „Upgrades“. Anfang dieses Jahres wurde mit einer Machbarkeitsstudie begonnen. Nachdem sich Sloterdijk nun zu einem hochstädtischen Wohn- und Arbeitsgebiet entwickelt, das sich weiter in Richtung Port-City ausdehnen wird, sieht der Bahnmeister „viele Chancen und Herausforderungen zusammenkommen“: Wohnen – nah an und sogar oberhalb der Bahnstrecke – Klimaanpassung, Mobilitätswende. „Wenn wir diese in Kombination angehen, kann ein enormer Sprung nach vorne in der räumlichen Qualität erreicht werden.“
Die alte Linie
In den letzten Jahrzehnten lag der Schwerpunkt auf der Sanierung der sogenannten New Key Projects, integrierten Entwicklungsplänen für die Bahnhöfe (Umgebung) der Haltestellen der Hochgeschwindigkeitsstrecke: Amsterdam CS, Rotterdam CS, Den Haag CS, Utrecht, Breda und Arnheim. Jetzt wollen ProRail, die Regierung und die Kommunen in Bahnhöfe entlang der „Old Line“ (der Eisenbahnlinie, auf der früher internationale Züge fuhren) zwischen Leiden, Den Haag, Rotterdam und Dordrecht investieren. Rund um diese Kreuzungen sollen rund 170.000 neue Wohnungen und 85.000 neue Arbeitsplätze entstehen.