Grande Dame der Sozialgeschichte ging mit Albert Heijn Note viral

Grande Dame der Sozialgeschichte ging mit Albert Heijn Note viral


Tessel Pollmann

Das Berichten war ihr in Fleisch und Blut übergegangen. Tessel Pollmann ging überall hin. Sie fand leicht Kontakt, war eine gute Zuhörerin, ließ sich nicht zügeln und hatte ein Auge fürs Detail. In den siebziger und achtziger Jahren arbeitete sie für das Nachrichtenmagazin Freie Niederlandewas damals der Standard im Journalismus war.

Der Mensch und seine Sorgen standen für Pollmann im Mittelpunkt. Das Ergebnis war eine Flut von Artikeln, ein Dutzend Bücher und eine Dissertation. Zu verschiedenen Themen: von Beamten („Sie sprechen mit der Gemeinde“) und Molukken (Istori-Istori Maluku. Die Geschichte der Molukken) bis zur Mittelschicht (Besser ein kleiner Chef als ein großer Diener) und der Heilsarmee. Sie verriet, dass ein großer Teil der Geschenke in ihre eigene Gemeindearbeit geflossen sei.

Der Volkskrant porträtiert bekannte und weniger bekannte Niederländer, die kürzlich verstorben sind. Vorschläge: [email protected]

Ihre journalistische Ader kam ihr auch zugute, als sie als Associate Researcher mit dem Institute for War, Holocaust and Genocide Studies Niod verbunden war. Die Kombination aus Befragung und Sichtung von Kassenbüchern, Urkunden und Archiven hat viel gebracht. NSB-Chef Anton Mussert und seine Clique haben sie als gewöhnliche Diebe entlarvt.

Peter Romijn, langjähriger Forschungsleiter bei Niod, nennt Pollmann das große Dame der Sozialgeschichte. „Sie hatte ein großartiges Auge für Menschen in Not. Sie trat zwischen sie, stellte Fragen und deckte ihre Probleme auf.‘ Nicht nur die Neugier habe sie angetrieben, sagt Romijn. „Sie fühlte sich verantwortlich für das Funktionieren der Gesellschaft. Wenn alle gehört würden, wären wir besser dran.“

Familiendoktor

Sie war die siebte in einer katholischen Amsterdamer Familie mit zwölf Kindern, die zu Hause praktizierte. Da war ein Dienstmädchen, und auf der Straße stand ein Auto, der Fiat ihres Vaters. Tochter Judith: „Zwölf Kinder, denen es an Aufmerksamkeit mangelte. Das hat sie geprägt. Sie sehnte sich weiterhin nach Aufmerksamkeit und Bestätigung, die sie als Kind vermisst hatte.“

Pollmann in ihren Erinnerungen über ihre Krankheit als Kind: „Mutter kam, um nachzusehen, wenn sie morgens durch die Schlafzimmer ging, und wenn man Glück hatte, dachte sie daran, ein Kind mit einem Teller zum warmen Abendessen nach oben zu schicken … kalter Eintopf oder so. Vater kam nur, als du krank warst.‘

Dadurch war Pollmann schon früh selbstständig. Sie wechselte die High School, ohne mit ihren Eltern zu sprechen. Ihre Kindheitserfahrungen kamen ihr bei ihrer Arbeit zugute, sagt Judith. „Wenn jemand sagte: Hier ist es wie in einer großen Familie, wusste Tessel genug. Dann weiß ich, wie spät es ist, sagte sie, und wenig später kamen die Geschichten von Streit und Mißbrauch.‘

2016 erkrankte Pollmann am Non-Hodgkin-Lymphom. Sie bekam die Krankheit, aber die Chemotherapie hatte sie zerstört. Es gab vorerst nicht viel Arbeit, und sie versank in einer Depression. Judith: ‚Der Drang, sich zu beweisen, verfolgte sie weiterhin.‘

Der Zettel, den Tessel Pollmann 2017 beim Albert Heijn um die Ecke hing.  Bild

Der Zettel, den Tessel Pollmann 2017 beim Albert Heijn um die Ecke hing.

Weil sie nicht arbeitete, fürchtete Pollmann die Einsamkeit. Sie hängte einen Zettel ans Schwarze Brett von Albert Heijn um die Ecke in Utrecht. „Ich suche einen Kumpel, um Kaffee zu trinken oder spazieren zu gehen oder so. Zahlung kein Problem. Ich bin 77 und habe eine Behinderung.“ Jemand machte ein Foto davon, postete es auf Facebook und der Anruf ging viral. Zufälligerweise ist dies die National Loneliness Week. Plötzlich war Pollmann der einsamste ältere Mensch in den Niederlanden. Durch den Anruf ergaben sich neue Bekanntschaften, von denen sie in ihren letzten Jahren sehr profitiert hat.

Pollmann starb am 12. August im Alter von 82 Jahren. Sie arbeitete an einem Buch über die Welt von Jos van Wel, ihrem Großvater aus Helmond, der dort um 1900 mit seinen Kolumnen über die ausgebeuteten Arbeiter für Aufsehen sorgte. Sie brauche noch ein Blatt, sagte sie wenige Wochen vor ihrem Tod.



ttn-de-23

Schreibe einen Kommentar