Fien war vor 45 Jahren eine der Geiseln im Provinzialhaus in Assen: „Es war wie in einem Film“

Fien war vor 45 Jahren eine der Geiseln im Provinzialhaus


Vizepremierminister Hans Wiegel und Kommissarin der Königin Tineke Schilthuis im Gebäude der Provinzregierung in Assen, einen Tag nach dem Ende der Geiselnahme. Schilthuis gelang es, während der Geiselnahme zu fliehen.Bild Bert Verhoeff / Anefo

Um zehn Uhr sei der Kaffee wie gewohnt gekommen, erinnert sich Fien Schreuder (66). Sie war damals 21 Jahre alt und arbeitete als Telefonistin im Gebäude der Provinzregierung in Assen. „Wir haben ein bisschen geredet. Bis wir plötzlich ein Geräusch an der Drehtür hörten.‘

Eine Viertelstunde zuvor hatte ein Manager eine Evakuierungsübung angekündigt. »Aber es fielen Schüsse, und einer der Molukker schwenkte eine Waffe. Da wussten wir: Das ist keine Übung, das ist eine ernste Angelegenheit.“

Zu dieser Zeit war es in der molukkischen Gemeinde in Drenthe unruhig. Schreuder sah Parolen auf Gebäuden in Assen. Einige Jugendliche der zweiten Generation fühlen sich von ihren Eltern und ihrem Volk betrogen. Sie leben in der Illusion, dass ihnen die Rückkehr in ihren eigenen Staat versprochen wurde: die Republik Maluku Selatan (RMS).

Die Zugentführungen in Wijster (1975) und De Punt (1977) und – gleichzeitig mit letzterem – die Geiselnahme einer Grundschule in Bovensmilde waren noch frisch in Erinnerung. Vor allem im Provinzhaus. Max Papilaya, einer der molukkischen Geiselnehmer, die bei der Ablösung des Zuges in De Punt starben, arbeitete dort selbst in der Finanzabteilung.

„Das war schockierend, weil niemand wirklich wusste, dass er mit der Molukkenbewegung zu tun hatte“, sagt Schreuder. „So ein jovialer Kollege entpuppte sich plötzlich als Anführer einer Gewaltaktion.“

Weit weniger bekannt ist die Geiselnahme im Provinzialhaus in Assen am Montag vor 45 Jahren. „Der kürzeste und grausamste von allen“, schreibt der Journalist und Schriftsteller Frank Westerman – damals Siebtklässler in Assen – in seinem Buch Ein Wort, ein Wort.

Ultimatum

Die drei Geiselnehmer treiben Dutzende Beamte die Treppe hinauf in den ersten Stock. Eigentlich suchen sie den Beauftragten der Königin. Doch Tineke Schilthuis gelingt die Flucht aus einem Fenster im ersten Stock.

Insgesamt 71 Geiseln werden in einem Büroraum festgehalten. „Es war, als würde man in einem Film sitzen“, sagt Schreuder. „Passiert mir das wirklich?“

Die Forderungen des selbsternannten „Selbstmordkommandos RMS“ sind die gleichen wie bei früheren Aktionen: Freilassung von 21 wegen früherer Geiselnahme verurteilten südmolukkischen Gefangenen und Freiflug nach Schiphol, wo ein Flugzeug wartet. Sie hängen eine RMS-Flagge hinter eines der Fenster.

Das Ultimatum läuft am Dienstagnachmittag um 14 Uhr aus. „Sonst seid ihr morgen nicht hier“, wird Schreuder und den anderen gesagt.

Keine leere Drohung, wie sich bald herausstellt. Als Ko de Groot von der Planungsabteilung beim Verbarrikadieren der Tür protestiert, wird er vor den anderen hingerichtet und aus dem Fenster geworfen. „Schrecklich und menschenverachtend“, sagt Schreuder. „Das beschäftigt mich schon lange: Wie kann man plötzlich auf jemanden schießen?“

Sie sitzen einfach da, an der Wand. Ein Arbeitsschrank dient als Toilette. Die Atmosphäre ist nicht feindselig: Die Geiselnehmer verteilen Gebäck, Geiseln dürfen Kontakt zur Heimatfront aufnehmen. Schreuder: „Ich war gerade allein gezogen und hatte zwei junge Kätzchen. Ich rief meine Eltern an, um zu fragen, ob sie sich um sie kümmern wollten.‘

‚Riesenknall‘

Nachts schläft sie sogar eine Weile auf dem Boden. Am nächsten Tag rückt das Ultimatum mit großen Schritten näher. Der Sachbearbeiter weiß, wie man Zeit spart. Dann hörten wir ein Knarren auf der Treppe. Und dann dieser riesige Knall.“

Waffen der Geiselnehmer im Provinzialhaus in Assen liegen während des Prozesses gegen sie im Gerichtssaal.  Statue Hans Peters / Anefo

Waffen der Geiselnehmer im Provinzialhaus in Assen liegen während des Prozesses gegen sie im Gerichtssaal.Statue Hans Peters / Anefo

Um 14.34 Uhr betritt die Special Assistance Unit mit zwei Zügen das Gebäude. Sie sprengen die Tür mit einer Granate. „Ich habe alles über mich erwischt, einschließlich Glas. Und dann war es vorbei.“ Ein Marine geht im Chaos über Schreuder. „Tut mir leid“, sagte er. Die Geiseln werden im Kulturzentrum De Kolk versorgt. „Die Erleichterung war groß.“

Am nächsten Tag geht Schreuder zusammen mit einem Kollegen wieder zur Landesregierung. „Er sagte: ‚Es war noch nie so sicher wie jetzt.'“ Sie werde am Donnerstag wieder arbeiten. „Natürlich warst du danach traumatisiert. Manchmal hat es einfach eine Weile nicht geklappt.“

Der Abgeordnete Jakob Trip stirbt Wochen später an seiner Schusswunde, die er sich bei der Befreiung zugezogen hat. Die drei Geiselnehmer werden zu fünfzehn Jahren Gefängnis verurteilt. Aber eine Nachsorge für die Geiseln ist nicht vorgesehen.

„Nach ein paar Wochen musste ich einen Nachmittag freinehmen, weil jemand von der Sozialarbeit vorbeikam. „Wie geht es dir?“, fragte er. Aber er hat noch kein Ticket hinterlassen.‘ Schreuder hatte mit geschlossenen Räumen und lautem Lärm zu kämpfen. ‚Feuerwerk oder ein knallender Auspuff, das könnte mich ganz schön erschrecken.‘ Das verschwand im Laufe der Jahre.

Opferhilfe

Ihre eigenen Erfahrungen motivierten Schreuder, sich ehrenamtlich bei der Opferhilfe zu engagieren. „Ich wusste selbst, wie man das Leben eines Menschen in wenigen Sekunden auf den Kopf stellen kann.“ Sie verabschiedete sich diesen Monat nach 33 Jahren. „Damals habe ich gesagt: ‚Ich hätte meinen damaligen Kollegen gewünscht, dass es so eine Organisation schon damals gegeben hätte.“

Später begann Schreuder auch, den Fall Molukken genauer zu studieren. „Ich habe einen Dokumentarfilm darüber gesehen, wie die Molukken nach ihrer Ankunft in den Niederlanden mit Scham aus zweiter Hand behandelt wurden. Ich verstehe, dass sie sich betrogen fühlten. Ich wurde verständnisvoller für ihre Sache. Aber nicht für die Wahl der Gewalt.‘

Sie wurde von der Provinz Drenthe zum Gedenken an die Geiselnahme eingeladen. „Es fühlt sich näher an, weil das Wetter auf Montag und Dienstag fällt. Aber ich gehe nicht. Viele Menschen aus dieser Zeit sind bereits verstorben oder können nicht mehr dabei sein. Und so eine Stunde, nützt mir das was?«

Vielleicht hat Schreuder das Kapitel abgeschlossen, denkt sie. „Am Ende hat es für mich gut geklappt. Nach der Geiselnahme wurde im Provinzhaus ein Sicherheitssystem installiert – von meinem zukünftigen Ehemann. Aber einer meiner Kollegen ging nie wieder zur Arbeit und ist bis heute traumatisiert. Es gibt immer noch einen Teil von ihr in diesem Provinzhaus.«



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