Der Autor ist ein FT-Redakteur und schreibt den Chartbook-Newsletter
Als Reaktion auf das amerikanische Inflation Reduction Act bemüht sich Europa, seine eigene grüne Industriepolitik zu beschleunigen. Einige wie Pascal Lamy, ehemaliger Generaldirektor der Welthandelsorganisation und Mitarbeiter von Emmanuel Macron, möchte, dass Europa einen grünen Freihandelsblock gegen die USA anführt. Die Gespräche am 10. März zwischen EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und US-Präsident Joe Biden deuten darauf hin, dass sowohl Brüssel als auch Washington Entspannung bevorzugen. Anstelle eines Handelskriegs schlugen sie einen vor Straßenkarte für eine Einigung über Themen wie strategische Materialien und Dekarbonisierung von Stahl und Aluminium.
Angesichts der damit verbundenen Erwartungen war das eine Woche später von Brüssel angekündigte Netto-Null-Industriegesetz so etwas wie ein düsterer Knaller, der ein Selbstversorgungsziel von 40 Prozent vorsah, Genehmigungen beschleunigte und Beschränkungen für nationale Subventionen lockerte, aber nichts Neues bot Finanzierung. Geschäftsinteressen setzen sich derweil schamlos für großzügigere Werbegeschenke mit weniger Bürokratie ein. Was in diesem Aktionsgeschehen in Europa fehlt, ist so etwas wie eine substanzielle politische Einigung über eine beschleunigte große Industriepolitik.
Der Kuhhandel in Washington im Sommer 2022 hat die IRA möglicherweise zu einem verstümmelten Rumpf von Bidens ursprünglichem Build Back Better-Plan reduziert. Aber das Mindeste, was man sagen kann, ist, dass am Ende jedes Mitglied der demokratischen Parteimehrheit auf seiner Seite war. Bei aller Zerrissenheit in Europa um die IRA fehlt es bisher an der Anerkennung der Notwendigkeit einer entsprechenden politischen Anstrengung.
Natürlich, könnte man sagen, ist Europa den USA beim Klima weit voraus. Bereits 2020 hat es NextGenEU mit einem großen grünen Anteil bestanden. Aber damit bleibt Europa auf einem Kurs, der weit von seinen eigenen Zielen entfernt ist. Wenn es Europa ernst damit ist, die Investitionen zu erhöhen, steht es vor einem schmerzhaften Trilemma. Wenn es mehr Wachstum will, muss es einen Weg finden, Investitionen gemeinsam zu finanzieren, oder sich einer zunehmenden Polarisierung zwischen mehr und weniger finanzstarken Mitgliedstaaten stellen. Die Behauptung, es sei bereits genug Geld in der NextGenEU-Kasse, ist eine Ausflucht. Für das nicht ausgegebene Geld ist bereits gesprochen. Eine große neue grüne Investitionsoffensive wird eine neue Form der kollektiven Finanzierung erfordern. Das wird auf den Widerstand der üblichen Verdächtigen in Nordeuropa stoßen und daher „Staatskunst“ erfordern.
Angesichts des spaltenden Pandemieschocks von 2020 war es Staatskunst in Form des mühsamen NextGen-EU-Deals, die Europa rettete. Voraussetzung für diesen Erfolg war eine Einigung zwischen Berlin und Paris. Leider sind die Beziehungen zwischen Frankreich und Deutschland drei Jahre später so schlecht wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Angesichts der umkämpften Position Macrons muss jede Initiative aus Berlin kommen, wo die Regierung vor allem mit Streitigkeiten innerhalb der Dreierkoalition von Olaf Scholz beschäftigt zu sein scheint.
Dass Europa 2020 nicht gescheitert ist, lag aber nicht nur an der Diplomatie. In Demokratien zählt die öffentliche Meinung. Der Deal zwischen der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel und Macron war durch Umfragen getrieben zeigt starke öffentliche Unterstützung für eine gemeinsame europäische Antwort.
Und doch fehlt es der industriepolitischen Debatte in Europa bislang an einer öffentlichen Beteiligung von unten nach oben. Dies ist bemerkenswert, da es die Befürchtungen über den Aufstieg des Populismus und die beeindruckende Kraft der von Greta Thunberg angeführten Jugendmobilisierung waren, die so viel dazu beigetragen haben, die grüne Politik ganz nach oben auf die Brüsseler Agenda zu bringen. Die europäische Industriepolitik sollte versuchen, sich von einer breiten öffentlichen Unterstützung für Klimaschutzmaßnahmen zu nähren.
Eine solche Idee vorgeschlagen von Zoe, eine Brüsseler Denkfabrik, fordert, dass die grüne Industriepolitik der EU nicht nur Subventionen, sondern auch ein gewisses Element des öffentlichen Eigentums beinhaltet, damit die Steuerzahler sowohl an den Gewinnen als auch an den Risiken beteiligt werden. Sie fordert eine viel engere Beteiligung der Gewerkschaften an der Gestaltung der Industriepolitik. Gewerkschaften sind wichtig als Gegengewicht zum Einfluss der Wirtschaft, aber auch, weil die Arbeitnehmer für den Übergang so entscheidend sind. Nicht so sehr in den Branchen Stahl, Aluminium, Wasserstoff oder Batterien – den Branchen, die die industriepolitische Diskussion dominieren – sondern in der Installation von Wärmepumpen und der Hausisolierung werden Millionen von Arbeitskräften benötigt. Die Energiewende als Motor für europaweite Schaffung von Arbeitsplätzen, Arbeitskräftemobilität und kollektives Lernen bietet eine Bottom-up-Antwort auf die zunehmende soziale und wirtschaftliche Polarisierung.
Demokratie wird überall als eine Reihe von Werten und Rechten angepriesen, die es gegen ausländische Feinde zu wahren gilt. Es würde die Argumente stärken, wenn Europa konsequenter demokratische Politik, Debatten und Verhandlungen als einen Weg einführen würde, Dinge tatsächlich zu erledigen.