Der „Herr Van der Pigge“ hinter der Theke war in Wirklichkeit der damalige Besitzer Menno van Os. Als Ururenkel der Gründerin Antonie van der Pigge (1821–1893) war er es gewohnt, dass Kunden das Personal mit „Frau“ oder „Herr Van der Pigge“ anredeten.
Die nicht ganz so diskrete Bitte kam etwas seltener vor. „Ich werde etwas machen“, versicherte Van Os der Kundin dennoch, nachdem sie sich zunächst vergewissert hatte, dass ihr Mann, der nicht anwesend war, Medikamente einnahm. Anschließend stieg Van Os die atemberaubend steile Treppe des Gebäudes aus dem 19. Jahrhundert hinauf, um oben eine Kräutermischung zuzubereiten.
Über den Autor
Jonathan Witteman ist Wirtschaftsreporter für de Volkskrant und schreibt unter anderem über soziale Sicherheit, Ungleichheit und Technologie.
„Bitte, Ma’am“, sagte er, als er kurz darauf das Aphrodisiakum überreichte. „Er muss zweimal am Tag eine Tasse Tee trinken.“
‚Zufriedener Kunde‘
Am darauffolgenden Samstag stand die Frau plötzlich vor dem Schaufenster in der Gierstraat, das seit jeher an dem auffälligen Holzkopf eines Patienten mit offenem Mund – einem sogenannten „Gaper“ – über der Eingangstür zu erkennen ist. „Sie rief nur ‚Hey Schwein!‘ und gab ihr einen Daumen nach oben“, erinnert sich Geschäftsführerin Astrid Hart (62), die Witwe des jung verstorbenen Menno van Os (1962-2007). „Das war also eindeutig ein zufriedener Kunde.“
Was war in der Gewürzmischung? Vermutlich eine Kombination aus den Pflanzen Damiana und Epimedium sagittatum, vermutet Geschäftsführerin Sophie van Os (33), die Tochter von Astrid und Menno und mittlerweile in der sechsten Generation im Laden. Das letzte Kraut wird auch „geiles Ziegenkraut‚, wegen seiner angeblichen libidosteigernden Wirkung, die der Legende nach einst von einem chinesischen Ziegenhirten entdeckt wurde. „Das wird schon seit Jahrhunderten genutzt“, weiß Van Os.
Als der Gründer Antonie van der Pigge Mitte des 19. Jahrhunderts seine Drogerie eröffnete, führte er noch gemahlene Spanische Fliegen, ein weiteres angebliches Aphrodisiakum. Es kann in dem schönen Buch nachgelesen werden Mit offenem Mund für den der legendäre Haarlemer Lyriker Lennaert Nijgh bekannt ist Wille, Ertrunkener Schmetterling und viele andere Boudewijn de Groot-Hits, die Ende der 1990er Jahre zu Ehren von Van der Pigges 150. Geburtstag geschrieben wurden.
Grimassierende Gaffer
Auch heute noch strahlt die Drogerie etwas vom 19. Jahrhundert aus. Grimassierende Gaffer mit herausgestreckter Zunge blicken auf die Kundschaft herab. Über der Theke hängt eine meterlange Holzschlange, ein uraltes Symbol der Medizin, und zischt gefährlich. Gläser und Fässer mit Teufelsmist, gemahlenem Galgant, Lorbeer-Lakritz und unzähligen anderen Kräutern und Süßigkeiten säumen den Laden.
Jeden Tag mixen die Mitarbeiter von Van der Pigge Kräutermischungen für die Beschwerden ihrer Kunden, etwa chronische Müdigkeit, Wechseljahrsbeschwerden, Schlaflosigkeit oder Vaginalprobleme, sagt Sophie van Os. Sie orientieren sich an uralten Rezepten oder entwickeln selbst neue. Der mit Eimern und Dosen gefüllte Gewürzspeicher, in dem die Gewürzmischungen hergestellt werden, ist ein Geruchsbombardement aus Fünf-Gewürze-Pulver, Schweinegras, Lindenrinde, Kardamomkapseln und Dutzenden von Teesorten.
Die traditionelle Medizin, deren Rezepte teilweise über Jahrhunderte von Generation zu Generation weitergegeben wurden, bildet die Grundlage für die moderne Pharmaindustrie. Die Weltgesundheitsorganisation schätzt, dass wir mehr als 40 Prozent unserer modernen Medikamente alten Volksheilmitteln verdanken. Wie zum Beispiel die Weidenrinde, die bereits die Sumerer für Aspirin verwendeten. Oder der im 16. Jahrhundert vom chinesischen Arzt Li Shizhen gegen Malaria empfohlene Sommer-Wermut, der zum modernen Malaria-Medikament Artemisinin führte.
Gesundheitsbezogene Angaben
Gleichzeitig zögern Van-der-Pigge-Spezialisten mit gesundheitsbezogenen Angaben. „Wir müssen uns an die europäischen Vorschriften halten: Für Kräuter und Nahrungsergänzungsmittel, die keine nachgewiesene Wirkung haben, ist es nicht erlaubt, medizinische Aussagen zu machen“, erklärt Hart.
Und so sagen zum Beispiel Kräutertinkturen: Echinacea purpureaoder Sonnenhut, ein beliebtes Erkältungsmittel, enthält den folgenden Text: „Gesundheitsbezogene Angabe zur Genehmigung durch die Europäische Kommission noch ausstehend“. „Es gibt ein paar erlaubte Ansprüche“, sagt Tochter Sophie. „Zum Beispiel: Vitamin C unterstützt das Immunsystem.“ Oder: Zink trägt zur Erhaltung einer normalen Sehkraft bei. Wir halten uns sehr strikt an diese Regeln.“
Andererseits seien die Regeln manchmal etwas weit hergeholt, sagt Hart. Nicht alle Kräuter und andere Naturprodukte sind wissenschaftlich erforscht, auch wenn sich einige von ihnen „seit Hunderten, wenn nicht Tausenden von Jahren bewährt“ haben.
„Es gibt einfach keine wissenschaftliche Forschung zu einem Kraut als Ganzes, weil Kräuter nicht standardisiert werden können.“ Und es ist nicht patentierbar, was es für die Industrie auch finanziell weniger interessant macht. Sie können jedoch einen Wirkstoff aus diesem Kraut isolieren und standardisieren. Aber dann ist es kein Naturprodukt mehr.“
Komplementärmedizin
„Wir verstehen uns nicht als Alternative, sondern als Komplementärmedizin“, sagt Astrid. Van der Pigge überlässt Krebs und andere Krankheiten der modernen Medizin, obwohl das richtige Nahrungsergänzungsmittel oder Kräuterpräparat eine gute Ergänzung zu einem regulären Behandlungsprogramm sein kann. Aber Menschen können sich bei nicht lebensbedrohlichen Beschwerden an Van der Pigge wenden.
Nehmen Sie chronische Müdigkeit oder Wechseljahrsbeschwerden, sagt Hart. In diesen Fällen überweisen die Hausärzte vor Ort ihre Patienten häufig an Van der Pigge, natürlich erst, nachdem sie zuvor alle anderen möglichen Erkrankungen ausgeschlossen haben. „Dann sagen sie manchmal: ‚Vielleicht solltest du es mal anders versuchen.‘ Also gehen Sie zu Van der Pigge.“
„Wir verstehen uns als Brückenbauer“, sagt ihre Tochter Sophie. „Zwischen Alt und Neu, zwischen östlicher und westlicher Medizin und zwischen Hausarzt und Patient.“
„Daher unser Motto“, sagt Hart: „Das Gute der Vergangenheit, mit dem Besten von heute.“
Unternehmen:
Drogerie AJ van der Pigge
Wo:
Haarlem
Seit:
1849
Anzahl der Angestellten:
30
Jahresumsatz:
1,75 Millionen Euro