Er erzählte von den ausgesetzten Leben von Migranten zwischen Weißrussland und Polen

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ZUGata Kubis schüttelt den Kopf. Dann richtet er seine blauen Augen auf mich: Sie sind voller allem. Von all den Bildern, die er machte, von dem Grauen, das er dokumentierte, von den Menschen, die er im weißrussischen Wald von Białowieża an der Grenze zu Polen traf. Theoretisch ein von der Unesco geschützter Naturpark, jetzt ein Wald „der Schande“: ab Sommer 2021 Versteckt im Wald versammeln sich dort Tausende von Migranten. Sie kommen aus dem Nahen Osten über die Türkei nach Minsk und hoffen, nach Europa zu gelangen.

Die belarussischen Behörden drängen sie in Richtung der polnischen Grenze, die wiederum dorthin führtlehnt sie massenhaft ab. Sie werden gezwungen, in der Kälte gefangen zu leben, ohne Nahrung und Wasser.

Agata Kubis: „Rechte verletzt: Ermittlungen und Fotoreportagen“

Agata, 46, ist eine polnische freiberufliche Fotojournalistin. Sie war Feministin und LGBTQ+-Aktivistin und nahm daran teil zum „Frauenstreik“ in Polen gegen das Abtreibungsverbot im Jahr 2021 („Das Gesetz wurde verabschiedet, aber was die Behörden nicht verstanden haben, ist, dass in der Gesellschaft ein neues Bewusstsein entstanden ist“, erklärt er).

Im vergangenen März wurde sie in Mailand für ihre Arbeit bei der ersten Ausgabe von gefeiert „Inge Feltrinelli Award – Der Welt erzählen, Rechte verteidigen“. Er gewann in der Kategorie „Verletzte Rechte: Ermittlungen und Fotoreportagen“ mit seiner Untersuchung „Die Grenztrilogie: Leben auf Eis gelegt zwischen Weißrussland und Polen“.

Ihre Perspektive als Journalistin änderte sich, als sie den belarussischen Wald betrat. Inmitten der Wedel und des Schmerzes der Migranten spürte sie, dass sie nicht mehr nur eine Fotografin war, die dokumentierte, sondern ein Mensch, der anderen Menschen helfen musste. Sie ging jede Nacht in den dunklen Wald und stieß auf die sehr traurige Geschichte von Josephine, die mit ihrem Mann Manuel und ihren beiden Kindern aus dem Kongo und dann aus dem Donbass floh bevor sie in den dunklen Schluchten der Wälder landen. „Die Weißrussen schrien ihnen zu, sie sollten unter dem Stacheldraht graben. Sie waren mit auf seinen Kopf gerichteten Waffen auf ihn los“, sagt er.

Später stellte die Frau fest, dass sie in dieser „roten Zone“ schwanger war, und verlor das Baby. „Alles, was wir für sie und ihre Familie tun konnten, war, Tropfen, Essen und heißen Tee mitzubringen“, fügt sie hinzu und schaut weg.

Agata Kubis: «Menschenrechtsbewusste Fotojournalistin»

Sie sind Teil des polnischen Archivs öffentlicher Proteste und arbeiten mit LGBTQ+-Publikationen zusammen: Wie kam es dazu, dass es in Białowieża landete?
Ein Kollege erzählte mir, dass gerade eine Gruppe von 32 Migranten an der Grenze angehalten worden sei. Ich dachte einen Moment lang nicht darüber nach, schnappte mir meine Kamera und wir machten uns auf den Weg, um zu sehen, was los war. Wir wollten es verstehen.

Und was ist dann passiert?
Am Anfang war es sehr schwierig, es war verboten, sich den Flüchtlingen zu nähern. Ich befand mich in einer misslichen Lage, ich wollte nicht nur derjenige sein, der aus der Ferne zusah und fotografierte. Etwas machte in mir Klick. Ich habe versucht, ein Hilfskonsortium zu bilden, und bin zurückgekommen. Mir wurde klar, dass meine Tätigkeit als Fotojournalist mich nicht davon ausschließt, auch Aktivistin zu sein, das sind keine sich gegenseitig ausschließenden Situationen. Die Frustration bestand darin, dass die anerkannten Verbände leider wenig tun konnten.

Wann ging er in den Wald?
Jeden Abend, von zehn bis sechs Uhr morgens. Mit der Angst, ohnehin von der Polizei angehalten zu werden. Sogar diejenigen, die helfen, werden kriminalisiert. Es ist ein schrecklicher Ort, dunkel, voller wilder Tiere, mit eisigen Temperaturen und Luftfeuchtigkeit. Migranten, die in diesem „Niemandsland“, in diesem Niemandsland, landen, sind oft erschöpft, krank, werden ständig abgewiesen.

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Agata Kubis: «Alle leiden, Frauen, Männer und Kinder»

Kinder und Frauen wie Josephine, deren Geschichte sie erzählte, zahlen den höchsten Preis.
Es ist schwer für alle, niemand wird vor dem Leid gerettet. Keine gesunden Männer, keine Frauen mit Kindern. Es gibt viel Gewalt seitens der belarussischen Wachen, sie hetzen Hunde auf Migranten, wie es bei Josephine der Fall war, deren Oberschenkel abgeschlachtet wurde. Flüchtlinge werden geschlagen, mit Waffen bedroht, ihres Hab und Guts beraubt und mit nichts im Wald zurückgelassen. Ich erinnere mich an eine Familie mit zwei kleinen Mädchen. Trotz der Gewalt der Situation konnten diese Mädchen im Wald spielen und sich vergnügen, als wäre es ein großes Abenteuer.

Hat es irgendjemandem geschafft, sich zu retten?
Leider gibt es nur sehr wenige Fälle mit einem Happy End. Ich habe die Geschichte von drei irakischen Jungen verfolgt. Sie wurden von einem LGBTQ+-Verein abgefangen und nach Deutschland überstellt. Doch dann wurden sie ohne politisches Asyl als Paketpost nach Polen zurückgeschickt.

Wohin führt sein Engagement nun?
Ich werde zur polnischen Grenze zurückkehren, die Route ist immer offen. Unser Job führt dazu, dass wir uns mit einem Thema befassen, solange es aktuell ist, aber als Mensch und als Journalist kann und werde ich es nicht vergessen. Ich stehe in ständigem Kontakt mit den Freiwilligen.

Journalismus als bürgerschaftliches Engagement.
Ich habe in meinem Leben an jeder möglichen und vorstellbaren Prozession teilgenommen, von Umweltdemonstrationen bis hin zu Demonstrationen für das Recht auf Abtreibung und gegen Faschismus. Fotografie ist das Werkzeug zum Leben und Erzählen, aber jetzt auch, um das Gewissen zu ändern. Ich lebe in einem zutiefst patriarchalischen Land, in dem sich die Stellung der Frau nie zu ändern scheint. Wir machen tatsächlich Riesenschritte in Richtung Emanzipation: Der Weg ist nun unumkehrbar.

Jetzt lächelt Agata endlich.

iO Frau © REPRODUKTION VORBEHALTEN



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