Sifan Hassan ist zurück in Tokio. In der Stadt, in der sie bei den Spielen zweimal Gold und einmal Bronze auf der Bahn gewann, wird sie am Sonntag den Marathon laufen. Auch weil die Distanz sie so fasziniert.
Sifan Hassan (31) hat Tokio deutlich häufiger gesehen als vor knapp drei Jahren. Sie ist zum Marathon am Sonntag in der japanischen Hauptstadt. Doch weit über die 42 Kilometer und 195 Meter hinaus ist sie dabei. Sie ist da, um in Erinnerungen zu schwelgen und Motivation für die nächste Olympia-Kampagne zu finden.
Sie ist anderthalb Tage in der Stadt. Sie lief gemütlich, schaute sich aber auch gründlich um. „Während der Spiele war ich super auf mich selbst konzentriert. Und auch wegen Covid habe ich nur das Dorf, das Auto und die Leichtathletikbahn gesehen“, sagt Hassan während einer digitalen Pressekonferenz am Donnerstag. „Jetzt fühlt es sich ganz anders an.“ Kühlen. Entspannt.‘
Über den Autor
Erik van Lakerveld schreibt seit 2016 über olympische Sportarten wie Eislaufen, Leichtathletik und Rudern.
Seit den Spielen in Tokio im Sommer 2021 sucht Hassan zunehmend nach Entspannung und neuen Herausforderungen in ihrem Sport. Nach dem olympischen Sommer nahm sie sich eine längere Auszeit. Die Saison 2022 verlief für sie daher etwas dürftig. Bei den Wettkämpfen, an denen sie teilnahm, einschließlich der Weltmeisterschaften, lief sie mit halber Kraft.
Doch 2023 war sie wieder voll in Schwung und überraschte in London bei ihrem Marathon-Debüt, wo sie trotz eines Boxenstopps zur Oberschenkeldehnung das Rennen gewann. Für Aufsehen sorgte sie in Budapest, wo sie über 10.000 Meter stürzte, aber über 1.500 Meter Bronze und über 5.000 Meter Silber holte. Und dann musste ihre Bestzeit beim Chicago-Marathon, 2:13:44, noch kommen.
Auf der Suche nach Herausforderungen
Nach ihrem Sieg in den USA machte sie einen längeren Urlaub. Erst vor acht Wochen hat sie wieder mit dem Training begonnen. „2023 war eine so lange Saison, auch wegen der langen Pause, die ich davor hatte.“ „Jetzt habe ich mich für einen ruhigen Aufbau entschieden.“
Es scheint ein etwas unsicherer Weg zu sein, den Hassan in den letzten Jahren eingeschlagen hat. Sie wechselt zwischen Leichtathletik und Straßensport, gönnt sich manchmal sehr lange Pausen und fordert sich manchmal viel ab. Doch sie lässt sich nicht treiben, sie weiß genau, was sie nicht mehr will. Nicht mehr die Zwangsjacke, die sie zwei Jahre lang auf dem Weg zu ihren zwei Gold- und einer Bronzemedaille durchlebte.
Sie möchte mehr Luft in ihrem Leben, mehr Freiheit, um ihre Neugier zu wecken. Nicht mehr der Hunger nach olympischem Gold ist ihre Motivation, sondern die Frage, was sie sonst noch tun kann.
Deshalb läuft sie in Tokio ihren dritten Marathon. Weil diese Distanz sie so fasziniert. Auf dem Weg nach London hat sie von allem ein bisschen gemacht: Sie ist auf der Straße und auf der Schwebeleichtathletikbahn gelaufen. Im Vorfeld von Chicago fand ihr Training fast ausschließlich auf Asphalt statt. Und nun? „Ich bin viel im Wald spazieren gegangen. „Ich liebe die Natur und gehe dort lieber zu Fuß als auf der Rennstrecke oder auf der Straße.“
Sie ist sich nicht sicher, ob das der beste Ansatz für ein gutes Rennen ist. In Tokio möchte sie, genau wie bei den beiden Marathons zuvor, vor allem lernen. Lernen Sie sich selbst und die über 42 Kilometer kennen. Denn trotz ihrer großartigen Leistung in Chicago – sie lief die zweitschnellste Zeit aller Zeiten – hat sie dort tatsächlich einen Fehler gemacht. Sie war zu schnell gestartet und hatte auf den letzten drei Kilometern eine Panne. „Ich muss lernen, das Gleichgewicht zu halten“, sagt sie. Verteile ihre Energie besser. „Suchen Sie nach einem angenehmeren Gefühl.“
Paris-Programm?
Ihre Vorbereitung auf Tokio wurde durch den Tod von Kelvin Kiptum, dem kenianischen Weltrekordhalter bei den Männern, unterbrochen. Er starb bei einem Autounfall. Hassan, die mit ihm sowohl in London als auch in Chicago als Sieger geehrt wurde, hörte während ihres Trainingslagers in Sululta, Äthiopien, davon. ‚Ich konnte es gar nicht glauben. Die ersten drei, vier Tage hatte ich wirklich schwer. Ich wollte laufen, aber meine Beine wollten nicht. Es war schmerzhaft, so traurig.“
Doch nach ein paar Tagen ließ der Schock nach und Hassan erholte sich, ihre Aufmerksamkeit richtete sich fast unbemerkt wieder auf das Laufen. Zum Marathon in Tokio. Und auch zu den Spielen in Paris gehen? Sie weiß noch nicht, was sie dort machen will: die 1.500 Meter, die 5.000 Meter, die 10.000 Meter und den Marathon.
Das ist das Menü, aus dem sie wählen kann. Und sie hat noch keine Ahnung, was es sein wird. „Vielleicht nur der Marathon, vielleicht nur die Strecke, vielleicht beides.“ Sie weiß noch nicht einmal genau, wann sie diese Entscheidung treffen wird. „Fünf Tage im Voraus oder vielleicht zwei Wochen.“
Der Ausgang des Tokio-Marathons, bei dem sie einen Podiumsplatz anstrebt, spielt keine Rolle. Sie ist aus einem anderen Grund in Japan. Um die Stadt ihrer erfolgreichen Spiele zu sehen, vor allem aber um das Gefühl hervorzurufen, das sie damals hatte. Der Sinn, die Disziplin, das Gefühl, dass es nur ums Gehen geht. „Ich möchte hier die Motivation gewinnen, es für ein paar Monate noch einmal konzentriert und professionell anzugehen.“ Das ist gut für Paris.‘
Nach dem Tokio-Marathon beginnt der Ramadan, der für Hassan sehr wichtig ist. Anschließend reist sie in die hochgelegene Park City im amerikanischen Bundesstaat Utah. Das ist Anfang April. Dann beginnt die eigentliche Olympiavorbereitung. Keine zwei Jahre mehr in geistiger Isolation, sondern nur noch etwa vier Monate. Sie weiß, dass dies der Weg ist, um ihren Sport weiterhin genießen und leistungsfähig bleiben zu können. Aus demselben Grund hat sie es in den letzten Monaten ruhig angehen lassen. „Ich will mich nicht zerstören.“