Was meint Nordkorea, wenn es seinen südlichen Nachbarn zum ultimativen Feind erklärt?
Ein Schandfleck, so nennt Nordkoreas Machthaber Kim Jong-un den Wiedervereinigungsbogen am Rande der Hauptstadt Pjöngjang. Seiner Meinung nach kann dieses monumentale Symbol der Versöhnung mit dem Süden in die Luft gesprengt werden, nachdem er verfügt hat, dass die kulturelle und ethnische Verbindung zwischen Koreanern auf beiden Seiten der Grenze beendet ist.
Damit bricht Kim mit der Politik seines Großvaters und Vaters, die die Vereinigung der seit den 1950er Jahren geteilten koreanischen Halbinsel in die Verfassung aufgenommen hatten. Auch in Südkorea ist die Wiedervereinigung ein verfassungsmäßig verankerter Wunsch.
Über den Autor
Marije Vlaskamp schreibt de Volkskrant über Chinas Position in der Welt. Sie verfolgt auch die Entwicklungen anderswo in Asien. Sie war 18 Jahre lang Peking-Korrespondentin.
Die Trennung Koreas geht auf den Beginn des Kalten Krieges zurück. Nach dem Zweiten Weltkrieg entstand in Korea mit Unterstützung Chinas und der Sowjetunion ein kommunistisches Regime. Die Vereinigten Staaten hielten mit Hilfe einer amerikanisch dominierten internationalen Streitmacht eine rechte Diktatur im Süden aufrecht. Nach einem blutigen Krieg, der bis 1953 andauerte, blieb die koreanische Halbinsel geteilt.
Am liebsten würde Kim die Verfassung so umschreiben, dass Südkoreaner nicht mehr als „Landsleute“, sondern als „Feind Nummer Eins“ bezeichnet werden. Eine Wiedervereinigung sei unmöglich, sagte Kim am Montag seinem Parlament. Über die Beweggründe für die größte Veränderung in Kims Außenpolitik seit seinem Amtsantritt im Jahr 2011 lässt sich nur spekulieren. Selbst versierte Korea-Spezialisten wissen nicht, was an der politischen Spitze eines der unzugänglichsten Länder der Welt vor sich geht.
Ist das ein Auftakt zum Krieg?
Kim lässt das offen. Er sagt, er wolle keinen Krieg, aber „er habe auch nicht die Absicht, ihn zu vermeiden“. Der Frieden nach dem Koreakrieg wurde nie offiziell unterzeichnet. In Südkorea ist eine große amerikanische Streitmacht stationiert, die durch amerikanische Atomwaffen geschützt wird.
Nordkorea verfügt über mehrere Dutzend Atomwaffen und Raketen, die sogar die USA treffen könnten. Nach der nordkoreanischen Militärdoktrin werden Atomwaffen auch präventiv gegen Feinde eingesetzt, die eine Bedrohung für die Führung Pjöngjangs darstellen. „Jetzt schafft eine Verfassungsänderung zum Status Südkoreas einen rechtlichen Rahmen für militärische Aktionen.“ Deshalb ist dieser Schritt wirklich besorgniserregend“, sagt Remco Breuker, Korea-Spezialist an der Universität Leiden.
Vielleicht ist es eine neue Möglichkeit, direkte Verhandlungen mit den USA zu erzwingen, denn letztendlich möchte Pjöngjang, dass Washington Nordkorea einfach als Atommacht akzeptiert. Die USA fordern den Abbau des nordkoreanischen Atomwaffenprogramms, bevor über eine Normalisierung der Beziehungen gesprochen werden kann.
Was können die Vereinigten Staaten tun?
Nach gescheiterten Gesprächen zwischen Trump und Kim im Jahr 2019 lehnte Pjöngjang jegliche Gespräche ab. Der US-Regierung blieb keine andere Wahl, als die militärische Zusammenarbeit zwischen Japan und Südkorea zu intensivieren, um Pjöngjang abzuschrecken. Allerdings sei diese Zusammenarbeit laut Breuker in der Praxis enttäuschend. Politisch sind die Regierungen Japans und Südkoreas schwach, was ein Hindernis für echtes Handeln darstellt.
Unterdessen testet Pjöngjang in Rekordtempo Waffen, darunter am vergangenen Wochenende eine neue Feststoff-Hyperschallrakete. Außerdem beschäftigen die Amerikaner zwei große militärische Konflikte und die Präsidentschaftswahlen. Kein guter Zeitpunkt für eine dritte Krise mit Nordkorea, und Kim weiß das nur zu gut.
Welche Rolle spielen China und Russland?
Kim hat den geopolitischen Wind in seinen Segeln, jetzt, wo ein Block antiamerikanischer autoritärer Staaten entsteht, angeführt von befreundeten Ländern wie China und Russland. Die Amerikaner fordern Peking regelmäßig auf, Kims Atomambitionen einzudämmen, doch die chinesische Regierung sagt, sie habe keinen großen Einfluss auf Pjöngjang. Für Peking ist Nordkorea ein Puffer gegen den amerikanischen Einfluss in Asien, daher lässt China Kim vorerst seinen Willen.
Russland und Nordkorea stehen derzeit in intensivem Kontakt, mit Blick auf die nordkoreanische Artillerie, die Moskau in der Ukraine sinnvoll einsetzen kann. Pjöngjang ist auf russisches Militärwissen aus, obwohl Moskau und Pjöngjang bestreiten, dass nordkoreanische Waffen auf das Schlachtfeld in der Ukraine geschickt werden. Doch für Russland sei Nordkorea „ein wichtiger Partner in allen Bereichen, auch in sensiblen“, lobte der Kreml nach dem Treffen zwischen dem russischen Präsidenten Wladimir Putin und dem nordkoreanischen Außenminister am Mittwoch.
Was ist Kims nächster Schritt?
Tests von Raketen und neue Tests mit Atomwaffen sind möglich. Kim sagt auch, er wolle in der Verfassung festhalten, dass Pjöngjang die Seegrenze zu Südkorea nicht anerkenne. Diese Grenze wurde am Ende des Koreakrieges von den Vereinten Nationen festgelegt, Pjöngjang beansprucht jedoch einen größeren Teil des Gelben Meeres, einschließlich einiger Inseln mit südkoreanischer Bevölkerung.
Wenn Pjöngjang gegen die Seegrenze vorgeht, wissen die Südkoreaner aus Erfahrung, dass es Probleme geben wird. Nordkorea provoziert regelmäßig Menschen auf See, indem es südkoreanische Schiffe oder Inseln beschießt.
Was Kim tun wird, bleibt abzuwarten. Durch seinen Politikwechsel sei es nun noch schwieriger einzuschätzen, was ihn bewegt, sagt Breuker. Provoziert Kim, um Druck auf die Amerikaner auszuüben, oder geht es bei seiner neuen Außenpolitik diesmal um echte Kriegsvorbereitungen? Beides sei möglich, sagt Breuker. „Nordkorea ist ein Meister darin, auf Messers Schneide zu balancieren.“ Vielleicht hat sich die Führung in Pjöngjang noch nicht entschieden, welchen Weg sie einschlagen soll.“