Eine neue Euro-Krise, wenn Draghi geht? „Das staatliche Chaos macht die Finanzmärkte hyperunruhig“

Eine neue Euro Krise wenn Draghi geht „Das staatliche Chaos macht


Präsident Emmanuel Macron (links), der italienische Ministerpräsident Mario Draghi (Mitte) und Bundeskanzler Olaf Scholz (rechts).Bild AFP

Hallo Marc, 2010 hast Du die vergangene Eurokrise in Brüssel hautnah miterlebt. Erleben Sie ein Déjà-vu?

„Manchmal ja, aber die Situation ist jetzt anders. Italiens Ministerpräsident Berlusconi unternahm damals bewusst nichts, um Italiens Fiskalpolitik und Regierbarkeit zu garantieren. Er musste schließlich zurücktreten.

„Jetzt gibt es wieder politische Unruhen in Italien. Premierminister Mario Draghi war als ehemaliger EZB-Präsident ein Beruhiger für die Finanzmärkte. Er verfolgte eine klare Finanzpolitik. Das gefiel den Märkten sehr gut. Die Tatsache, dass er gehen könnte, macht die Finanzmärkte unruhig.“

Wie also hat Brüssel am Donnerstag die politische Krise in Italien überwacht?

„Offiziell sagt Brüssel immer, dass es sich um interne Entwicklungen handelt, in die es sich nicht einmischt. Merkwürdig wäre es zum Beispiel auch, wenn die EU-Kommission oder EU-Präsident Charles Michel etwas zur Sozialleistungsaffäre in den Niederlanden sagen würden.

„Aber im Hintergrund macht man sich natürlich Sorgen. Noch bevor Draghi seinen Rücktritt einreichte, sagte der EU-Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni, dass Führung in dieser Zeit sehr wichtig sei. Draghi hat diese Führungsstärke immer wieder unter Beweis gestellt.

„Und zwischen 2010 und 2022 gibt es noch größere Unterschiede. Erstens stehen die Banken in allen Euro-Ländern in einer viel besseren Verfassung. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie wieder umfallen, ist viel geringer. Zweitens ist es nicht sofort ein Problem, dass Italien eine so hohe Staatsverschuldung hat. Hier ist die Sache: Italien verlängert jetzt fällige Kredite von vor zehn Jahren. Damals wurden diese Kredite zu deutlich höheren Zinsen aufgenommen. Selbst wenn die Zinsen jetzt leicht steigen, kommt das der monatlichen Tilgungslast Italiens zugute.‘

Unterdessen wird die Differenz zwischen den Zinssätzen für die Staatsschulden Italiens und Deutschlands immer größer. Ist das ein Problem?

„Eigentlich geht es um die Höhe des italienischen Zinssatzes. Was die Bundesbank in Deutschland zahlt, ist eine Art Benchmark. Als Richtwert dient der sogenannte Spread, die Differenz zwischen dem, was die Bank zu zahlen hat, und Italien als Staat. Je größer der Spread, desto höher die Zinsen, die die italienische Bank an den Finanzmärkten zahlen muss.

„Wenn man es nüchtern betrachtet, sagte gestern auch EU-Kommissar Gentiloni, sind die Zinsen für die italienischen Staatsschulden gar nicht so schlecht. Aber auch die Psychologie spielt an den Finanzmärkten eine Rolle. Sie reagieren oft unberechenbar. Schauen Sie sich zum Beispiel die momentan hohen Energiepreise an. Obwohl es keine Energieknappheit gibt, sind sie es Himmel hoch. Das ist Marktpsychologie.

„Wenn die Finanzmärkte unruhig werden, wird das die gesamte Eurozone treffen. Wenn die Märkte glauben, dass Italien zusammenbrechen wird, werden schwache Euro-Länder wie Portugal, Griechenland und vielleicht sogar Spanien nervös. Griechenland wurde damals mit Milliardenkrediten aus dem EU-Fonds gerettet, aber Italiens Wirtschaft ist so groß, dass es nicht einfach ist. Von einem solchen Szenario sind wir derzeit zum Glück noch sehr weit entfernt.‘

Welche Stellung nimmt das heutige Italien innerhalb der Eurozone ein?

„Italien tappte während der Eurokrise im Dunkeln, aber das lag vor allem an Leuten wie Berlusconi. Sie wurden in Brüssel nicht ernst genommen. Er scherzte nur und übte mit seiner mangelnden Politik Druck auf die gesamte Eurozone aus.

„Unter Draghi spielt Italien jetzt eine größere Rolle innerhalb der Europäischen Union. Italien gehört mit Deutschland und Frankreich zu den großen Drei. Draghi leistet bei europäischen Gipfeln einen ernsthaften Beitrag. Dass er bei den Sanktionspaketen gegen Russland sehr kooperativ war, hat ihm auch Anerkennung eingebracht.‘

Ob Draghi tatsächlich gehen wird, ist noch nicht klar. Was ist der bestmögliche Ausgang dieser Governance-Krise für die Euro-Länder?

„Die Euroländer wollen Stabilität und Ruhe auf den Finanzmärkten. Sie würden es daher vorziehen, dass Draghi seine Amtszeit bis zum nächsten Frühjahr abschließt und dann jemand, der seine Politik fortsetzt. Das Weltuntergangsszenario für die Eurozone ist, dass in Italien ein enormes Verwaltungschaos entsteht. Als Folge werden die Finanzmärkte hyperunruhig werden.‘



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