Ein Tierheim bei Dnipro kümmert sich um ausgesetzte Tiere: „Unsere Hunde sind auch Ukrainer“

Ein Tierheim bei Dnipro kuemmert sich um ausgesetzte Tiere „Unsere


Hunde sind auch Opfer der russischen Invasion in der Ukraine. In einem Tierheim außerhalb der Stadt Dnipro kümmern sich Tierfreunde um die oft traumatisierten Tiere, die von ihren Besitzern zurückgelassen wurden. „Unsere Hunde sind auch Ukrainer.“

Tom Venink

Zerschlagen betreten die Hunde das Lager. Dem einen fehlt ein Auge, dem anderen ein Bein. Sie alle haben Angst vor Explosionen.

„Vorgestern kamen Soldaten aus Torezk mit einem Hund, der noch Granatsplitter im Körper hatte“, schreit Hausmeister Leonid Azrelyan (38) durch das ohrenbetäubende Gebell um ihn herum. „Wir haben diesen Hund sofort auf den Operationstisch gebracht und uns auf die Suche nach einem neuen Besitzer für ihn gemacht. Bald wird er nach Tschechien aufbrechen.“

Shelter Friend, ein Lager aus kunterbunten Pferchen auf den Feldern außerhalb der ukrainischen Stadt Dnipro, ist ein Tierheim für Hunde, die von der russischen Invasion betroffen sind. Sie werden von Frontrückkehrern und Flüchtlingen geliefert, die sich nicht mehr um ihre Haustiere kümmern können.

„Manche Flüchtlinge sind so verzweifelt, dass sie ihre Hunde einfach aus dem Zug werfen“, sagt Azrelyan. „Und dann bekommen wir einen Anruf vom Bahnhof, um so einen Hund abzuholen. Aber wir sind komplett satt.“

Über den Autor
Tom Vennink verschreibt de Volkskrant über Russland, die Ukraine, Weißrussland, den Kaukasus und Zentralasien. Er reist regelmäßig zum Krieg in die Ukraine. Zuvor war er Korrespondent in Moskau.

Insgesamt gibt es etwa 250 Vorderhunde im Tierheim von Shelter Friend, das auch ein Tierheim mit hundert Katzen verwaltet. In den letzten Monaten kamen die Hunde hauptsächlich aus dem Osten, dem Ort, an dem die schwersten Kämpfe stattfinden. Neu eingetroffen: ein Bernhardiner von Bachmut, Welpen von Toresk und ein ganzes Rudel aus Kurachov bei Donetsk.

Die Ukrainer sind laut Vorkriegsstudien ein Volk mit überdurchschnittlich vielen Hundebesitzern. Einige Flüchtlinge brachten ihre Hunde in Tierheime in der sichereren Westukraine oder im Ausland. Andere sagten, sie lebten weiterhin in bombardierten Gebieten, um sich um ihre Hunde zu kümmern. Doch viele Ukrainer ließen ihre Haustiere zurück: Sie hatten keine Zeit, ihren Hund mitzunehmen oder sahen keine Möglichkeit, sich um ihren Hund zu kümmern.

Leonid Azrelyan bereitet das Hundefutter zu.Bild Daniel Rosenthal / de Volkskrant

Die Nachfrage nach Shelter-Plätzen ist so groß, dass Shelter-Friend-Mitarbeiter bereits neue Gehege zusammenstellen. Platz ist nicht das einzige Problem. Der Hundezuwachs hat die Futterkosten auf über 3.000 Euro pro Monat steigen lassen, eine Summe, die der Verein durch Spenden einsammelt. Die größte Herausforderung: Die Hunde dazu zu bringen, wieder zu gehen.

Knallende Raketenexplosionen

Manche Hunde sind so wild, dass Azrelyan Angst hat, sie an einen neuen Besitzer abzugeben. „Diese hier lässt niemanden außer mir in die Nähe“, sagt Azrelyan über Malish („Little One“), einen sechs Fuß großen Hund, der auf seinen Hinterbeinen gegen die Stangen seines Geheges steht und wie ein Löwe brüllt. „Er ist so wild, dass die Soldaten ihn in einem Käfig abliefern mussten.“

Viele der Hunde sind in Gebieten des Donbass aufgewachsen, die sich seit 2014 im Krieg befinden. Laut Hausmeisterin Tanja Kravchenko (36), die seit 2014 bei Shelter Friend arbeitet, brauchen sie Zeit, um sich einzugewöhnen, bevor sie an einen neuen Besitzer übergeben werden können. „40 Prozent beißen“, sagt sie. „Einige aßen tote Soldaten, um zu überleben.“

Was nicht helfe, sei der Boom russischer Raketenexplosionen in dieser Gegend, sagt Kravchenko. „Die Luftverteidigung schießt die Raketen über unsere Köpfe.“

Die Grenze überqueren

Die Unterkunft von Shelter Friend liegt in der Nähe von Dnipro, der viertgrößten Stadt des Landes, die mehrfach von der russischen Armee bombardiert wurde. Am vergangenen Freitag hat Russland erneut Raketen auf zahlreiche ukrainische Städte abgefeuert. Die meisten wurden nach Angaben der ukrainischen Armee aus der Luft abgeschossen, aber nicht alle: Mindestens neunzehn Menschen wurden bei Einschlägen an verschiedenen Orten im Land getötet. In Dnipro seien eine Frau und ihre dreijährige Tochter getötet worden, berichtete der Bürgermeister der Stadt.

Leonid Azrelyan mit zwei Welpen im Tierheim.  Bild Daniel Rosenthal / de Volkskrant

Leonid Azrelyan mit zwei Welpen im Tierheim.Bild Daniel Rosenthal / de Volkskrant

Kravchenko bringt die Hunde weit weg von Dnipro: ins Ausland. An Fronthunden interessierte Ukrainer sind nicht teilnahmeberechtigt, auch wenn sie in Gebieten leben, die nicht oder kaum von der russischen Armee betroffen sind. Kravchenko: „Ukrainer können sich in Kriegszeiten nicht um einen Hund kümmern.“

Ausländer finden Shelter Friend über das Internet und europäische Tierschützer. Ist ein neuer Besitzer gefunden, der bereit ist, die Kosten des Transports zu übernehmen, steigt Kravchenko ins Auto, um die Tiere ins Ausland zu bringen – anders als ihre männlichen Kollegen darf sie von den ukrainischen Behörden als Frau über die Grenze.

Und dann fährt sie alleine zurück in ihr Land im Krieg, um weitere Hunde abzuholen. „Wir müssen sie vor den Russen retten“, sagt sie. „Unsere Hunde sind auch Ukrainer.“

Insgesamt befinden sich etwa 250 Vorderhunde im Tierheim von Shelter Friend.  Bild Daniel Rosenthal / de Volkskrant

Insgesamt befinden sich etwa 250 Vorderhunde im Tierheim von Shelter Friend.Bild Daniel Rosenthal / de Volkskrant



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