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Roula Khalaf, Herausgeberin der FT, wählt in diesem wöchentlichen Newsletter ihre Lieblingsgeschichten aus.
Die Türkei hat die Zinssätze zum fünften Mal seit Juni angehoben, da das Land seinen Kampf gegen die Inflation verstärkt und die Gefahr einer Eskalation des Konflikts im Nahen Osten eine neue Herausforderung für die politischen Entscheidungsträger darstellt.
Die Zentralbank erhöhte am Donnerstag den einwöchigen Leitzins für Repogeschäfte um 5 Prozentpunkte auf 35 Prozent und entsprach damit den Erwartungen der Ökonomen in einer Reuters-Umfrage.
Der starke Zinsanstieg ist das jüngste Zeichen dafür, dass die Türkei ihre Wirtschaftspolitik seit der Wiederwahl von Präsident Recep Tayyip Erdoğan im Mai stark verändert hat. Zentralbankchefin Hafize Gaye Erkan hat seit ihrer Ernennung im Juni geschworen, die Geldpolitik so weit wie nötig zu straffen, um die Inflation einzudämmen, die bei über 60 Prozent liegt.
„Die geldpolitische Straffung wird rechtzeitig und schrittweise so weit wie nötig weiter verstärkt, bis eine deutliche Verbesserung der Inflationsaussichten erreicht ist“, sagte die Zentralbank und warnte, dass „geopolitische Entwicklungen Risiken für die Inflationsaussichten darstellen“, wenn sie dazu führen zu höheren Ölpreisen.
Der Preis der internationalen Rohöl-Benchmark Brent ist seit Anfang Juni um fast 20 Prozent auf 88 Dollar pro Barrel gestiegen. Produktions- und Exportkürzungen durch Saudi-Arabien und Russland haben die Rally teilweise vorangetrieben. Analysten befürchten aber auch, dass jede Ausweitung des Israel-Hamas-Krieges zu einem größeren regionalen Konflikt die Preise noch weiter in die Höhe treiben wird.
Die Türkei importiert den Großteil ihrer Energie, und höhere Ölpreise werden nicht nur die Inflation ankurbeln, sondern es der Regierung auch erschweren, ihr Ziel zu erreichen, das massive Leistungsbilanzdefizit des Landes zu verringern.
„Die Verschärfung der Geldpolitik der Zentralbank und ihre jüngsten Mitteilungen haben dazu beigetragen, ihre Glaubwürdigkeit wiederherzustellen und das Vertrauen zu schaffen, dass sie eine ernstere Haltung gegen die Inflation einnimmt“, sagte Liam Peach, leitender Ökonomenanalyst für Schwellenländer bei Capital Economics.
Die Zentralbank von Erkan hat den einwöchigen Repo-Satz seit Juni mehr als vervierfacht, um die Inflation einzudämmen, die sowohl durch die überhitzte Inlandsnachfrage als auch durch erhöhte Energiepreise angeheizt wurde.
Die höhere Zinspolitik steht im krassen Gegensatz zu Erdoğans langjähriger Forderung, die Kreditkosten trotz einer längeren Phase hoher Inflation auf einem niedrigen Niveau zu halten.
Im September befürwortete Erdoğan öffentlich eine straffe Geldpolitik, was dazu beitrug, die Skepsis zu zerstreuen, dass der türkische Präsident vor den Kommunalwahlen im nächsten Jahr, bei denen seine Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung versuchen wird, die Kontrolle über die größte Stadt des Landes, Istanbul, zurückzugewinnen, ihren Kurs ändern wird.
Eine Zentralbankumfrage vor der Zinsentscheidung am Donnerstag ergab, dass türkische Investoren und Wirtschaftsführer damit gerechnet haben, dass der einwöchige Repo-Satz in einem Jahr bei 39 Prozent liegen wird, was zeigt, wie die lokale Geschäftswelt auf eine lange Zeit hoher Kreditkosten vorbereitet ist.
Höhere Zinssätze sind Teil einer umfassenderen Wirtschaftsreform, die von Finanzminister Mehmet Şimşek geleitet wird, der im Juni ernannt wurde. Die Regierung hat die Steuern erhöht, eine Reihe von Maßnahmen ergriffen, um das Wachstum der Verbraucher- und Gewerbekredite zu bremsen, und die Lira freier schwanken lassen, nachdem sie ein kostspieliges Stützungsprogramm gekürzt hatte.
Ausländische Investoren, die nach Jahren unorthodoxer Wirtschaftspolitik aus der Türkei geflohen sind, sehen das neue Programm im Großen und Ganzen optimistisch, auch wenn sie weiterhin skeptisch sind, wie viel Spielraum die politischen Entscheidungsträger vor den Kommunalwahlen im nächsten Jahr haben werden.
Große Aufmerksamkeit schenken Investoren auch Erdoğans Reaktion auf den Israel-Hamas-Konflikt. Der türkische Präsident hat in den letzten Tagen seine Rhetorik gegen den jüdischen Staat und seine westlichen Verbündeten verschärft. Türkische Aktien fielen am Mittwoch stark, nachdem er sagte, die Hamas, deren Militante bei ihrem Angriff auf Israel am 7. Oktober mindestens 1.400 Menschen töteten, sei keine Terrororganisation, sondern eine „Gruppe für die Befreiung“.
Um diese Bedenken auszugleichen, trug Erdoğans Entscheidung diese Woche bei, den Antrag Schwedens auf Beitritt zur Nato an das türkische Parlament zu übermitteln. Sowohl die USA als auch Europa haben Ankara gedrängt, den Beitritt Schwedens zum Militärbündnis zu ratifizieren.