Die neue Governance-Kultur: institutionelle Unsicherheit

Die neue Governance Kultur institutionelle Unsicherheit


Mitglieder des Kabinetts Rutte IV mit dem König auf den Stufen des Schlosses Noordeinde.Statue Freek van den Bergh / de Volkskrant

Kaum ein halbes Jahr ist das Kabinett an der Macht, da gehen die Minister schon auf dem Zahnfleisch. Ab Samstag können sie für einen Monat in den Urlaub fahren. Sie sind ihm zuerkannt worden, und sei es nur, weil ein Rückschlag den anderen verdrängt. Erst in dieser Woche kam aus Brüssel die Meldung, dass die niederländische Ausnahmeregelung für das Ausbringen von Gülle ausgelaufen ist. Abgesehen von der Stickstoffkrise können wir das wirklich nicht haben. Zweiter Dämpfer in wenigen Tagen: Es ist nicht möglich, das Vermögen von Wohneigentümern extra zu versteuern, weil die Finanzbehörden es einfach nicht bewältigen können.

Wenig bis nichts kommt zu einem Happy End. Vor einer Woche war es sinnvoll, etwas für die Kaufkraft der Mittelschichten zu tun. Leider können die Systeme damit nicht umgehen. Eine schlechte Nachricht, seufzte Ministerin Sigrid Kaag (Finanzen) im ANZEIGE. Es ist nicht der hartnäckige Widerstand von Pieter Omtzigt oder der steinharte Sound von Geert Wilders, auf den das Kabinett stößt. Auch eine fehlende Mehrheit im Senat hält sie nicht davon ab. Das Ministerteam hat seine eigenen Ambitionen kaum erreicht, aufgrund der immer wieder auftretenden Unebenheiten, nicht im Geringsten selbst verursachten Unebenheiten.

Während der Feiertage würden die Themen weiter auftauchen, sagte Ministerpräsident Mark Rutte bei seiner vorletzten Pressekonferenz. Er erwähnte Stickstoff, Kaufkraft, Energie, Asyl. Diese Zusammenfassung zeigt genau, was falsch ist. Stickstoff bleibt ein aufschlussreiches Beispiel. Nach einer Zeit, in der man dachte, dass es sowohl Landwirten als auch Naturliebhabern dienen könnte, waren die EU-Richtlinie und der Richter unerbittlich. Ministerin Christianne van der Wal (Stickstoff) sagte, sie stehe mit dem Rücken zur Wand und habe keine andere Wahl. Politik sollte das Reich der Freiheit sein, aber der Verwaltung wurde durch Entscheidungen aus der Vergangenheit jeglicher Raum genommen. Auch Minister Van der Wal hatte eine schlechte Botschaft, wenn auch mit viel Mitgefühl für die Bauern. Kollege Henk Staghouwer (Landwirtschaft) erschien sogar mit einem roten Taschentuch um das Handgelenk im Haus, als Zeichen der nicht bindenden Solidarität der Landwirte.

Gegenwind aus dem eigenen Kreis

Eine ähnliche Politik der vollendeten Tatsachen findet im Umgang mit den Asylsuchenden statt, die sich in großer Zahl bewerben. Die VVD-Fraktion forderte eine rituelle Untersuchung, ob Asylsuchende an der Grenze aufgehalten werden können. Die Antwort – nein – war im Voraus bekannt, weil sie bereits vor einigen Jahren vom Donner-Komitee gegeben wurde. Das Ende der Geschichte ist, dass unwillige Kommunen gezwungen werden, Asylbewerber aufzunehmen. Hinzu kommt, dass der Staatsrat letzte Woche entschieden hat, dass syrische Asylbewerber nicht nach Dänemark zurückgeschickt werden sollten, da die Dänen glauben, dass Syrien ein sicheres Land ist. Der oberste Verwaltungsrichter ist nach der Zulagenaffäre immer noch damit beschäftigt, sein eigenes Leben zu verbessern. So stößt die Unfähigkeit, ein Problem zu lösen, auch auf Gegenwind aus dem eigenen Verwaltungskreis.

Das ist das Resümee nach sechs Monaten Regierungszeit. Minister Kaag ärgert sich gerne über den Ton des Widerspruchs, und Gert-Jan Segers (ChristenUnie) schimpft oft über Sesselgeneräle, während er selbst mit den Füßen im Dreck steht. In Wirklichkeit stört sich das Board hauptsächlich selbst. Nicht nur wird immer wieder hart an Entscheidungen aus der Vergangenheit erinnert, auch der politische Konsens ist verflogen. Das gilt übrigens nicht nur für die Regierung. Diese Woche stellte sich heraus, dass sich die beiden künftigen Mitte-Links-Parteien nicht auf die Vorteile des Freihandels (Ceta) einigen können.

Stickstoff ist mal wieder der Lackmustest, der die innere Spaltung in der Mitte gnadenlos aufzeigt. Der VVD-Kongress stimmte gegen die Maßnahmen seines eigenen Ministers. Die CDA ist erschöpft. Die Provinzen weigern sich, die Politik der Zentralregierung umzusetzen, und als i-Tüpfelchen drückte der König öffentlich sein Mitgefühl für die Bauern aus. Stimmen aus dem engsten Kreis der Macht wenden sich gegen die Ministerin, etwa die Agrarexpertin Louise Fresco. Selbst die niederländische Umweltprüfungsbehörde, normalerweise der Vorbote der strengsten Klimapolitik, warnte davor, dass diese Politik auf eine Mauer zusteuere. Der Widerspruch kommt nicht von der Opposition, sondern von der politischen Elite selbst.

Nachwirkungen ziehen tiefe Furchen

„Eine Regierung“, lautete der Slogan, den sich eine Studiengruppe vor einigen Jahren ausgedacht hatte. Das war keine Werbung, sondern um zu vermitteln, dass wir uns auf Berechenbarkeit und Verlässlichkeit verlassen können. Vielleicht fühlte sich die Studiengruppe bereits nass. Professor für Verfassungsrecht Wim Voermans schrieb in seinem Buch Das Land muss regiert werden (2021) über den „entfesselten Verwaltungsstaat“, eine Exekutive, die Parlament und Presse missachtet. Das Gegenteil ist der Fall. Das Brett wackelt und klappert und wird auch von innen angenagt. Der Spitzenbeamte Bernard ter Haar schrieb vor einem Jahr, die Niederlande hätten in den vergangenen Jahrzehnten nichts Bedeutendes erreicht. Sein Kollege Mark Frequin geht mit der Botschaft an die Öffentlichkeit, dass Beamte öfter Nein zu ihren Ministern sagen sollten.

Die neue Governance-Kultur wird als institutionelle Unsicherheit bezeichnet. Können wir das noch in den Niederlanden machen? Noch steht hier und da im Koalitionsvertrag, dass die Niederlande vor allem beim Klimaschutz vorangehen wollen. Gleichzeitig wirken die Nachwirkungen der Beihilfeaffäre noch immer tief. Chris van Dam, ehemaliger Vorsitzender des parlamentarischen Ausschusses, der die Affäre untersuchte, erklärt in Vorträgen, wie wenig ihm die Regierung noch am Herzen liegt. Der nationale Ombudsmann wiederholt ihn jeden Monat. Ministerin Hanke Bruins Slot (Innere Angelegenheiten) sagte letzte Woche, dass die Überprüfung von Gesetzen gegen die Verfassung bevorsteht, die die Bürger vor den Launen ihrer eigenen öffentlichen Verwaltung schützen sollen.

Das Kabinett wird in einem Monat zurückkehren. Dann wird Gesprächsleiter Johan Remkes retten, was in der Stickstoffkrise zu retten ist. Eine zweite Krise lässt wohl nicht lange auf sich warten. Wenn die Russen die Gasleitung Nordstream I geschlossen halten, hat Deutschland ein akutes Problem, das wir zwei Wochen später auch haben. Die Kohlekraftwerke laufen bereits auf Volllast, im September wird der Druck auf Minister Rob Jetten (Klima) voraussichtlich erheblich zunehmen, das Gasfeld Groningen wieder zu öffnen; Beschwörungen und Verheißungen aus der Vergangenheit geben auch hier keine Garantien für die Zukunft. Helden des Rückzugs, so könnte man diesen Schrank nach sechs Monaten charakterisieren. Und der Rückzug ist selten ein schöner Anblick.



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