Am Dienstag beginnen die Verhandlungen zwischen VVD, D66, CDA und ChristenUnie über das Frühjahrsmemorandum, die Zwischenbilanz des Bundeshaushalts. Es ist die erste große Belastungsprobe für die noch junge Koalition, denn die Parteien müssen ein schwieriges Puzzle zusammenfügen. Die Anhäufung von milliardenschweren Rückschlägen auf der Ausgabenseite könne die Koalition nicht auffangen, ohne den Koalitionsvertrag aufzubrechen, sagt ein Verhandlungsnaher.
Eine der Fragen, auf die sich die Koalition einigen muss, lautet: Inwieweit sind die Regierungsparteien bereit, den teuren Forderungen des Senats nachzukommen? Die Opposition hat im Senat die Mehrheit und übt damit Druck auf die Koalition aus. So will der Senat mit der Anhebung des Mindestlohns, der jährlich 2,4 Milliarden Euro kostet, auch die gesetzliche Rente erhöhen. Zudem fordert die Opposition, dass die Kürzungen bei Pflegeheimen und Jugendhilfe (insgesamt 900 Millionen Euro) aufgegeben werden. Sonst droht der Senat, die Kabinettspläne zu torpedieren. Die Koalitionsparteien müssen nun entscheiden, ob sie dieses Risiko eingehen wollen.
Wenn sie dem politischen Druck nachgeben, vergrößern die Koalitionsfraktionen das andere Problem, mit dem sie fertig werden müssen: das rapide wachsende Milliardendefizit im Staatshaushalt. Die Summe der Serie finanzieller Rückschläge beläuft sich bereits auf fast 21 Milliarden Euro.
Größte Rückschläge
Größter Schlag ist das Urteil des BGH zur Kapitalertragsteuer. Staatssekretär Van Rij (Steuern) wird wahrscheinlich Millionen wohlhabender Sparer für zu viel gezahlte Box-3-Steuern für die Jahre 2017-2022 entschädigen. Das kann auf verschiedene Arten geschehen, aber die von der Regierung bevorzugte Variante soll rund 7 Milliarden Euro kosten.
Die vom Abgeordnetenhaus erzwungene zusätzliche Erhöhung des Verteidigungshaushalts verursacht ein Haushaltsdefizit von rund 5 Milliarden Euro. Auch das jüngste Kaufkraftreparaturpaket in Höhe von 2,8 Milliarden Euro hat die Regierung nicht vollständig gedeckt. Eine halbe Milliarde Euro muss die Koalition noch finanzieren.
Die Europäische Union wird die Regierung mehr kosten als erwartet. Der niederländische Beitrag von 1,1 Milliarden Euro zum Sozialen Klimafonds ist noch nicht im Budget enthalten. Polens Veto in der vergangenen Woche gegen die Einführung eines europäischen Körperschaftsteuermindestsatzes sorgt für den jüngsten Rückschlag. Die polnische Blockade wird der Staatskasse rund 800 Millionen Euro an bereits verbuchten Einnahmen ersparen.
Ein angekündigter Verlust von 1,3 Milliarden Euro dürfte höher ausfallen. Zunächst rechneten die Niederlande mit einer Subvention von 6 Milliarden Euro aus dem europäischen Corona-Wiederaufbaufonds. Finanzminister Kaag schrieb im Januar an das Abgeordnetenhaus, dass es sich um 4,7 Milliarden Euro handeln werde. Die Niederlande haben die Corona-Pandemie 2020 und 2021 deutlich besser überstanden als bisher angenommen. Die Subvention für EU-Länder hängt mit den wirtschaftlichen Problemen zusammen, die ein Mitgliedstaat während des Virusausbruchs erlitten hat.
Kaags jüngste Schätzung basiert auf einem Wirtschaftsrückgang von 3,8 Prozent im Jahr 2020 und einem Wirtschaftswachstum von 4 Prozent im Jahr 2021. Statistics Netherlands gab kürzlich bekannt, dass die niederländische Wirtschaft im Jahr 2020 „nur“ um 2,9 Prozent geschrumpft ist. 2021 betrug das Wachstum nicht 4 Prozent, sondern 6,5 Prozent. Die Niederlande werden demnach voraussichtlich weniger als 4,7 Milliarden Euro aus dem Brüsseler Geldtopf erhalten.
Flüchtlinge und Kohlekraftwerke
Weitere erhebliche Rückschläge sind die Kosten für die Aufnahme ukrainischer Flüchtlinge (geschätzt auf 1 Milliarde Euro für die nächsten sechs Monate) und die steigenden Zinskosten der niederländischen Staatsschulden (etwa 1 Milliarde pro Jahr bei aktuellen Zinssätzen).
Minister Jetten (Klima) droht ein nicht genannter Rückschlag von rund 1,5 Milliarden Euro, weil er den vier niederländischen Kohlekraftwerken viel höhere Entschädigungen zahlen muss als veranschlagt. Seit diesem Jahr unterliegen die Kohlekraftwerke einer gesetzlichen Produktionsbegrenzung, weil die Regierung die Treibhausgasemissionen schnell reduzieren will. Die Eigentümer der Kohlekraftwerke haben Anspruch auf finanzielle Entschädigung für entgangene Einnahmen. Die Höhe ist an den extrem hohen Gaspreis gekoppelt.
Die Koalition steht nun vor der Wahl, ob sie das Haushaltsdefizit durch Sparmaßnahmen oder Steuererhöhungen (zB Anhebung der Vermögensteuer) beseitigen will. Die Verhandlungsparteien können sich auch für den „einfachen“ Weg entscheiden: die Staatsverschuldung steigen zu lassen, statt unpopuläre Maßnahmen zu ergreifen. Letzteres ist vielleicht sogar noch verlockender, weil die Staatsverschuldung – dank des besser als erwarteten Wirtschaftswachstums – tatsächlich niedriger ist als prognostiziert. Laut Statistics Netherlands betrug diese Verschuldung Ende 2021 52,1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts und lag damit deutlich unter dem europäischen Standard von 60 Prozent.