Die Drohung von Pim Lammers zeigt, dass auch hier radikale Kräfte am Werk sind

Die Drohung von Pim Lammers zeigt dass auch hier radikale


Trump-Anhänger stürmen am 6. Januar 2021 das Kapitol. Die USA sind ein Vorbild für viele niederländische Urkonservative.Bild Samuel Corum/Getty

„Abgesagt“, steht auf der Website von Family in Danger in roten Lettern über einem Foto von Pim Lammers. Wie so oft machen sich diese rechtsextremen Gestalten leichtsinnig schuldig an dem, was sie dem Rest der Gesellschaft vorwerfen. Die Abbruchkultur existiert, und sie müssen gar nicht so weit schauen.

Dass ein Autor wegen Morddrohungen einen Auftrag zum Schreiben eines Gedichts abgibt, ist eine Schande, von der wir dachten, sie sei Ländern wie dem Iran vorbehalten. Leider entsteht auch hier Fundamentalismus in Form von ultrakonservativen Hetzern, deren vormals marginale Meinungen in einer polarisierten Gesellschaft immer mehr Resonanz finden.

Family in Danger ist Teil der Stiftung Civitas Christiana, einer militanten katholischen Bewegung, die den Anspruch erhebt, gegen die „allgemeine Erosion unserer Zivilisation“ zu kämpfen. Vorsitzender des dreiköpfigen Gremiums ist ein deutscher Herzog, der glaubt, dass „das Mittelalter unser Maßstab sein sollte“, weil „damals Gott im Mittelpunkt stand, ein Platz, der heute von den Menschenrechten eingenommen wird“.

Mittelalterliche Moral

Diese Fundamentalisten haben sich gegen Pim Lammers zur Wehr gesetzt, weil er vor einigen Jahren eine Geschichte über einen Trainer geschrieben hatte, der einen minderjährigen Jungen begrapscht. Demnach hätte er Pädophilie entschuldigt, weshalb er das Gedicht der Kinderbuchwoche nicht schreiben dürfte. Dass fiktive Protagonisten in einer fiktiven Geschichte nicht mit einem Autor zusammenfallen, ist eine Selbstverständlichkeit, die sich trotz wiederholter Versuche in der vergangenen Woche leider als unmöglich erwies, diesen selbsternannten Moralrittern zu erklären.

Diese mittelalterliche Moral reicht viel weiter als ihre Hexenjagd nach einem Kinderbuchdichter. Pädophilie, schreiben sie, habe alles mit Homosexualität zu tun – die sinngemäß auch bekämpft werden müsse. Außerdem sollte über Sexualität im Allgemeinen nicht mehr geschrieben werden, da sie „mit der Keuschheit unvereinbar“ sei und „bei gefallenen Menschen unmoralische Gedanken hervorrufe“.

Dass in einer modernen Gesellschaft nur die Gerichte Grenzen setzen, wie Ministerpräsident Rutte betonte, wird von diesen Eiferern nicht akzeptiert. „Das ist schlichtweg falsch. Die von Gott gesetzten und auch aus dem Naturrecht bekannten moralischen Grenzen gehen über die gesetzlichen Grenzen hinaus.‘

Verschwörungsdenken

Nun sind Fanatiker, die sich kraft ihres Glaubens über das Gesetz stellen, aller Zeiten. Aber mit ihrer Jagd auf Pädophilie appellieren sie an die väterlichen und mütterlichen Instinkte einer viel größeren Gruppe (ähnlich wie zuvor die Mother Heart-Bewegung der Impfgegner). „Ich werde mich immer für alle Kinder einsetzen!“, twitterte die Volendamer Folksängerin Monique Smit. „Wir sollten dieses Zeug niemals normalisieren.“

Es knüpft an Verschwörungstheorien wie das amerikanische Pizzagate über unmoralische Würdenträger an, die Kinder missbrauchen. Das ist zwar eine extreme Variante, aber einer der Vektoren des Kulturkampfes, in dem die sogenannte urbane Elite (= unmoralisch = liberal = links = grün = aufgewacht) gegen sogenannte Dorfbauern (= rein = konservativ = rechts = fossil = weiß) platziert. Dass dieser Kontrast hauptsächlich aus unendlichen Grautönen besteht, passt nicht zu den polarisierenden Kräften. Ihre Bedeutung liegt in einfachen Widersprüchen, denn nur so kann eine Randgruppe wachsen und das Land sogar destabilisieren.

Amerika ist für viele von ihnen ein Vorbild. Dort hat der Kulturkrieg bereits unvorstellbare Folgen – von Bücherverboten aus Bibliotheken bis zur Erstürmung des Kapitols. In den Niederlanden mit ihrem Mehrparteiensystem ist das System eher gedämpft. Doch die Drohung von Pim Lammers beweist, dass auch hier radikale Kräfte am Werk sind, die die Uhr zurückdrehen wollen.

Der Volkskrant Commentaar bringt die Position der Zeitung zum Ausdruck. Es kommt nach einer Diskussion zwischen den Kommentatoren und den Chefredakteuren zustande.



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