Remco, du warst heute Morgen am Berliner Ostbahnhof. Was haben die Reisenden dort vom Bahnstreik mitbekommen?
„Am Ostbahnhof war mit einem enormen Chaos zu rechnen, da aufgrund des Streiks nur vier der zahlreichen S-Bahn-Linien – die Berliner Regional-U-Bahn – eingeschränkt verkehren würden. Zwei davon enden am Ostbahnhof. Der Fotograf und ich dachten, auch auf Anraten eines führenden Eisenbahnexperten, dass diese wenigen U-Bahnen vollgepackt mit Pendlern am Ostbahnhof ankommen würden und sie dann um einen Platz im Bus kämpfen müssten.
„Aber wie es manchmal passiert: Als wir heute Morgen um halb sieben dort ankamen, war kaum jemand da. Viele Menschen blieben zu Hause oder teilten sich ein Auto. Auffällig ist auch: Der Streik wird recht gut absorbiert. In Berlin wurde ein Notfallplan aufgestellt, in dem viele U-Bahnen, Straßenbahnen und Busse zum Einsatz kommen. Das sieht man auch andernorts im Land: Etwa 20 Prozent der Züge fahren noch, in den Großstädten wird der Nahverkehr genutzt.
Über den Autor
Daan van Acht ist Generalreporter für de Volkskrant.
„Meine vorläufige erste Schlussfolgerung ist also, dass das befürchtete Massenchaos nicht eingetreten ist.“ Aber ich füge hinzu: Dies ist erst der erste Tag. „Wenn ein solcher Streik Tage oder vielleicht Wochen andauert, werden sich die Dinge ändern.“
Auch die Deutschen mussten sich auf Straßensperren einstellen, oder?
„Heute ist tatsächlich auch der Tag, an dem deutsche Landwirte im Rahmen ihrer Aktionswoche Zufahrtsstraßen in Brandenburg blockieren.“ Das ist zufällig der Staat, der Berlin umgibt. Aber auch die erwarteten Staus blieben aus, las ich auf regionalen Nachrichtenseiten. Nahezu jeder Deutsche scheint also sowohl von den Streiks als auch von den Bauernprotesten Kenntnis zu haben.
„Es ist gut darauf hinzuweisen: Auch wenn die Streiks und Proteste in derselben Woche stattfinden, sollten sie nicht in einen Topf geworfen werden.“ Der Bahnstreik dreht sich um Tarifverhandlungen, die Blockaden der Bauern sind Ausdruck einer breiten gesellschaftlichen Unzufriedenheit und einer wachsenden Uneinigkeit in Deutschland. Letztere Entwicklung sorgt auch für ein sehr schnelles Wachstum der extremen Rechten, insbesondere im Osten des Landes.“
Hell. Es sind vor allem die deutschen Lokführer, die streiken. Wo ist der Schmerz für sie?
„Ja, es ist wichtig, zwischen der Eisenbahngewerkschaft EVG und der kleineren Lokführergewerkschaft GDL zu unterscheiden.“ Die Gewerkschaft EVG steht der obersten Führungsebene der Deutschen Bahn sehr nahe, gegenüber der sie die Interessen ihrer Mitarbeiter vertreten soll. Infolgedessen ist in den letzten fünfzehn Jahren eine kleinere Gewerkschaft für Maschinenschlosser, die GDL, entstanden. Diese Gewerkschaft wurde lange Zeit weder von der Deutschen Bahn noch von der „Hauptgewerkschaft“ EVG ernst genommen.
„Deutsche Fahrer stehen im öffentlichen Verkehr ganz unten auf der Leiter, anders als etwa in Frankreich, wo der Fahrer der Chef der Bahn ist und mit Respekt behandelt wird.“ Dabei untersteht ein Lokführer eines ICE-Zuges tatsächlich dem Chefschaffner. Sie verdienen oft weniger Geld als andere Zugbedienstete und arbeiten im Schichtdienst. Deshalb streiken die Autofahrer jetzt.
„Dennoch habe ich heute Morgen überraschend wenig Mitgefühl unter den Reisenden festgestellt. Ich habe mit einer Lehrerin gesprochen, die mit einer Gruppe von Kindern für einen Schulausflug zum Bus laufen musste. Wenn wir streiken, sagte sie, werden wir einen Betreuungsplan für die Eltern ausarbeiten. Aber wenn Autofahrer streiken, hat das viel größere Auswirkungen. Sie findet das nicht fair.‘
Wie ist der Zustand des deutschen Zuges? Ist es ein zuverlässiger Spediteur außerhalb von Streiks?
„Nein, wir in den Niederlanden glauben, dass die Deutsche Bahn immer noch eine gut geölte Maschine ist, aber das ist nicht mehr der Fall.“ Kaum zwei Drittel der Fernzüge kommen pünktlich an, im vergangenen November war es nur die Hälfte. Die aktuellen Streiks – wenn auch außergewöhnlich – sind für Reisende ein Signal, dass auf der Strecke zum x-ten Mal etwas schief läuft.
„Dahinter steckt eine komplexe Geschichte, die ich dieses Wochenende im Rahmen einer Geschichte entschlüsseln werde.“ Teilweise wurde zu wenig in die Bahn investiert, gleichzeitig wird die Deutsche Bahn – eines der größten Unternehmen Deutschlands – besonders inkompetent geführt. Die politisch Verantwortlichen haben im Laufe der Jahre resigniert.
„Das sagen auch die Deutschen: Bürokratie, Desorganisation, die Vorstellung, dass die Deutsche Bahn immer eine gut geölte Maschine bleiben wird – eine Form der Hybris, die auch der deutschen Autoindustrie einen Streich spielt.“ „Die Bahn ist für viele daher zum Symbol des Niedergangs geworden.“