Die Blitzlieferanten stoßen auf zahlreiche Hindernisse, aber: „Das ist ein Dauerphänomen“

Die Blitzlieferanten stossen auf zahlreiche Hindernisse aber „Das ist ein


Ein Lieferbote von Gorillas ist auf dem Weg vom Lager in Amsterdam Nieuw-West zu einem Kunden.Statue Guus Dubbelman / de Volkskrant

Gegenüber den Regalen mit Chips und Popcorn im Gorillas-Lagerhaus am Koningin Wilhelminaplein in Amsterdam steht eine Handvoll Lieferfahrer, verteilt auf zwei Stuhlreihen. Einer hat Kopfhörer drin und scrollt auf seinem Handy. Ein anderer starrt nach vorn. Wir müssen auf die nächsten Bestellungen warten, aber sie scheinen an diesem Montagnachmittag, kurz nach Beginn der Hauptverkehrszeit, nicht in Hülle und Fülle zu sein. Die elf fast identischen Fahrräder vor dem grauen Gebäude stehen unberührt auf dem Bürgersteig.

Vor mehr als einem Jahr dröhnte an diesem Ort laute Popmusik aus den Boxen. Gorillas hatte sich einige Monate zuvor als erster Flash-Lieferservice in den Niederlanden etabliert. Mit diesem jugendlichen Clubhaus als einem der ersten sogenannten Dark Stores, aus dem Lieferfahrer auf Elektro-Zweirädern Studenten und junge Familien mit schnellen Lebensmitteln versorgten. Die Stimmung war fröhlich, die Lieferanten spielten drinnen Fußball, draußen unterhielten sich die Kollegen. Die Glocken für neue Bestellungen folgten in rascher Folge aufeinander.

Das Peloton der Gorillas hatte Rückenwind. Genau wie die Konkurrenten Flink, Getir und Zapp, die wenig später auf den Markt kamen. Im Juli 2022 sieht die (Flash-)Welt anders aus. Kommunen wenden sich nach Beschwerden von Anwohnern über Belästigungen gegen die Schnelllieferdienste. Dunkelläden werden aus dem Zentrum verbannt und in den Großstädten dürfen keine neuen Standorte mehr eröffnet werden.

Zudem stagniert die Zahl der Bestellungen jetzt, da die Lockdowns vorbei sind und die Verbraucher selbst wieder auf die Straße gehen können, heißt es Transaktionsdaten von ABN Amro. Erschwerend kommt hinzu, dass die schlechten makroökonomischen Aussichten, steigende Zinsen und das ins Wanken geratene Image der Radarkameras die Anleger viel weniger eifrig machen. Grund genug für das Flash-Delivery-Unternehmen Zapp, das Erlösmodell als nicht mehr „tragfähig“ zu betrachten. Letzte Woche wurde bekannt, dass sich das britische Unternehmen knapp ein Jahr nach dem Start aus dem niederländischen Flash-Markt zurückzieht, obwohl die vier Filialen noch eine Weile geöffnet bleiben.

Schon länger ist klar, dass das Geschäftsmodell unter Druck steht. Bereits Ende Juni hatte Zapp einen möglichen Abgang nach der Zwangsschließung zweier Dark Stores in Amsterdam angekündigt. Einen Monat zuvor hatte das Unternehmen etwa 250 Mitarbeiter – 10 Prozent der Belegschaft – entlassen, um Kosten zu sparen. Auch die Blitzer-Lieferfirmen Getir und Gorillas haben in diesem Monat etliche Mitarbeiter entlassen, um profitabel zu werden. Der „Wendepunkt“ in der Flash-Delivery-Branche schien erreicht und die Flash-Unternehmen würden ihn nicht lange aushalten.

1,1 Millionen Nutzer

Aber das bleibt abzuwarten, sagt Martijn Arets. Im vergangenen Jahr prognostizierte der Plattformspezialist wie viele Ökonomen, dass am Ende nur ein oder zwei große Player übrig bleiben würden. Aber der Weggang des ersten Blitzzustellers bedeutet seiner Meinung nach nicht, dass der Rest bald untergeht. „Der Essenslieferant Foodora ist 2018 ebenfalls ausgestiegen, aber die Wettbewerber sind immer noch aktiv.“

Mit Zapps Abgang bleiben drei Namen in den Niederlanden: die deutschen Flash-Lieferanten Flink und Gorillas sowie der türkische Getir. Zusammen machen sie fast 120 Distributionszentren in 39 niederländischen Städten aus. Die Abgehängten werden sogar vom Weggang eines Konkurrenten profitieren, erwartet Transport- und Logistikwirtschaftsökonom Albert Jan Swart von ABN Amro. ‚Sie werden bald mehr Bestellungen in ihrem bestehenden Liefergebiet erhalten.‘ Obwohl Transaktionsdaten von ABN Amro zeigen, dass seit dem Ende des Lockdowns im Januar weniger Bestellungen eingegangen sind, ist die Nachfrage nach schnellen Lebensmitteln immer noch da. „Besonders unter jungen Großstädtern“, sagt Swart.

Ein Lieferbote der Gorillas in Amsterdam im Januar.  Die schwarzen Jacken der Fahrradkuriere wurden durch eigene Kleidung ersetzt und die erkennbaren eckigen Rucksäcke gegen Mülleimer auf der Vorderseite des Fahrrads ausgetauscht.  Statue Guus Dubbelman / de Volkskrant

Ein Lieferbote der Gorillas in Amsterdam im Januar. Die schwarzen Jacken der Fahrradkuriere wurden durch eigene Kleidung ersetzt und die erkennbaren eckigen Rucksäcke gegen Mülleimer auf der Vorderseite des Fahrrads ausgetauscht.Statue Guus Dubbelman / de Volkskrant

Das zeigen auch Untersuchungen von Kantar die Zahl der Nutzer steigt weiter, wenn auch weniger schnell. Mit der nötigen Publicity, viel Risikokapital und aggressiven Marketingkampagnen gelang es den Blitzern, in anderthalb Jahren rund 1,1 Millionen Verbraucher dazu zu bewegen, Lebensmittel zu bestellen. Als im vergangenen Jahr nur 700.000 Verbraucher den schnellen Service nutzten, führte dies laut dem Food Service Institute Netherlands (FSIN) zu einem Gesamtumsatz der Blitzzusteller von mehr als 184 Millionen Euro. In diesem Jahr werden es rund 500 Millionen sein, schätzt das Marktforschungsinstitut Gfk.

„Wir können Flash Delivery nicht länger ignorieren“, schließt Dirk Mulder von ING. Klar sei, so der Handelsökonom, dass es sich um ein Dauerphänomen handele. Aufgrund der Popularität werden auch bestehende Parteien einspringen. Die Supermarktketten Albert Heijn und Marqt experimentieren bereits in Amsterdam und Den Haag mit der Blitzlieferung über den Essenslieferdienst Thuisbezorgd und auch Gall & Gall testet den schnellen Service.

Die Zusammenarbeit zwischen diesen etablierten Supermärkten und den Flash-Lieferanten ist der nächste lukrative Schritt, meint Swart von ABN Amro. Beispielsweise hat die Familie Van Eerd der Supermarktkette Jumbo bereits in Gorillas investiert. Der Supermarkt beliefert den Blitzlieferanten mit Eigenmarken und will den Schnelllieferservice bald über eigene Kanäle anbieten. ‚Durch die Nutzung ihres Liefernetzwerks für bestehende Geschäfte können die Flash-Unternehmen die Kosten erheblich senken.‘

Höhere Preise, vollere Einkaufstüten

Das Interesse von Kunden und Supermärkten mag nicht mangeln, aber das bedeutet nicht, dass alle dunklen Wolken verschwunden sind. Die Stimmung der „Investoren“ gegenüber den Start-ups hat sich geändert. Aufgrund steigender Zinsen, hoher Inflation und unsicherer makroökonomischer Aussichten sind sie vorsichtiger‘, erklärt Mulder. Diese Kapitalgeber werden dringend benötigt, um mitzuhalten, denn obwohl die Unternehmen selbst volles Vertrauen in das Erlösmodell haben, macht noch keiner der Blitzlieferanten Gewinn. „Die werden bald schwarze Zahlen schreiben müssen“, sagt Mulder, der nicht ausschließt, dass die Blitzlieferanten dafür ihre Preise erhöhen. Die Frage ist allerdings, wie interessant der Service für die junge Klientel bleibt.

Auch für höhere Gewinnmargen ist ein vollerer Warenkorb unerlässlich. Kunden scheuen sich beispielsweise nicht davor, die Blitzlieferanten für eine Banane oder ein Glas Pesto loszuschicken, bemerkte der Journalist Jeroen van Bergeijk, als er selbst als Lieferbote anfing. Seitdem gelten Mindestbestellmengen. Im Durchschnitt bestellen Kunden mittlerweile Lebensmittel für knapp 17 Euro, berichtet ABN Amro.

Ein Gorillas-Lieferbote in einem dunklen Laden in Amsterdam.  Statue Guus Dubbelman / de Volkskrant

Ein Gorillas-Lieferbote in einem dunklen Laden in Amsterdam.Statue Guus Dubbelman / de Volkskrant

Flink sagt, er erkenne sich in dieser Bestellsumme nicht wieder, obwohl das Unternehmen die tatsächliche Summe nicht teilen wolle. Das Flash-Delivery-Unternehmen sagt, dass es immer noch wächst, genau wie Gorillas, das sagt, dass es in den Niederlanden „einen klaren Weg zur Rentabilität eingeschlagen hat“. Das Unternehmen zielt nun auf die profitabelsten Länder und Drehkreuze ab. ‚Außerdem werden wir weiter an unseren Preisen und unserer Logistik arbeiten.‘ Fragen zum Erlösmodell will Getir nicht beantworten.

Charme-Offensive

Der Flash-Markt werde jetzt reifen, meint Plattform-Spezialist Arets. „Letztes Jahr sind sie wie eine Art Elefant in den Porzellanladen gestampft. Sie haben schnell Dutzende von Hubs eröffnet, ohne wirklich Rücksicht auf die Umwelt zu nehmen.“ Auch bei den Arbeitsbedingungen gibt es bei den Flash-Unternehmen noch Luft nach oben. Im Mai entschied die Arbeitsaufsichtsbehörde, dass ihr Streben nach „Marktbeherrschung“ zu übermäßigem Arbeitsdruck, schwerer körperlicher Belastung und illegaler Beschäftigung führt.

„Sie erkennen, dass sich etwas ändern muss“, sagt Arets. Eine regelrechte Charme-Offensive hat bereits begonnen. Im Mai legten die Blitzlieferanten einen Verhaltenskodex vor, um Anwohner und Stadtbehörden wieder auf ihre Seite zu ziehen.

Auch im Gorillas-Hub in New West. Fahrräder sind noch da, aber nicht auf dem Bürgersteig. Drinnen, an der Stelle, wo letztes Jahr ein Ball getreten wurde, stehen sie jetzt in Reihen aufgereiht. Die schwarzen Jacken der Fahrradkuriere wurden durch eigene Kleidung ersetzt und die erkennbaren eckigen Rucksäcke gegen Mülleimer auf der Vorderseite des Fahrrads ausgetauscht. Laute Musik ertönt nur aus den Ohren der Kuriere. Änderungen, die laut Gorillas das Ergebnis „monatelanger konstruktiver Beratungen“ mit Nachbarn, anderen Unternehmern und der Gemeinde sind.

Mit Erfolg, denn die Stadt Amsterdam berichtet, dass die Zahl der Beschwerden über Blitzerlieferung zurückgegangen ist. Nicht zuletzt, weil etliche lästige Dunkelläden komplett geschlossen sind. Die Gemeinde arbeitet nun an einem speziellen Bebauungsplan für die Blitzerauslieferer, damit diese sich künftig nur noch an „geeigneten“ Standorten ansiedeln. Wohngebiete fallen grundsätzlich nicht darunter, sagt Stadtrat Reinier van Dantzig von der Raumordnung.

Sündenbock

Andere Großstädte arbeiten an ähnlichen Plänen, sehr zum Leidwesen der Blitzer. Sowohl Gorillas als auch Flink argumentieren, dass ihr Erlösmodell nicht funktioniert, wenn alle Distributionszentren am Stadtrand liegen. Wenn die Fahrradkuriere 45 Minuten unterwegs sind, werden die Lieferkosten laut Flink viel zu hoch. Darüber hinaus sagen sie, dass Radarkameras jetzt in einem Wohn- oder Einkaufsgebiet gut funktionieren können.

Auch Plattformspezialist Arets findet, dass einige Kommunen zu abrupt agieren. Das größte Problem, sagt er, sei, dass die Blitzer als isoliertes Problem betrachtet würden. „Während Radarkameras eindeutig eine wichtige Rolle bei der Entwicklung des On-Demand-Marktes gespielt haben, sind sie nur ein Teil der Branche für schnelle Lieferungen.“ Jetzt, da sich die Verbraucher an eine schnelle Lieferung gewöhnt haben, ist das Problem viel umfassender. „Sie können alle dunklen Geschäfte aus dem Zentrum verbannen, aber Sie können auch Flash-Lieferungen an bestehende physische Geschäfte und Restaurants starten.“ Fahrradkuriere, die den öffentlichen Raum als Wartehalle und Rennstrecke beanspruchen, werden nicht mehr verschwinden.

Für das Überleben der „ursprünglichen“ Flash-Lieferanten scheint die Zusammenarbeit mit diesen physischen Geschäften unerlässlich zu sein. Obwohl (obligatorisch) der Umzug in abgelegene Industriegebiete auch funktionieren kann, so Arets. ‚Wenn das Liefergebiet pro Hub zunimmt, werden weniger Filialen benötigt.‘ Dafür ist es notwendig, die einstmals versprochenen zehn Minuten Lieferzeit aufzugeben. Laut Arets geschieht dies bereits massenhaft. Gerade in Stoßzeiten werden die Lebensmittel manchmal erst nach einer halben Stunde geliefert. „Aber das ist natürlich trotzdem schnell.“

Die verbleibenden Flash-Lieferanten in den Niederlanden

Gorillas

Gründung: 2020
Kapital: +/- 1,3 Milliarden Euro in sechs Investitionsrunden eingesammelt
Markt: aktiv in Deutschland, Dänemark, Frankreich, Italien, den Niederlanden, Spanien und dem Vereinigten Königreich
Standorte: 28 Hubs in 14 niederländischen Städten

Beträchtlich

Gründung: 2020
Kapital: +/- 1 Milliarde Euro in drei Investitionsrunden eingesammelt
Markt: aktiv in Deutschland, Frankreich, den Niederlanden und Österreich
Standorte: 65 Hubs in 39 niederländischen Städten

getir

Gründung: 2015
Kapital: +/- 1,8 Milliarden Euro in sieben Investitionsrunden eingesammelt
Markt: aktiv in der Türkei, Deutschland, Frankreich, Italien, den Niederlanden, Portugal, Spanien, dem Vereinigten Königreich und den Vereinigten Staaten
Standorte: 25 Hubs in 11 niederländischen Städten



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