Die anmutigen Niederbosnier integrieren sich vorbildlich, aber ihr Land leert sich

Die anmutigen Niederbosnier integrieren sich vorbildlich aber ihr Land leert
Nick Teunissen

Ein Freund hat mich kürzlich gefragt, warum ich mich hier in Bosnien so zu Hause fühle. Während viele wegziehen, mache ich meine heimat aus. Also was gefällt mir daran? Es gibt Dutzende von Gründen, einschließlich Liebe und die Art zu lebenaber tief in meinem Herzen hat es auch mit der Höflichkeit der Menschen zu tun.

Ihr anmutiges Verhalten, das nicht als unterwürfig angesehen wird. Bescheidenheit ist für den Bosnier die höchste Form der Höflichkeit. Sowohl hier in Sarajevo als auch mit der Diaspora in den Niederlanden. Und das haben wir in Westeuropa weitgehend verloren. Auch in den Niederlanden.

Deshalb wissen wir relativ wenig über Bosniaken. Während wir sie eigentlich loben können. Wussten Sie, dass unter allen Migrantengruppen die Arbeitslosigkeit zu den niedrigsten und das Bildungsniveau zu den höchsten gehört? Der Niederbosnier schneidet an vielen Fronten besser ab als ein gebürtiger Niederländer. Sie haben uns einen der erfolgreichsten Integrationsprozesse in der niederländischen Geschichte beschert. Und sie taten das alles leise. Denn mit Erfolgsgeschichten oder großen Trauergeschichten ist ein Niederbosnier nicht käuflich.

Herzenskummer

Doch ihre Bedenken verdienen keine Zurückhaltung. Besonders jetzt, wo der Schmerz der Vergangenheit still mit dem Kummer des Hier und Jetzt verschmolzen ist. Zum zweiten Mal in dreißig Jahren müssen die Bosnier zusehen, wie Jung und Alt massenhaft ihre Heimat verlassen. Sie sind gezwungen, den Fluchtspuren ihrer Familien zu folgen.

Ich habe dieses Thema kürzlich in eine Theateraufführung aufgenommen, die ich für das bosnische Nationaltheater inszeniert habe. Nach der Pressekonferenz kam eine Journalistin mit Tränen in den Augen auf mich zu: ‚Jetzt, wo mein Sohn sagt, er will Arzt werden, weiß ich, dass wir nur kurz zusammen sein werden, bevor er uns endgültig verlässt.‘

Sie war schockiert von ihren Emotionen und entschuldigte sich. Aber sie ist nicht die einzige Mutter, die in Tränen ausbricht. Jetzt findet ein regelrechter Exodus statt. 55.000 Menschen wandern jedes Jahr ins Ausland aus. Vor allem gut ausgebildete junge Leute. Diesmal nicht von Kugeln und Granaten verjagt, sondern angezogen von einem ganz normalen Job in Europa. „Welche Zukunft hat mein Kind hier noch?“, fragte sich der Journalist.

Als wir uns von der Pressekonferenz entfernen, frage ich den jungen Schauspieler Harun, ob er Bosnien auch verlassen würde, wenn er genügend Einkommen hätte. ‚Nein natürlich nicht! Aber für meine Zukunft habe ich keine Wahl. Ich muss ins Ausland gehen, um Erfahrungen zu sammeln. Nach ein paar Jahren möchte ich zurückkommen, um mein erworbenes Wissen mit anderen zu teilen.“

Aber die Forschung zeigt, dass nur wenige zurückkommen, wenn sie einmal in ein anderes Land gegangen sind. Es gibt einen Willen, aber keinen Weg.

Stillstand in Familien

Dies sind herzzerreißende Zustände, die die Sackgasse symbolisieren, in der sich viele Familien heute befinden. Junge Leute wollen eigentlich gar nicht weg. Aber dieser Onkel oder diese Tante in den Niederlanden oder Deutschland bietet oft einen Rettungsring an.

Europäische Ökonomen messen junge Menschen wie Harun am neoliberalen Maßstab. Ihre Geldmaschine zerstört den Faktor Menschlichkeit. Technokraten erklären es uns als Win-Win-Situation. Aber es sind Steuermantras, die von internationalen Berichten fast vollständig entlarvt werden. In Wirklichkeit gibt es keine höfliche Gegenseitigkeit.

Das Braindrain beraubt ärmere Länder ihres wertvollsten Kapitals: der jungen Menschen, die wirklich gebraucht werden, um ein Land aus der Armut zu befreien. Und Europa? Sie benimmt sich wie eine echte Profiteurin. Das Anwerben billiger und hochqualifizierter Arbeitsmigranten ist zu einem europäischen Sport geworden. Daran ist nichts Bescheidenes.

Niemand verlässt einfach sein Land. Die Notwendigkeit, Haus und Herd hinter sich zu lassen, lässt sich nicht in wirtschaftlichen Begriffen ausdrücken. Nur im Seelenschmerz. Über Generationen verteilt. Mit nur 2,7 Millionen Einwohnern exportiert Bosnien weiterhin stark. Busladungen voll. Die Zurückgebliebenen sind politisch Geiseln und wirtschaftlich gelähmt in diesem schönen Land, das seit Kriegsende unter internationaler Vormundschaft steht.

Nick Teunissen ist Theatermacher, Regisseur und Autor und lebt in Sarajevo. Im Juni wird er Gastkolumnist auf volkskrant.nl/opinie sein.



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