Vereinsfreiwilliger Sefket Karademir (63) weiß es genau, sagt er am Dienstag in der Wintersonne vor der Fußballkantine des SV Turkish Power Deventer. Wäre Furkan am vergangenen Wochenende dabei gewesen, hätte die erste Mannschaft nicht mit 0:3 verloren.
Aber er war nicht da. Und die Angst in der gesamten türkisch-niederländischen Gemeinde in Deventer ist, dass dieser „ruhige, süße, sympathische“ Furkan Kazci (26) „mit diesem guten richtigen Schuss“ nie wieder an TKD 1 teilnehmen könnte. Denn statt Deventer war Furkan dabei Kahramanmaras. Die türkische Stadt, in der er ahnungslos in einem Gebäude schlief, das in dieser Nacht wegen der schweren Erdbeben einstürzen würde.
Seit die Deventer Zinnfabrik Thomassen & Drijver in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts Arbeiter aus der Osttürkei in die Niederlande holte, hat sich eine enge Bindung zwischen der Stadt und den damals neuen Bewohnern entwickelt. Bezeichnenderweise: Deventer ist die einzige Stadt außerhalb der Randstad mit einem türkischen Konsulat (die anderen sind in Rotterdam und Amsterdam, die Botschaft in Den Haag). Nicht umsonst, denn mit etwa 10.000 Niederländern mit türkischen Wurzeln hat Deventer (100.000 Einwohner) heute eine relativ große türkisch-niederländische Gemeinde.
Nachbarschaftspolizisten mit Blumen
Für Bürgermeister Ron König ist es daher selbstverständlich, dass er dieser großen Gruppe von Deventerinnen und Deventern am Dienstagnachmittag in der Zentrumsmoschee sein Beileid aussprechen wird. „Gut, dass Sie auch hier sind“, sagt er zu zwei Polizisten aus der Umgebung, die vorbeikommen, um einen weißen Blumenstrauß zu überreichen. Und zum Moscheesaal voller Männer: „Ich verstehe, dass Sie viele Verwandte im Erdbebengebiet haben. Mit Ihnen sind auch wir als Stadt traurig über das, was dort passiert ist.
Viel mehr könne er im Moment nicht tun, „nah an die Leute herantreten, zeigen, dass wir da sind“, sagt der Bürgermeister, als er wieder draußen ist. „Wenn bald gezielte Hilfe für den Wiederaufbau benötigt wird, dann möchte ich mich als Kommune so weit wie möglich lokalen Initiativen anschließen.“
Am Seiteneingang der Moschee herrscht nun ein Kommen und Gehen von Transportern voller Taschen mit Hilfsgütern. Windeln, Decken, Klamotten, alles wird angeliefert und muss diese Woche auf den LKW ins winterliche Gebiet in der Türkei verladen werden. „Ah, das ist so schön“, sagt Kerem Alan, Vorsitzender der Moschee, und legt sich die Hand aufs Herz. „Diese Stapel von Decken, ein Holländer hat sie gerade gebracht. So schön.‘
Auch in der Moschee gibt es Bedenken wegen Furkan. Er ist einer von acht Niederländern, die dem Außenministerium in der Türkei als vermisst gemeldet wurden. „Wir sind zutiefst besorgt über ihre Situation und tun, was wir können, um so schnell wie möglich Klarheit für ihre Familie und Freunde zu schaffen.“ In der Moschee wissen sie von Furkan nicht mehr als dass seine Eltern in die Türkei abgereist sind.
‚Wir sind ein‘
Sie sind nicht die einzigen, die dorthin wollen. Im Zentrum von Deventer ist das türkische Konsulat rappelvoll. Ali Kaglayan ist gekommen, um seinen Pass zu erneuern, damit er in die Türkei gehen kann. Mit 13 Jahren kam er in die Niederlande und wurde danach im Erdbebengebiet angesiedelt. Familie hat er dort keine, aber das ist ihm egal: „Wir sind eins.“
Kaglayan ist gerade dabei, sich mit elektrischen Heizgeräten und Decken einzudecken. „Ich fahre dieses Wochenende mit meinem Geländewagen Dodge Ram dorthin“, sagt er. „Um zu helfen, Dinge für die Menschen zu kaufen, den Schutt wegzuräumen. Oder einfach jemanden zu umarmen.“
Der Türke Elçin Erdem (27) lebt seit zwei Jahren beruflich in den Niederlanden und hat sich gerade angemeldet, um von Deventer aus für die türkischen Wahlen im Mai wählen zu können. Sie hat viele Freunde im Katastrophengebiet. „Es ist viel schlimmer als das, was wir hier sehen“, sagt sie. „Über soziale Medien und WhatsApp bekomme ich viele Bilder von Freunden aus Gebieten, in denen es überhaupt keine Hilfe gibt. In anderen Gegenden fangen sie nicht an zu graben, wenn sie keine Stimmen hören.“
Erdem zückt ihr Handy. „Hier, schau dir das an“, sagt sie und zeigt ein Instagram-Video. „Diese Leute hören Geräusche unter den Trümmern, werden aber gestoppt, wenn sie suchen wollen.“
Es seien Bilder von kaputten Städten, die Karademir, der ehrenamtliche Vereinshelfer des türkischen Power-Fußballklubs, den „jeder kennt“, nicht ertragen könne, sagt er über den ansonsten verlassenen Verein. „Jeder stirbt irgendwann, aber unter den Trümmern ist das schrecklich.“
Vorerst kein Fußball
Vereinsmanager und Hausarzt Yenal Izci sagt telefonisch zwischen seinen Beratungsgesprächen, der Verein habe den Fußballverband KNVB gebeten, die Wettkampfspiele aller Mannschaften vorerst abzusagen, weil „sich alle zu sehr aufregen“. Auch Izci hat keine Neuigkeiten über den vermissten Spieler, außer dass zwei Cousins, die Furkan dort besuchte, lebend aus demselben Gebäude kamen. „Von Furkan selbst haben wir noch nichts gehört, wir hoffen weiter auf ein gutes Ergebnis.“
Freiwilliger Karademir wiederholt es ihm nach, aber seine Augen füllen sich immer noch mit Tränen. Er nimmt die Zigarette und den Kreuzschlitzschraubendreher, mit dem er ein kaputtes Schloss repariert, in eine Hand und lässt die andere frei, um sich die nassen Augen hinter seiner Brille abzuwischen. „Ich vermisse diesen Jungen.“