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Es sind unruhige Zeiten in Deutschland. Zwei Themen dominieren die Schlagzeilen: die wirtschaftliche Misere und der alarmierende Anstieg der Unterstützung für die rechtsextreme Alternative für Deutschland, die mittlerweile bei etwa 22 Prozent liegt und jede der drei Regierungsparteien übertrifft. Es mag den Anschein erwecken, dass dies wirtschaftliche und politische Probleme sind, die keinen Zusammenhang haben. Sie sind jedoch durch die Bevölkerungspolitik und öffentliche Investitionen miteinander verbunden.
Viele Faktoren haben die wirtschaftlichen Aussichten Deutschlands getrübt. Der Energiepreisschock hat uns hart getroffen. Der Abschwung in China ist schlecht für die deutschen Exporte. Aber der grundlegendste Grund ist die Erschöpfung des Wachstumsmodell Dieser Prozess wurde vor 20 Jahren durch die Sozial- und Arbeitsmarktpolitik der damaligen rot-grünen Regierung in Gang gesetzt. Durch die Kürzung der Unterstützung für Langzeitarbeitslose und die Liberalisierung der Niedriglohnarbeit trieben die sogenannten Hartz-IV-Reformen die Deutschen in die Arbeit. Es waren nicht Investitionen oder Produktivitätssteigerungen, sondern diese „industrielle Revolution“, die ein überdurchschnittliches Wirtschaftswachstum ankurbelte.
Angesichts rekordverdächtiger Beschäftigungsquoten ist dieses Modell an seine natürliche Grenze gestoßen. Der demografische Gegenwind setzt mit voller Wucht ein. Wenn Deutschland den Rückgang seiner Erwerbsbevölkerung abmildern will, muss es die Einwanderung ankurbeln. Und damit wären wir bei der AfD.
Seit ihrer Gründung im Jahr 2013 engagiert sich die AfD für vielfältige Anliegen. Ursprünglich war ihr Schreckgespenst die Leitung der Europäischen Zentralbank durch Mario Draghi. Dann wandte sie sich gegen die grüne Klimapolitik. Sie war Covid-skeptisch und lehnte die Unterstützung Deutschlands für die Ukraine ab. Aber die mit Abstand wichtigste Sorge, die ihre Wähler antreibt, ist apokalyptische Ängste mit Migration verbunden.
Die AfD betreibt rücksichtslose Panikmache, verbreitet Rassenklischees und Islamfeindlichkeit. Aber der Wandel in der deutschen Gesellschaft ist real. Im letzten halben Jahrhundert hat sich Deutschland von einer weitgehend monoethnischen Gesellschaft zu einer Gesellschaft entwickelt, in der den Daten aus dem Jahr 2022 zufolge 28,7 Prozent der Bevölkerung wurden entweder mit einem ausländischen Pass geboren oder hatten einen Elternteil, der einen ausländischen Pass hatte. Im Jahr 2020 unter Kindern Unter fünf Jahren waren 40,3 Prozent entweder Migranten oder wurden von mindestens einem ausländischen Elternteil geboren. In Städten wie Bremen liegt der Anteil eher bei zwei Dritteln.
Die Reaktion des Bundestages bestand in einer Liberalisierung der Staatsbürgerschaftsregeln. Der Wandel kultureller Normen hin Ausländer und ihre Präsenz im öffentlichen Leben war spektakulär. Eine deutliche Mehrheit der Deutschen bleibt der Vielfalt gegenüber aufgeschlossen und willkommen. Aber Kulturpolitik geht nur so weit. Allzu oft fehlt Geld.
Wie die britischen Erfahrungen in den 2010er Jahren zeigten, ist die Kombination von Sparmaßnahmen und Massenmigration ein Rezept für Fremdenfeindlichkeit. Damit eine liberale Migrationspolitik funktioniert und gefährliche Konflikte um Wohnraum und soziale Dienstleistungen vermieden werden, sind öffentliche Investitionen unerlässlich. Hier hat Deutschland versagt. Seit Anfang der 2000er Jahre waren die öffentlichen Investitionen netto negativ und der Wohnungsbau blieb weit hinter den Erwartungen zurück. Seit 2009 führt die Schuldenbremse, die die öffentliche Kreditaufnahme begrenzt, zu einer anhaltenden Unterausschöpfung.
Mehr Wohnungen und Kinderkrippen werden den Rassismus nicht beseitigen. Eine solide 14 Prozent der deutschen Wähler haben Einstellungen, die sie der extremen Rechten zuordnen. Es gibt 2 Prozent der echten Neonazis. Das ist bedauerlich, aber eine beklagenswerte Minderheit dieser Größe kann unter Quarantäne gestellt werden. Was wirklich besorgniserregend ist, ist das Abrutschen weiterer 10–15 Prozent der Wählerschaft in die Fänge der AfD – Wähler, die sich Sorgen um die Migration machen, aber ansonsten keine rechtsextremen Positionen unterstützen.
Eine Schließung der deutschen Grenzen ist keine Option. Nicht nur die deutsche Wirtschaft braucht die Arbeitskräfte, sondern Millionen Menschen auf der ganzen Welt haben ein Recht auf Asyl und den berechtigten Wunsch, sich durch Migration zu verbessern. Man muss Berlin zugute halten, dass es sich in der EU für eine koordinierte und rationale Flüchtlingspolitik eingesetzt hat. Im Gegensatz zu den Alarmisten ist Deutschland nicht „voll“ und nicht von einer apokalyptischen Unruhe bedroht. Es gibt jedoch echte Engpässe in den Bereichen Wohnraum, Bildung und Sozialfürsorge, sodass ein Fortbestehen des Status quo ein Rezept für zunehmende Spannungen ist.
Um dem Verfall Einhalt zu gebieten, ist keine Begünstigung des Rassismus erforderlich, sondern eine Vereinbarung aller etablierten Parteien, mit einem konzertierten Programm öffentlicher Investitionen in den Wohnungsbau und die öffentlichen Dienstleistungen eine Alternative zur AfD zu bieten. Wenn dazu eine Umgehung der Schuldenbremse durch einen außerbilanziellen Sonderfonds erforderlich ist, wie er etwa zur Bewältigung der Ukraine-Krise und der Herausforderung des Klimawandels geschaffen wurde, dann soll das so sein. Für den Wohlstand und den inneren Frieden Deutschlands ist der Erfolg der Einwanderung weitaus wichtiger, als Dutzende Milliarden für Staffeln überentwickelter amerikanischer Kampfflugzeuge, Mikrochip-Produktionsanlagen und andere Lieblinge der Industriepolitik auszugeben.