„Wir werden in den Himmel kommen, sie werden einfach sterben.“ Fast lyrisch wird der russische Propagandist Solowjow, wenn er von einem Atomkrieg mit dem Westen spricht. Das Fantasieren über den Einsatz von Atomwaffen ist im russischen Staatsfernsehen keineswegs neu, aber diese hohe Masse der Geschädigten wird mittlerweile fast pausenlos aufgeführt. Als das in dieser Woche von Putin selbst und seinem Außenminister Lawrow erneut geschah, stellte sich die Frage, ob dies ein Zeichen russischer Stärke oder Schwäche ist – und welche Variante gefährlicher ist.
Sicher ist, dass die hochbrisante russische Rhetorik auch eine Waffe ist, die den Westen abschrecken und daran hindern soll, seine Unterstützung für die Ukraine zu verstärken. Das Gegenteil geschieht, weil die westlichen Länder zunehmend davon überzeugt sind, dass Putins Russland in der Ukraine um jeden Preis gestoppt werden muss.
Die Alternative ist nach den Erfahrungen in den (vorübergehend) besetzten Gebieten ein Massaker unter Ukrainern, aber auch ein Versuch – und ganz im Sinne der Rhetorik in Moskau – die ukrainische Identität auszulöschen. Ukrainische Babys, die jetzt im besetzten Mariupol geboren werden, erhalten Geburtsurkunden von den separatistischen Volksrepubliken, die Russland anerkannt hat. Schulen und Medien werden russisch angehaucht, ukrainische Unruhestifter verschwinden in Folterkammern, Museen werden geplündert, ukrainische Denkmäler zerstört.
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Präsident Putin, seine Minister und seine Propagandisten beteuern in allem, dass die Ukraine von der Landkarte getilgt und andernfalls zumindest der Osten und Süden „zurückerobert“ werden müssen. Ein Verhalten, das in die uralte Tradition des Russischen Reiches passt, in dem öfter Grenzen verschoben oder Länder geschluckt oder geteilt wurden.
Von außen sieht man ein Land, das in seinen postimperialen Frustrationen gefangen ist. Erkennbar von anderen europäischen postkolonialen Mächten, die ebenfalls wissen, wie schwierig der Wechsel vom Selbstverständnis als expansives Imperium zu einem Land ist, das sein Glück in festen Grenzen sucht.
Russland ist ein viel komplexeres und facettenreicheres Land, als es seinen Führern lieb ist. Darin liegt ein Hoffnungsschimmer für ein postimperiales Russland nach Putin. Im Moment scheinen sich die westlichen Länder in dem Glauben einig zu sein, dass dieses imperiale Russland in diesem Krieg enden muss. Auch Russland (das größte Land der Welt) muss sich mit seinen derzeitigen Grenzen zufrieden geben.
Als sich auf beiden Seiten der Wille verfestigt, nicht aufzugeben, dämmert die Erkenntnis, dass ein langer Krieg bevorsteht. Es gilt für die Ukraine, die buchstäblich um ihr Leben kämpft. Das gilt auch für westliche Länder, die ihre Zurückhaltung bei der Lieferung immer schwererer Waffen abgelegt haben. Wenn sie diesen Krieg akzeptieren – ein Anachronismus, ein altmodisches Stück Landraub –, haben sie bereits die internationale Ordnung verloren, die sie in diesem Jahrhundert gegen China verteidigen wollen.
Einheit
Schon lange, denn die Partei, die hier gegen den Strom der Geschichte rudert, ist das größte Land der Welt, eine militärische Großmacht, eine nahrungs- und rohstoffautarke Macht, dazu Atomwaffen. Also ein Land, das noch über viele Instrumente verfügt, um an der alten Realität festzuhalten – und zu versuchen, auch andere Völker in diese Form zu drängen.
Aber was erklärt diese westliche Einheit (solange sie anhält) und diese plötzliche Bereitschaft, sich gegen Putins Expansionsdrang zu wehren? Ein wichtiger Grund dafür ist, dass westliche Länder, allen voran Deutschland, alle Alternativen, alle Unterbringungsvarianten ausprobiert und über die Jahre bei Putin ein Auge zugedrückt haben. Nicht einmal, sondern immer wieder. Dafür werden sie jetzt mit dem größten und blutigsten Bodenkrieg, den Europa seit Jahrzehnten gesehen hat, „belohnt“.
Putin die Stirn zu bieten (außer in Polen und den baltischen Ländern) ist im Westen lange Zeit die unbeliebteste Option, nicht nur in vielen europäischen Ländern, übrigens auch in den USA – selbst nach der Krim-Annexion und dem Einmarsch in Russland Ostukraine im Jahr 2014. Nachdem die Alternativen ausgeschöpft sind, bleibt diese.
Was bedeutet das für den Umgang mit der nuklearen Bedrohung aus Moskau? Diese westliche Vorsicht, auch in der Rhetorik, ist angebracht. Präsident Putin warnte diese Woche, dass diejenigen, die „strategische Bedrohungen schaffen, die für uns inakzeptabel sind“, einen schnellen Schlag erhalten werden. Er behauptete, über Ressourcen zu verfügen, „die niemand hat“, und sie bei Bedarf zu nutzen.
Dies wird eine zentrale Herausforderung für den Westen sein: Wie können Sie die Selbstverteidigung der Ukraine in Bezug auf militärische Unterstützung und wirtschaftliche Maßnahmen maximieren, ohne die Grenze in einen direkten militärischen Konflikt zu überschreiten? Unter anderem dadurch, dass keine „Flugverbotszonen“ über der Ukraine durchgesetzt werden. Aber passen offen formulierte Ziele wie Russlands „dauerhafte Schwächung“ dazu?
Hinzu kommt eine weitere Frage: Biden spricht von „verantwortungsloser Rhetorik“, ansonsten schweigt er zu Putins nuklearen Drohungen. Das ist kein Zufall, sondern eine bewusste Strategie. Aber ist der nuklearen Abschreckung besser gedient, wenn der Westen schweigt oder etwas über die Folgen des Einsatzes einer Atomwaffe sagt? Wie bändigt man einen Angreifer, der Atomwaffen schwingt? Putin hat mit seiner Invasion die Welt zu einem besseren Ort gemacht Terra incognita zurückgezogen. Auch in diesem Sinne wird der Krieg zu einem entscheidenden Dreh- und Angelpunkt.