„Der Stickstoff-Professor der Niederlande“ bremst nicht und will nun schnell politische Ergebnisse sehen

„Der Stickstoff Professor der Niederlande bremst nicht und will nun schnell


Professor für Umwelt und Nachhaltigkeit Jan Willem Erisman.Bild Jiri Büller für de Volkskrant

Vierzig Jahre lang mit dem Kopf gegen eine Wand gelaufen und immer noch gehämmert. Wer das behauptet, ist entweder ein Erzoptimist oder ein Sturkopf oder beides. „Stickstoff-Professor“ Jan Willem Erisman warnt seit den 1980er Jahren vor den negativen Folgen hoher Stickstoffemissionen, fand aber bis vor kurzem keine Reaktion der Politik. Für niederländische Regierungen sind Natur- und Gesundheitserwägungen im Allgemeinen wirtschaftlichen Interessen untergeordnet.

Nachdem nun Gerichtsurteile diesen Automatismus durchbrochen haben, will der Umwelt- und Nachhaltigkeitsprofessor schnell politische Ergebnisse sehen. Mit einem Stickstofffonds von 25 Milliarden Euro und ehrgeizigen gesetzlich verankerten Stickstoffreduktionszielen sollte es endlich möglich sein, die Landwirtschaft nachhaltiger zu gestalten, glaubt er. Wenn nicht, höre ich auf, sagte Erisman letztes Jahr unverblümt NRC.

Auch die Geduld des berühmtesten Stickstoffexperten der Niederlande ist irgendwann am Ende. Es sei denn, es war natürlich ein Scherz. Wer aber in seiner drohenden Pensionierung eine leichte Verzweiflung entdeckt, kann sich wohl allerlei vorstellen. „Es ist nicht so, dass nichts passiert. Es geht einfach viel zu langsam“, sagte Erisman letztes Jahr Die Bewährung.

Ultimatum

Sein Kollege Hans van Grinsven, leitender Forscher bei der niederländischen Umweltprüfungsbehörde, muss über Erismans Ultimatum an das Kabinett etwas schmunzeln. „Die Umsetzung dieser Stickstoffpolitik wird einige Jahre dauern, und er wird wahrscheinlich sowieso in etwa fünf Jahren in Rente gehen.“ Erisman, der einen Lehrstuhl an der Universität Leiden innehat, ist jetzt 61 Jahre alt. „Ich denke, Sie sollten seine Aussage als Aufruf an die Niederlande sehen, sich diesen neuen Ansatz nicht entgehen zu lassen.“

In den kommenden Jahren wird der gebürtige Utrechter nicht bremsen. Klimaminister Rob Jetten hat Erisman mit Wirkung zum 1. März zum ersten Vorsitzenden des Scientific Climate Council ernannt. Dieses kürzlich gegründete unabhängige Beratungsgremium soll das Kabinett in Fragen der Klimapolitik erbeten und unaufgefordert beraten.

Im Gegensatz zu vielen anderen Wissenschaftlern hat Erisman wenig Schwierigkeiten damit, unaufgefordert Ratschläge zu erteilen. Van Grinsven findet es mutig, dass Erisman sich zu politisch heiklen Themen wie der Agrarpolitik der Regierung zu Wort meldet. „Damit macht er sich verwundbar, weil dann kritisiert wird, dass man sich als Aktivist verhält und nicht als unabhängiger Experte.“

Alternative Realität

Aber Van Grinsven findet es gut, dass Erisman seine Meinung sagt. „Politik, die nicht auf Fakten basiert, ist einfach unkluge Politik. Und mit Wissenschaft, die nur hinter dem Schreibtisch gemacht wird, und mit Berichten, werden Sie es nicht schaffen. Wenn du willst, dass sich etwas ändert, musst du rauskommen.“ Die meisten Wissenschaftler gehen davon aus, dass Fakten für sich sprechen, aber das ist in der Politik nicht der Fall. Die von bestimmten Interessengruppen präsentierte alternative Realität hat dort oft mehr Gewicht.

Erisman erkennt dies und verspürt offenbar den Drang, das dringend benötigte Gegengewicht zu sein. „Wenn ich eine Debatte im Abgeordnetenhaus sehe, denke ich regelmäßig: Wie effizient wäre es, wenn neben dem Vorsitzenden ein Wissenschaftler sitzen würde, der auf Anfrage die Fakten überprüft“, schrieb er im vergangenen Jahr in einem Essay. Es irritiert ihn, dass Johan Remkes letztes Jahr Wissenschaftler nicht zu seinem Stickstofftreffen zugelassen hat, während alle Lobbygruppen teilnehmen durften. „Meiner Erfahrung nach wird die Wissenschaft nur dann zu Rate gezogen, wenn sie selbst an die Tür des Ministeriums oder der Politik klopft oder bestehende Meinungen bestätigt werden müssen.“

Der Stickstoffprofessor hat eine klare Vorstellung von der niederländischen Landwirtschaft: Sie muss viel umfangreicher werden. „Natur-inklusive Landwirtschaft“ ist eines seiner Steckenpferde. Die Niederlande haben einen großen Stickstoffüberschuss, weil die Landwirtschaft viel Stickstoff durch Konzentrate und Düngemittel importiert. Etwa die Hälfte davon wird nicht in Fleisch und landwirtschaftliche Nutzpflanzen umgewandelt, sondern verschwindet in der Umwelt. Laut Erisman muss der Viehbestand vor allem in der Nähe von Naturschutzgebieten erheblich schrumpfen.

Neues Erlösmodell

Um den verbleibenden Landwirten ein neues Einkommensmodell zu bieten, sollten sie für die Erbringung von „Öko-Dienstleistungen“ wie die Pflege von Hecken und Hecken bezahlt werden. Verbraucher sollten auch etwas mehr für Lebensmittel bezahlen, damit mehr für den nachhaltig gewordenen Landwirt übrig bleibt. Erisman glaubt nicht an technische Innovation als Lösung. Es trägt weder zur Verbesserung der Wasserqualität bei, noch hilft es gegen Austrocknung und Klimawandel.

Erisman habe schon früh ein Auge für Umweltprobleme gehabt, schreibt er auf seiner Website. Als Junge hatte er Angst, dass der Luft der Sauerstoff ausgeht, weil alle Menschen ihn atmen. Nach seinen eigenen Worten war er kein Spitzenschüler; seine lehrer hielten ihn für faul und gaben ihm den schulrat mavo. Als Stapler landete er schließlich bei der hts, wo er zum Chemietechnologen ausgebildet wurde. In den 1980er und 1990er Jahren forschte er am RIVM in Bilthoven zu Versauerung und Eutrophierung, unter anderem durch Ammoniakmessungen. So entwickelte er sich nach und nach zum Stickstoffexperten. 1992 promovierte er an der Universität Utrecht. Seine Doktorarbeit befasste sich mit der Entwicklung von Ablagerungsmodellen für versäuernde Substanzen, einschließlich Stickstoff.

Sein ehemaliger RIVM-Kollege Albert Bleeker beschreibt Erisman als „geradeaus, ehrgeizig und auch als Verbindungsmann“. Er sei ein fanatischer Läufer, sagt Bleeker, „aber eigentlich immer bei der Arbeit“. Van Grinsven: ‚Ein entschlossener, ehrlicher Wissenschaftler, einer der besten seines Fachs.‘

3 x Jan Willem Erisman

Erisman war bis 2020 acht Jahre lang bis 2020 Direktor des Louis Bolk Institute, dem Wissensinstitut für nachhaltige Landwirtschaft. Darüber hinaus war er Professor für integrale Stickstoffstudien an der VU University Amsterdam. Davor war er mehrere Jahre Bereichsleiter für Luftqualität bei ECN in Petten.

Der Professor hat auch den Vorsitz der International Nitrogen Initiative inne, einer internationalen Interessengemeinschaft führender Stickstoffexperten. Er veröffentlichte das Buch im Jahr 2000 Das fliegende Gespenst, über die Folgen von Ammoniakemissionen aus der Landwirtschaft für die Natur. Zusammen mit Berno Strootman gab er dem Kabinett 2021 unaufgefordert Politikberatung. Nach eigenen Modellrechnungen rät er der Regierung, im Gelderse Vallei und im Groene Hart so viele Viehbetriebe wie möglich aufzukaufen, weil dies die größte Stickstoffreduktion für die Natur bringt.

Erisman lebt mit seiner Freundin in Den Haag und hat zwei erwachsene Töchter.



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